23. September 2024
Kimmy Fischer
Der stille Vertrauensbruch im Gesundheitswesen: Wenn Patient:innen nicht ernst genommen werden und Ärzte und Ärztinnen Symptome ignorieren oder minimieren
@ Thirdman
Stellen Sie sich vor, Sie betreten eine Arztpraxis, geplagt von Schmerzen, die Ihren Alltag belasten. Sie hoffen auf Erklärung. Auf Erleichterung. – Und vor allem aber darauf, ernst genommen zu werden. Doch stattdessen werden Ihre Symptome abgetan, als wären sie nichts weiter als ein Produkt Ihrer eigenen Vorstellungskraft.
Dieser Moment der Enttäuschung, in dem Ihre Gesundheit und Ihr Vertrauen untergraben werden, hat einen Namen: Medical Gaslighting. Es ist ein Phänomen, das sich still, aber mächtig in Arztpraxen und Krankenhäusern der ganzen Welt abspielt. – oft unbemerkt, aber mit weitreichenden Folgen für die Betroffenen.
Wie kann es sein, dass Menschen, die Hilfe suchen, am Ende in ihrer eigenen Wahrnehmung erschüttert werden? Und welche Auswirkungen hat dies auf ihre Gesundheit und ihr Leben? Wir haben einen genaueren Blick auf Medical Gaslighting geworfen und haben uns angeschaut, wie ein solcher Vertrauensbruch im Gesundheitswesen entsteht – und was dagegen getan werden muss.
Der Begriff „Gaslighting“ stammt ursprünglich aus der Psychologie und beschreibt eine Form der emotionalen Manipulation, bei der eine Person systematisch dazu gebracht wird, ihre eigene Wahrnehmung, Erinnerung oder Realität in Frage zu stellen.
Übertragen in den medizinischen Kontext bedeutet „Medical Gaslighting“ also, dass Patient:innen durch die Reaktionen oder das Verhalten eines:einer Arztes:Ärztin, beginnen an ihrer eigenen Wahrnehmung hinsichtlich gesundheitlicher Probleme zu zweifeln.
Dies kann dann zum Beispiel so aussehen, dass Symptome, Beschwerden oder Bedenken heruntergespielt, ignoriert oder gar als übertrieben dargestellt werden.
Abwertung von Symptomen:
Ärzt:innen oder Pflegekräfte spielen Symptome als „unbedeutend“ oder „psychosomatisch“ herunter, ohne weiter darauf einzugehen.
Ignorieren von Beschwerden:
Patient:innen berichten wiederholt von Schmerzen oder Problemen, die nicht ernsthaft untersucht werden.
Voreilige Diagnosen:
Beschwerden werden vorschnell auf Stress oder emotionale Ursachen zurückgeführt, ohne dass körperliche Ursachen ausgeschlossen wurden.
Schwierigkeiten bei der Diagnose:
Häufig bei schwer zu diagnostizierenden Erkrankungen oder solchen mit unspezifischen Symptomen wie Autoimmunerkrankungen, chronischen Schmerzen oder seltenen Krankheiten.
Gender- und Rassenbias:
Frauen, insbesondere Frauen aus ethnischen Minderheiten, sind oft überproportional von Medical Gaslighting betroffen. Studien zeigen, dass ihre Beschwerden häufiger als „übertrieben“ oder „psychosomatisch“ eingestuft werden, während sie in der Realität oft schwerwiegende gesundheitliche Probleme haben.
@ Karolina Grabowska
Verzögerte Diagnose und Behandlung: Wenn Symptome nicht ernst genommen werden, kann dies dazu führen, dass Krankheiten unbehandelt bleiben oder sich verschlimmern.
Emotionaler Stress: Patienten können an Selbstzweifeln und emotionalem Stress leiden, wenn sie das Gefühl haben, dass ihnen niemand glaubt.
Verlust des Vertrauens in das Gesundheitssystem: Wiederholte Erfahrungen von Medical Gaslighting können das Vertrauen in Ärzte und medizinische Fachkräfte nachhaltig erschüttern.
Chronische Schmerzen: Patient:innen mit chronischen Schmerzsyndromen, wie z. B. Fibromyalgie, werden oft als überempfindlich abgetan.
Autoimmunerkrankungen: Krankheiten wie Lupus oder Multiple Sklerose werden aufgrund ihrer diffusen Symptome nicht ernst genommen.
Endometriose: Diese Erkrankung betrifft viele Frauen, aber ihre Schmerzen und Symptome werden oft über Jahre hinweg heruntergespielt oder ignoriert.
Dokumentation der Symptome: Das Führen eines detaillierten Tagebuchs kann helfen, Symptome klarer und konkreter darzustellen.
Eine Zweite Meinung einholen: Ein anderer Arzt oder Spezialist kann helfen, eine objektivere Sicht auf die Beschwerden zu bieten.
Selbstbehauptung: Patient:innen sollten sich nicht scheuen, ihre Beschwerden klar zu kommunizieren und auf Tests oder Untersuchungen zu bestehen, wenn sie das Gefühl haben, nicht ernst genommen zu werden.
1. Welche Maßnahmen können Ärzte ergreifen, um Medical Gaslighting zu verhindern?
Eine offene Kommunikation mit den Patient:innen und das Schaffen eines vertrauensvollen Umfelds sind entscheidend.
2. Haben Sie persönlich schon Fälle erlebt, in denen Patienten das Gefühl hatten, nicht ernst genommen zu werden, und wie sind Sie damit umgegangen?
Mit Empathie und echtem Interesse für die Patient:innen wird man immer eine gemeinsame und befriedigende Lösung finden.
3. Wie gehen Sie mit der Herausforderung um, wenn die Symptome eines Patienten medizinisch nicht erklärbar sind, aber dennoch ernst genommen werden müssen?
Hier kann eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Fachärzt:innen sinnvoll sein, um die Symptome ganzheitlich zu betrachten und den Patient:innen
wirklich zu unterstützen.
4. Welche Faktoren tragen dazu bei, dass es in der Arzt-Patient:innen-Beziehung zu Medical Gaslighting kommen kann?
Zeitdruck in der Praxis, unzureichende Schulung in der Kommunikation mit
Patient:innen und Vorurteile können zum Beisspiel solche Faktoren sein.
5. Sollte Medical Gaslighting Ihrer Meinung nach mehr in der medizinischen Ausbildung thematisiert werden?
Eine stärkere Fokussierung auf Kommunikation, Empathie und die Bedeutung der
Patientenperspektive könnte dazu beitragen, das Bewusstsein für dieses Problem zu
schärfen und die Arzt-Patienten-Beziehung zu verbessern.