Früher hätte man über den genialen Künstler und Exzentriker wohl gesagt: „Gesundes Selbstbewusstsein, der Mann!“ Heute würde Sal- vador Dalí vielleicht eher mit Begriffen wie „perfekte Mental Health“ beschrieben werden. Auf jeden Fall hätte er, der Sätze sagte wie „es gibt einen Moment im Leben eines jeden Menschen, in dem er er- kennt, dass er mich anbetet“, auch in diesen Tagen keinerlei Probleme mit seiner Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung.
Vielen „normalen“ Menschen geht es in einer Gesellschaft, in der paradoxerweise die Individualisierung zum Normativ erhoben wird, nicht so gut. Unsere Spiegelneuronen in der Großhirnrinde scheinen permanent überfordert. Diese Nervenzellen, die sowohl unsere Selbstwahrnehmung als auch die Empathie für unser Gegenüber definieren, leiden an Reizüberflutung. Frei nach Richard David Precht drängt sich dauernd die Frage in den Vordergrund: „Wer bin ich, und wenn nein, warum nicht?“ Die boomende Coaching- und Selbst- erfahrungsoptimierungsindustrie freut sich über regen Zulauf.
Dabei ist das „Ganz-einfach-Ich-Sein“ gar nicht so verwerflich, wie es bisweilen suggeriert wird. Denn es bringt am Ende die Gesellschaft als Ganzes weiter, wie neueste wissenschaftliche Thesen untermauern. Es geht um nicht weniger als um einen Paradigmenwechsel. Ohne Wenn und Aber von sich überzeugt zu sein, macht mutig und kreativ. Es befeuert jene, die zögerlich sind, reißt sie mit und öffnet neue Horizonte. Eine Prise Humor und Selbstironie tut dabei jedem Narzissten respektive jeder Narzisstin gut. Salvador Dalí wäre stolz auf sie – ähem, natürlich auf sich …