6. September 2024

Christine Bürg und Margit Hiebl

Wie gehen Ärzte mit Leistungsdruck um?

Anspruchsdenken und Konkurrenz sorgen auch in der Medizin für (Hoch-)Leistungsdruck. Wie gehen die Profis damit um?

@ Pixabay

Ein Gespräch unter Premium-Ärzt:innen zum Thema Exzellenz und zu der Frage, wie sie sich in ihrem Beruf und mit ihrer Berufung der ständigen Forderung nach Best- und Höchstleistungen stellen. Mit dabei: Dr. Michaela Montanari, Fachärztin für plastisch-ästhetische Chirurgie mit eigener Privatpraxis in Bochum; Zahnarzt Dr. Christian Leonhardt, Inhaber der Praxis Zahnärzte am Perlach in Augsburg; Dr. Florian Kretz von Precise Vision Augenärzte in Erlangen, Greven, Rheine und Steinfurt.

 

 

Im (Leistungs-)Sport geht es immer darum, Höchstleistung zu liefern. Auch in der Medizin scheint nur das Beste gut genug. Wie sehen Sie das?

FLORIAN KRETZ

Es hängt davon ab, wie man Medizin betreibt. Ähnlich wie beim Sport gibt es auch bei uns in der Medizin Hobbykicker, und es gibt Leistungssportler. Aber es ist auch nicht in allen Bereichen der Medizin alles Höchstleistung. Unser persönliches Ziel ist es, immer Höchstleistung zu bringen und ganz vorne mit dabei zu sein. Ich finde, wenn man etwas macht, dann sollte man es richtig machen.

 

MICHAELA MONTANARI

In meinem Fachgebiet, der Ästhetik, muss man Höchstleistung bringen, weil die Konkurrenz sehr stark ist. Man muss sich von den Nicht-Fachärzten und den selbst ernannten Beauty Docs, von denen immer mehr auf dem Markt sind, abheben.

 

Die Zufriedenheit der Patienten und ihre Bewertung auf den Portalen ist wichtig

 

Zum einen durch die Qualifikation und Ausbildung, die wir natürlich haben. Und zum anderen mithilfe von Social Media: Hier tauschen sich die Patienten untereinander aus und geben Rückmeldung. Die Zufriedenheit der Patienten und ihre Bewertung auf den Portalen ist wichtig. Da muss man schon den Anspruch haben, dass man aus dem, was man bietet, das Maximum rausholt. Auch die Patienten, die die Leistung selbst bezahlen, haben natürlich einen gewissen Anspruch.

 

Und woher wissen Sie für sich persönlich, wann gut gut genug ist?

MICHAELA MONTANARI

In der Plastischen Chirurgie haben wir vier Säulen: die Rekonstruktion, die Ästhetik, die Verbrennung und die Handchirurgie. Man kann nicht auf allen Gebieten gleich gut vertreten sein, das betrifft sowohl den Klinik- als auch den niedergelassenen Bereich.

 

Auch in der Ästhetik gibt es Gebiete, auf die man sich mehr fokussiert. Wenn ich operiere und finde, das ist jetzt nicht das Optimum, das geht noch besser, dann sind es für mich ein paar Minuten, eine Naht noch einmal aufzumachen und das zu korrigieren. Für den Patienten ist es schließlich das ganze Leben, das davon abhängt. Das sollte auch der Anspruch sein, den man hat: Das Optimum herauszuholen und ein Ergebnis zu liefern, das einen selbst auch zufriedenstellen würde. Natürlich immer vor dem Hintergrund, was der Patient für Wünsche geäußert hat.

 

Heißt das, es ist besser, sich zu spezialisieren, anstatt alles anzubieten?

FLORIAN KRETZ

Bei mir ist das schwierig, weil 95 Prozent meiner Patienten gesetzlich versichert sind und wir einen Versorgungsauftrag haben. Das heißt – und das gilt für die meisten in der Augenheilkunde –, wir müssen alles abdecken, können uns aber in Teilbereichen spezialisieren, die wir dann auch an Privatpraxen auslagern.

MICHAELA MONTANARI

Selbstverständlich bieten wir alle Basisleistungen an. Wenn also jemand zu mir kommt und eine Beratung über eine Verbrennungsbehandlung haben möchte, kann ich diese natürlich machen.

 

Dennoch bin ich der Meinung, dass man nicht auf allen Gebieten gleich gut sein kann. Jeder hat Vorlieben für bestimmte Bereiche, in denen man sich ständig weiterbildet und auf die man sich fokussiert. Und das ist auch das, was die Patienten wahrnehmen.

Herr Dr. Leonhardt, was sagen Sie zu der These, dass Medizin heute mit Hochleistungssport vergleichbar ist, was die Anforderungen betrifft. Allein schon durch die rasanten Entwicklungen ist man ja quasi gezwungen, immer am Ball zu bleiben. Ist das in der Zahnmedizin ähnlich?

CHRISTIAN LEONHARDT In den letzten fünf bis zehn Jahren ist das Niveau international extrem gestiegen, hat die Diagnostik und die Durchführung der Behandlungen durch die Digitalisierung eine komplette Veränderung erfahren. Als Folge können wir Dinge heute viel objektivierbarer machen, und wir sind in der Lage, Behandlungen viel besser interdisziplinär zu kommunizieren. Kurzum: Es ist ein hochmodernes Feld entstanden, in dem Zahnmedizin viel besser funktioniert als früher.

 

Ist auch die Erwartungshaltung der Patienten gestiegen?

CHRISTIAN LEONHARDT Durch die zunehmende Transparenz und Präsenz in digitalen Medien der Zahnärzte und die Möglichkeit, sich eine Zweitmeinung einzuholen, können die Patienten mittlerweile viel leichter Vergleiche ziehen – zum einen, was an Behandlungen möglich ist, zum anderen, was die Leistung der Zahnärzte selbst angeht.

FLORIAN KRETZ Diese Erwartungshaltung ist bei uns noch deutlich ausgeprägter als in der Zahnheilkunde oder in der ästhetischen Chirurgie. Wir bekommen online Beschwerden, wenn die Wartezeit ein oder zwei Stunden beträgt, unabhängig davon, dass es technisch gar nicht anders möglich wäre.

CHRISTIAN LEONHARDT Ich glaube, da sind wir Zahnmediziner tatsächlich im Vorteil. Häufig sind die gesetzlich Krankenversicherten zusatzversichert. Das erleichtert die Situation für diese Patienten, weil wir ihnen die für sie beste Behandlung anbieten können – und nicht eine Be-handlung durchführen müssen, die langfristig womöglich mit einem Risiko verbunden wäre, nur weil diese den Kassenrichtlinien entspricht.

 

Wie ist das bei Ihnen mit Ihrer reinen Privatpraxis, Frau Dr. Montanari?

MICHAELA MONTANARI Bei uns ist der Übergang zwischen rein ästhetischen und medizinischen Leistungen oft fließend. Da stellt sich manchmal die Frage: Handelt es sich hier um eine medizinisch notwendige Behandlung, die eine Privat- oder auch eine gesetzliche Krankenkasse übernimmt. Oder wann beginnt die Ästhetik?

 

Wenn ich beispielsweise eine Patientin mit BH-Größe 80 F habe, kann man sich vorstellen, dass sie sowohl orthopädische als auch dermatologische Beschwerden hat. Obwohl es um medizinische Leistungen geht, erfolgt die Kostenübernahmen durch die Krankenkassen immer seltener. Das heißt, wir kommen in den Selbstzahlerbereich.

 

Ich gehe mit der Meinung, über die wir vorhin sprachen, konform. Die Patienten können über Portale sehr gut vergleichen. Aber sie haben auch Ansprüche, die manchmal problematisch sind. Sie zeigen mir Bilder, wie sie aussehen möchten, die stammen aus den Social Media und sind be-arbeitet worden. In so einem Fall muss man sagen, dass man zwar viel, aber nicht alles machen kann, und vieles einfach nicht sinnvoll ist.

 

Da geht man in den Bereich der Dysmorphophobie, wo eine Behandlung eher kontraindiziert ist. Deswegen ist Werbung so eine Sache. Es gibt die selbsternannten Beauty Docs oder Schönheitsketten, die sich hier seriös präsentieren können. Aber wie es um die Qualität steht, geht hieraus nicht hervor.

 

Es gibt ja immer häufiger Augenärzte, die Lidkorrekturen anbieten und Zahnärzte, die Filler spritzen oder Liftings machen …

FLORIAN KRETZ

Wir behandeln schließlich auch Tumorerkrankungen der Lidränder, deshalb ist die Oculoplastik (Anm. der Red.: die Wiederherstellung und Modellierung) ein eigener Bereich im Rahmen der Facharztausbildung. Und ja, viele Augenärzte machen auch aus ästhetischen Gründen Blepharoplastiken (Anm. der Red.: Straffung der Augenlider).

 

Aber ich denke, die wenigsten gehen darüber hinaus. Umgekehrt glaube ich nicht, dass die Plastischen Chirurgen eine Ptosis-OP (Anm. der Red.: angeborenes oder er-worbenes Herabhängen des Oberlids) OP machen möchten oder eine Unterlidrand-Rekonstruktion mit Ohrknorpel …

MICHAELA MONTANARI

Das sind Operationen, die wir in der Facharztweiterbildung lernen; wir arbeiten ja plastisch und rekonstruktiv. Es gibt in diesen Fachbereichen fließende Übergänge. Ein Augenarzt kann und sollte sicherlich eine Blepharoplastik durchführen können, keine Frage.

 

Man darf keine Scheu haben, jemanden zu einem anderen Facharzt weiterzuschicken

 

Aber wenn man einen hohen Anspruch an sich selbst hat, sieht und zieht man auch seine Grenzen. Da darf man keine Scheu haben, jemanden zu einem anderen Facharzt weiterzuschicken. Nur, weil ich das irgendwann einmal gelernt habe, fühle ich mich nicht befähigt, alles zu machen. Ich selbst führe auch keine Blutdruckeinstellung durch, obwohl ich das mal gelernt habe.

FLORIAN KRETZ

Viel schlimmer finde ich, dass es diese Kursangebote für Filler usw. gibt, an denen jeder teilnehmen kann, der irgendeine ärztliche Qualifikation hat. Und noch schlimmer: Jeder darf sogar so einen Kurs ausrichten.

 

Wie groß ist der Druck für Sie, sich ständig weiterzubilden? Wie entscheiden
Sie, was Sie wirklich brauchen. Oder anders ausgedrückt: Wie trennt man die Spreu vom Weizen?

FLORIAN KRETZ

Wir bilden uns ganz klar nur in unserem Fachbereich weiter. Konzentrieren uns auf Dinge, die epidemiologisch häufiger auftreten und die wir aufgrund unseres Versorgungsauftrags auch beherrschen müssen. Zum Beispiel Kurzsichtigkeit bei Kindern, altersbedingte Makuladegeneration, Diabeteserkrankungen. Darüber hinaus investieren wir viel Zeit und Geld in unsere Spezialbereiche refraktive Chirurgie, Katarakt, Glaukom-Chirurgie.

CHRISTIAN LEONHARDT

Um qualitativ hochwertig behandeln zu können, ist Fortbildung in der Zahnmedizin unabdingbar. So kommt innerhalb von ein paar Jahren gerne mal eine sechsstellige Summe an Kosten für diese Kurse zusammen – Reisekosten und Praxisausfall nicht mitgerechnet.

 

FLORIAN KRETZ

Bei uns wird auch das nichtärztliche Personal geschult: die Optiker und Optometristen. Wir bilden zu Refraktivmanagern aus, haben Mitarbeiter, die ein Dualstudium zum Physician Assistent machen. Um jeden Patienten über seine individuellen Möglichkeiten aufzuklä-ren und mit ihm abzuwägen, was Sinn macht und was nicht, braucht es ein geschultes Team.

MICHAELA MONTANARI

Generell finde ich Weiterbildung wichtig. Stagnation ist das Schlimmste, was einem passieren kann. Man lernt nie aus. Auch in den Kursen, die ich selbst als Dozentin gebe, lerne ich immer noch etwas, weil ich immer hilfreiche Tipps bekomme.

 

Aber dann werden einem Kurse aufoktroyiert, wie zum Beispiel die zur nichtionisierenden Strahlenschutzverordnung, für irgendwelche Geräte, die man schon immer hatte. Nur weil man eigentlich vermeiden will, dass Kosmetikerinnen oder ein Tattoo-Shop um die Ecke irgendwelche Geräte bedienen dürfen. Das ist in dem Fall auch wichtig, das dies dann aber generalisiert stattfindet, ist schon fragwürdig.

 

 

Ist diese Pflicht zur Weiterbildung eher eine Last? Oder überwiegen die Neugierde und der Gedanke: Es ist zwar teuer und kostet Zeit, hilft mir aber bei meiner Berufung.

CHRISTIAN LEONHARDT

Das hängt sehr stark von der Persönlichkeit ab – und den Menschen, mit denen man sich umgibt. Wenn die getaktet sind wie man selbst und genauso passioniert, ist das ein Riesen-Motivationsschub. Um auf den Leistungssport zurückzukommen: Was bringt es mir, wenn ich nur Couch Potatoes um mich herum habe, anstatt Sportler, die mich pushen, mich anfeuern, mit mir durch Höhen und Tiefen gehen, um Höchstleistungen zu erzielen. Das trifft übrigens auf alle zu – weltweit.

FLORIAN KRETZ

… mit dem Unterschied, dass die keine GOÄ haben (Anm. der Red.: Gebührenordnung für Ärzte, die die Abrechnung privatärztlicher Leistungen regelt). In Brasilien gibt es Pauschalen, und die gelten für alle Patienten gleichermaßen. Wenn Sie rein im gesetzlich versicherten Bereich tätig sind, was in der Augenheilkunde viele machen, gibt es die natürliche Limitierung durch den EBM (Anm. der Red.: Einheitlicher Bewertungsmaßstab für die Abrechnung der vertragsärztlichen Leistungen).

 

Ich persönlich finde es unglaublich wichtig, sich weiter- und fortzubilden

 

Das hindert dann auch die Leute aktiv daran, ihre Höchstleistung bringen zu wollen. Ich kenne viele Ärzte bei uns in der Region, die in den letzten drei Wochen des Quartals zumachen, weil sie dafür keine Vergütung mehr bekommen.

 

Ich persönlich finde es unglaublich wichtig, sich weiter- und fortzubilden, um auf dem neuesten Stand der Dinge zu sein. Andere Länder bieten mittlerweile eine zum Teil wesentlich bessere Grundausbildung der Studierenden an. Das merkt man auch an der Qualität der Absolventen im In- und Ausland. Hier müssen wir unbedingt nachziehen.

 

MICHAELA MONTANARI

Man muss aber erwähnen, dass es ja nicht nur um den gesetzlichen Bereich geht. Das gibt es auch im privaten. Unsere GOÄ ist von 1996, da sind viele operative Maßnahmen, die wir jetzt in der plastischen Chirurgie durchführen, überhaupt noch nicht hinterlegt.

 

Man kann sie mit einer Analogziffer vielleicht maximal deklarieren. Und wenn wir unsere Praxen ansehen: Wir haben Inflation, steigende Kosten, auch für Personal, das wir natürlich gut geschult haben möchten, damit wir als Team funktionieren und Patienten auf höchstem Niveau abholen können.

 

Fragen Sie mal einen Handwerker, ob er zum Tarif von 1996 zu Ihnen nach Hause kommt, der lacht sich kaputt. Da haben wir eine große Diskrepanz zwischen dieser Tatsache und dem Anspruch der Patienten und auch von uns als Ärzten.

 

CHRISTIAN LEONHARDT

Da kann ich noch einen draufsetzen: Unsere GOZ (Anm. d. Red.: Gebührenordnung der Zahnärzte) ist von 1988. Vieles ist zwar schon standardisiert und anerkannt – aber am Ende steht der Versicherte häufig in einer Diskussion mit seiner Versicherung und kommt dann mit Rückfragen oder Ableh-nungen seitens der Versicherung zu uns zurück.

 

Da bewegen wir uns nicht mehr im Hochleistungssegment, sondern das ist absolute Basisarbeit, die extrem zeitaufwendig ist, viele personelle Ressourcen erfordert und am Ende auch Kosten verschlingt.

FLORIAN KRETZ

Unsere Höchstleistung liegt leider nicht mehr nur in unseren eigenen Ansprüchen oder in unserer Fortbildung. Unsere Höchstleistung liegt tatsächlich an all den „Nebenkriegsschauplätzen“, mit denen wir uns täglich abgeben müssen.

 

Diese haben nur wenig mit unserer ärztlichen Tätigkeit zu tun, sondern limitieren diese ganz im Gegenteil wahnsinnig – sei es eine elektronische Patientenakte, ein Implantatregister oder der Strahlenschutzkurs, die uns als zusätzliche Last auferlegt werden. Und jährlich kommt wieder etwas Neues dazu.

 

Und das im Tagesgeschäft noch bewältigen zu können, das ist die eigentliche Höchstleistung. Sportlich gesprochen: Wenn Sie einem Fußballspieler sagen, er soll parallel bitte noch in der ersten Bundesliga Basketball spielen, dann zeigt er Ihnen einen Vogel.

MICHAELA MONTANARI

Guter Vergleich, dem kann man sich nur anschließen. Es kommen immer neue Aufgabenbereiche dazu. Da wird gar nicht mehr unterschieden, ob die sinnvoll sind oder nicht.

 

 

Es gibt auch das Verlangen nach Höchstleistung, das nicht nur mit rein medizinischen Trends zu tun hat, sondern auch mit Schönheitstrends. Wie geht man damit um?

MICHAELA MONTANARI

Einen seriösen Arzt oder eine seriöse Ärztin macht auch aus, nicht jeden Trend mitzumachen und auch mal etwas abzulehnen – im intensiven Gespräch mit den Patienten. Da muss man kritisch hinterfragen und – wie schon gesagt – auch einen großen Fokus auf dysmorphophobe Krankheitsbilder legen, die durch Social Media mit ihren Filtern verstärkt entstehen.

 

Man muss den Patienten dann auch ganz klar sagen, dass das nicht die Realität ist. Das ist sicherlich eine Herausforderung, aber für mich macht das auch die Seriosität aus und letztlich die Qualifikation.

 

CHRISTIAN LEONHARDT

Ästhetik ist bei guter Behandlungsplanung und -durchführung ein positiver Nebeneffekt, der bei allen Behandlungen anzustreben ist. Aber ich weise alle Patienten ab, wenn es aus medizinischer Sicht keine Indikation gibt, eine Behandlung durchzuführen.

 

Wenn es darum geht, tatsächliche ästhetische Probleme zu lösen – von der Nichtanlage eines Zahnes zu einem Missverhältnis zwischen Zahngröße und Kiefergröße –, lässt sich darüber diskutieren. Nicht aber, wenn Patienten völlig gesunde Zähne haben und sich diese aus kosmetischen Gründen minimal oder auch höher invasiv beschleifen lassen möchten.

 

Ebenfalls ein Thema, wo Social Media Bedürfnisse schafft und leider auch manche Kollegen völlig falsche Erwartungen in Patienten schüren. Ich glaube, wir sollten im Premiumsegment so arbeiten, dass die kosmetische Indikation ein Co-Faktor ist, aber nie als primäre Behandlungsindikation gilt.

 

Das wäre dann auch Ihre persönliche Grenze?

CHRISTIAN LEONHARDT

Ja – auch im Hinblick darauf, dass Komplikationen auftreten könnten: Etwa wenn gesunde Zähne abgeschliffen oder in kürzester Zeit exzellente Ergebnisse versprochen werden. Eine gute Versorgung braucht einfach Zeit – von der Anamnese über den Behandlungsplan bis hin zur Umsetzung. Werden Teilschritte ausgelassen, ergibt das häufig Probleme, die vermeidbar wären. Und die sind vor keinem Gutachter, vor keinem Gericht vertretbar.

 

MICHAELA MONTANARI

Ja, und jeder operative Eingriff geht mit Risiken einher. Ich muss immer evaluieren: Welche alternativen Methoden gibt es? Was erwartet der Patient? Kann die Erwartungshaltung erfüllt werden? Und ist es sinnvoll, diese Erwartungshaltung zu erfüllen? Da muss man als seriöser Arzt auch mal Patienten ablehnen oder sagen, dass das, was sie sich wünschen, nicht sinnvoll ist.

 

Womit wir schon wieder bei einer Höchstleistung sind: Patientinnen und Patienten so aufzuklären, dass sie danach nicht zu jemandem gehen, der es dann doch macht und womöglich verpfuscht …

DR. MONTANARI

Hier sind Gespräche ein ganz wichtiger Part – und auch eine Herausforderung, klar zu kommunizieren, warum man es nicht macht. Man sollte ruhig auch sagen, dass sie sicher irgendjemanden finden, der es durchführt. Die Frage, ob es sinnvoll ist und dann gut gemacht wird, bleibt aber trotzdem.

FLORIAN KRETZ Das machen wir genauso, gerade, wenn es um Lasern geht. Wenn das für uns keinen Sinn macht oder das Risiko zu hoch ist, sagen wir dem Patienten klipp und klar: Wir empfehlen es nicht. Sie werden irgendwo irgendjemanden finden – aber wir glauben nicht daran, dass das gut funktioniert. Glücklicherweise kam noch nie ein Patient zurück, der es dann woanders hat machen lassen.

 

 

Wenn wir beim Sportvergleich bleiben: Würden Sie Ihre Sportart wieder wählen, wenn Sie heute noch einmal vor der Entscheidung stünden? Oder würden Sie in einer anderen Disziplin antreten?

FLORIAN KRETZ

Ich würde das Gleiche machen.

CHRISTIAN LEONHARDT

Es gibt einen schönen Spruch: Wer sein Hobby zum Beruf hat, muss sein Leben lang nicht arbeiten. Ich würde diesen Beruf auf alle Fälle wieder wählen, weil es jeden Tag aufs Neue Spaß macht, am Patienten zu arbeiten, sich um die Praxis zu kümmern. In diesem Behandlungszimmer zu sein, ist mein Seelenheil.

FLORIAN KRETZ

Ich fliege im Rahmen meiner gemeinnützigen GmbH sogar zweimal jährlich nach Kambodscha, um dort Leute auszubilden und zu operieren – mache da also meine Arbeit als Hobby.

MICHAELA MONTANARI

Ich würde meine Disziplin auf jeden Fall wieder wählen, weil mir meine Arbeit wirklich Spaß macht – würde aber versuchen, die „Nebenkriegsschauplätze“ zu minimieren.