Placebos: Wann und wie helfen sie?

Glaube versetzt angeblich nicht nur Berge, sondern heilt auch tatsächlich Krankheiten. Warum die Macht der positiven Erwartung so stark ist, versucht die Placeboforschung herauszufinden. Mit faszinierenden Erkenntnissen

@ Anna Shvets

Wie kann das sein? Welche geheimen Kräfte sind da am Werk? Ein Patient mit Arthrose im Knie legt sich auf den OP-Tisch, im festen Glauben, dass ihn der Chirurg mit Skalpell und ein paar gezielten Handgriffen von seinen Schmerzen erlösen werde. Tatsächlich aber wird er gar nicht operiert. Stattdessen erhält er nur ein paar Schnitte in die Haut. Später wird er berichten, dass er keinerlei Beschwerden mehr im Knie verspürt. Hilft Wünschen eben doch?

 

An dem Experiment der Universität Houston nahmen 180 Patienten teil, 120 von wurden operiert, 60 erhielten nur ein paar Schnitte auf der Haut. 90 Prozent der Nichtoperierten hatten zwei Jahre nach der Operation kaum noch Schmerzen und konnten wieder Treppen steigen.

 

Eine Reihe von Studien erzählt ähnliche Geschichten. Asthmakranke erhalten eine Arznei, die mit Vanille-Essenz versetzt ist. Nach zwei Wochen inhalieren die Probanden nur noch das Aroma, ihre Lungenfunktion verbessert sich dennoch. Depressiven geht es besser, nachdem sie acht Wochen lang ein Medikament einnehmen, das sie für ein Psychopharmakon halten. Tatsächlich enthielt es nur Zucker und Stärke: ein Placebo.

 

Dass dem Placeboeffekt ein messbarer physiologischer Mechanismus zugrunde liegt, entdeckte die Wissenschaft erst in den 1970er-Jahren

 

Ein Aspekt der Wirkweise von Placebos war bereits Platon bekannt. Der griechische Philosoph schrieb, ein Heilkraut wirke nur dann, wenn es mit einem Satz verabreicht wird, der Linderung suggeriert. Auch die Tinkturen von Schamanen und die Arzneien von Medizinmännern aktivieren ihre Selbstheilungskräfte erst in Verbindung mit entsprechenden Formeln und Ritualen. Auch die der Homöopathie zugeschriebenen Heilkräfte beruhen darauf.

 

Dass dem Placeboeffekt ein messbarer physiologischer Mechanismus zugrunde liegt, entdeckte die Wissenschaft erst in den 1970er-Jahren. Seither nutzt die Pharmaforschung Placebos, um die Wirksamkeit neuer Arzneien zu testen. Sie muss nachweisen, dass sie besser wirken als ein Placebo.

 

Der einen Hälfte der Probanden wird dabei ein Medikament verabreicht, der anderen Hälfte das sogenannte Placebo, eine Tablette ohne Wirkstoff. Entscheidend dabei: Weder Ärzte noch Probanden dürfen wissen, welcher Teilnehmer welcher Gruppe angehört. Nur, wenn das zu erprobende Medikament dem Placebo deutlich überlegen ist, gilt es als wirksam und erhält die Zulassung.

 

Etwas sei ein Placebo, bedeutet: Es gibt vor, etwas zu sein, was es tatsächlich nicht ist. Eine leere Hülle

 

Auf diese Weise entstanden reihenweise Studien, die der Wissenschaft wertvolle Daten liefern. Nebenbei führt diese Anwendung dazu, dass der Begriff Placebo im allgemeinen Sprachgebrauch negativ besetzt ist. Etwas sei ein Placebo, bedeutet: Es gibt vor, etwas zu sein, was es tatsächlich nicht ist. Eine leere Hülle.

 

Ganz im Gegensatz zum Placeboeffekt, der regelmäßig für Verblüffung sorgt, vor allem aber das Interesse der Forschung geweckt hat, weil er ungeahnte Möglichkeiten verspricht, eine Reihe von Therapien wirksamer zu machen.

 

Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt um die Neurologieprofessorin Ulrike Bingel und den Professor für Psychoneuroimmunologie Manfred Schedlowski beschäftigt sich seit drei Jahren unter dem Titel „Treatment Expectation“ (treatment-expectation.de) mit der Frage, welche Effekte positive und negative Erwartungen von Patienten auf den Erfolg von Behandlungen haben.

 

Gewiss ist, dass der Placeboeffekt allein auf der positiven Erwartung des Patienten beruht. Also darauf, dass er davon ausgeht, dass Arzt, Medikament oder Therapie ihm hilft. Das erklärt auch die Wirkung, die sich häufig einstellt, sobald man einen Arzt aufsucht. Allein das Gespräch mit ei-nem Gegenüber, dem man vertraut und Autorität zubilligt, kann dazu führen, dass man eine Praxis gesünder verlässt als man sie betrat. Besprechen nannte man diese Technik früher.

 

Gewiss ist, dass der Placeboeffekt allein auf der positiven Erwartung des Patienten beruht

 

In Zeiten, da es noch nicht für jedes Leid ein passendes Medikament gab, zählte sie zu den ureigensten Aufgaben von Ärzten; Zusammenhänge erklären, Zuversicht vermitteln, dass Schmerz und Symptome nachlassen und Heilung einsetzen werde.

 

Ein Mechanismus, der auf Spielplätzen und in Kinderzimmern mehr oder weniger bewusst zum Einsatz kommt. Ein Kind weint, es ist nicht ersichtlich, ob aus Schreck oder vor Schmerz.

 

Vater oder Mutter eilt herbei, betrachtet die Wunde, spricht ein paar Worte des Trostes und pustet dorthin, wo’s wehtut. Und siehe da: Der Schmerz lässt nach, häufig ist er nach ein paar Augenblicken schon vergessen.
Was in diesem Moment im Körper genau geschieht?

 

Manfred Schedlowski, Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie an der Universität Essen, beschreibt das so: „Eine starke Erwartungshaltung verändert die Gehirnchemie, Botenstoffe werden ausgeschüttet, und diese Veränderungen werden über das Nervensystem an den Körper weitergeleitet, wo sie häufig genau die gewünschten Wirkungen in Gang setzen.“

 

Das Placebo wirkt wie eine neuronale Self Fulfilling Prophecy, die den Körper in einen Zustand versetzt, der dafür sorgt, dass das erwartete Ergebnis tatsächlich eintritt. Placebos können, auch, das ist nachgewiesen, bis zu fünfzig Prozent der Heilwirkungen entfalten, die ein Medikament, nur: Verlass ist darauf nicht. Ob und in welchem Maße der Effekt eintritt, hängt von einer Reihe von Faktoren ab.

 

Das Placebo wirkt wie eine neuronale Self Fulfilling Prophecy

 

„Wer besonders profitiert, das wissen wir nicht. Bislang gibt es kein Persönlichkeitskriterium oder genetisches Merkmal, das konsistent auf eine besondere Bereitschaft für Placeboeffekte hinweist. Was wir wissen: Der bedeutsamste Faktor, ob jemand eine positive Erwartung entwickelt und körperlich davon profitiert, ist die Vorerfahrung. Wer dreimal positiv auf ein Medikament oder eine Therapie reagiert hat, dessen Erwartung liegt beim vierten Mal höher“, sagt Ulrike Bingel.

 

Zudem gibt es Hinweise, die nahelegen: Wer grundsätzlich optimistisch ist, hoffnungsvoll das Positive sieht, hat größere Chancen vom Placeboeffekt zu profitieren.
Besonders wirksam sind Placebos bei Erkrankungen, in denen die Psyche involviert ist, bei Depressionen, Schlafstörungen, Parkinson und verschiedenen Arten von Schmerz.

 

Verstärkt werden kann der Placeboeffekt durch ein Prinzip, das Psychologen Konditionierung nennen. Nimmt ein Patient mit Erfolg eine Schmerztablette ein, koppelt er an die Einnahme spezifische Reize, etwa die Farbe des Medikaments oder an den Geschmack. In der Folge kann bereits dieser Reiz genügen, um Linderung zu verschaffen, denn das Gehirn ist auf ihn konditioniert.

 

Manfred Schedlowski verabreichte 30 Hausstauballergikern fünf Tage lang einen Drink, der nach Erdbeermilch und Lavendel schmeckte. Beigemengt war ihm ein Antihistamin, das die allergischen Reaktionen verringerte. Nach einer Pause erhielt ein Teil der Probanden nur noch die Erdbeermilch zu trinken. Sie wirkte fortan genauso gut wie das Medikament. Das Immunsystem hatte offenbar gelernt, dass Erdbeergeschmack mit einem Hauch Lavendel gegen die Allergie hilft.

 

Wer grundsätzlich optimistisch ist, hoffnungsvoll das Positive sieht, hat größere Chancen vom Placeboeffekt zu profitieren

 

Allerdings funktioniert der Mechanismus, der dem Effekt zugrunde liegt, auch anders herum. Das ist dann der Noceboeffekt. Yvonne Nestoriuc, Professorin für Klinische Psychologie an der Helmut- Schmidt-Universität in Hamburg, nennt ihn den „bösen Zwilling“ des Placeboeffekts. Zu beobachten ist er etwa beim Absetzen von Medikamenten: Ein Patient, der mit negativen Folgen einer geringeren Dosierung rechnet, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die befürchteten Folgen eintreten.

 

Bei Depressionen erschwert dieser Mechanismus, eine Behandlung zu beenden, „weil die Menschen dann womöglich überzeugt sind: Sobald ich mein Antidepressivum absetze, kommt die Depression zurück“, so Nestoriuc. Kurz gesagt: Negative Erwartung verstärkt negative Wirkung. Wie sich das vermeiden lässt? Es bleibt viel zu tun für Forscherinnen und Forscher.

Die Neurologin Professor Ulrike Bingel leitet seit 2020 an der Universität Essen das Forschungsprojekt „Treatment Expectation“, einen Verbund von 19 Teams aus Neurologen, Psychologen, Psychiatern, Physikern und Biologen.

 

Frau Professor Bingel, der zentrale Begriff der Placeboforschung lautet „positive Erwartung“. Was genau ist damit gemeint – das Naturell eines Menschen oder die Erwartung
in einer bestimmten Situation?

Es geht um die Erwartung, die auf eine Therapie, einen körperlichen oder seelischen Zustand gerichtet ist. Wenn ich etwa ein bestimmtes Medikament einnehme, wird das bestimmte Folgen haben. Erwartung ist keine Charaktereigenschaft, sondern ein dynamisches Konstrukt. Sie kann sich im Laufe des Lebens verändern, je nachdem, welche Erfahrungen man macht und welche Informationen man erhält – und wie man diese dann für sich bewertet.

 

Wie positiv muss die Erwartung sein, damit der Körper Prozesse auslöst, die zur Heilung beitragen?

Wie viel Erwartung richtig ist, ist sehr unterschiedlich und lässt sich nicht pauschal beantworten. Positiv ausgerichtete Erwartung ist besser als keine Erwartung zu haben. Und viel besser als negative Erwartung. Die Erwartung darf aber auch nicht übersteigert sein. Wenn sie so hoch ist, dass der Körper sie nicht erfüllen kann, bricht die Erwartung und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nimmt Schaden.

 

Wenn ich Kollegen berate, wie sie am besten mit Patienten kommunizieren, rate ich dazu, immer realistische Ziele zu setzen. Oft lässt sich eine Behandlung schon verbessern, indem man Patienten mit negativen Erfahrungen wieder zu einer offenen Erwartung verhilft und sie von Befürchtungen befreit.

 

Welche Faktoren haben Einfluss auf die Erwartungshaltung?

Für manche Patienten ist es hilfreich, die Wirkweise von Medikamenten zu verstehen. Für einige auch, den Erfolg einer Therapie bei anderen Menschen beobachtet zu haben. Wieder andere stimmt es positiv, einen informativen Artikel zu lesen. Und bei manchem löst der Satz „Wenn Sie meine Mutter wären, würde ich es genauso machen“ eine positive Erwartung aus. Es gibt unterschiedliche Wege, die Erwartung in die richtige Richtung zu lenken.

 

Wie ist es zu erklären, dass der Placebo-Effekt auch dann eintreten kann, wenn der Patient weiß, dass er ein Placebo, also ein Medikament ohne Wirkstoff erhält?

Das ist ein spannendes Phänomen. Wir wissen nur, dass es funktioniert. Aber nicht genau, warum, für wen und wie lange diese Effekte halten. Ich habe darauf keine Antwort, denn mit Erwartung hat das ja erst mal nichts zu tun.

 

Ich vermute, dass mir ein Open-Label-Placebo – ein Medikament, von dem der Patient weiß, dass es keinen Wirkstoff enthält – insbesondere dann helfen kann, wenn ich offen für die Idee bin, dass es mir helfen kann.

 

Geht es mir dann eines Morgens besser, was ja auch im natürlichen Verlauf von Erkrankungen mal passiert, schlage ich diese Verbesserung dem Open-Label-Placebo zu. So baut sich mit der Zeit durch Erfahrungen, die ich möglicher weise ohnehin gemacht hätte, eine Erwartung auf. Ich kann das nicht belegen, aber Studien unterstützen diese Vorstellung, da sich diese Effekte meistens erst nach sieben bis zehn Tagen einstellen.

 

Das bedeutet, dass ein Open-Label-Placebo nicht wie ein Lichtschalter funktioniert, den man einschaltet, son-dern das Placebo gleicht eher einem trojanischen Pferd, das einen öffnet für diesen Prozess und Selbstheilungs-kräfte selbstwirksam nutzbar macht. Die Zeit und zukünftige Forschung wird zeigen, welchen Stellenwert die OLPs im klinischen Alltag bekommen. Vielleicht werden sie mal ein Mosaikstein in unserem therapeutischen Armamentarium.

 

Der Königsweg besteht für mich aber darin, nicht unbedingt die Placebos, sondern die Erwartung zu nutzen, um bestehende und zu entwickelnde Therapien wirksamer und verträglicher zu machen.

 

Ein Ziel ihres Forschungsprojekts ist es, den Effekt positiver Erwartungen verstärkt in Therapien einzusetzen. Bei welchen Krankheitsbildern ist das möglich bzw. sinnvoll?

In unserem Forschungsprojekt untersuchen wir den Effekt von Erwartungen auf chronische Schmerzen und Depressionen. Es gibt unzählige Studien, in denen neue Medikamente gegen Placebos getestet werden.

 

Und daraus wissen wir, dass bis zu zwei Drittel des gesamten Behandlungserfolgs bei Schmerz und Depression auf Placeboeffekte zurückzuführen sind. Deshalb sind das dankbare Forschungsfelder. Und sie sind extrem relevant, denn Depression und Schmerzen liegen in den Rankings der häufigsten Erkrankungen ja immer ganz vorne.

 

Das heißt, es gibt einen großen Bedarf, bestehende Therapien zu optimieren. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht auch bei anderen Erkrankungen sinnvoll ist, diese Effekte zu nutzen.

 

Wie lassen sich die Effekte positiver Erwartung dafür nutzen?

Ziel unserer Forschung ist es, bestehende Medikamente verträglicher zu machen, ihre Wirksamkeit zu steigern und ihre Nebenwirkungen zu verringern, indem man die Effekte positiver Erwartung nutzt. Die neuen Antikörpertherapien, etwa gegen Migräne, sind ein Segen, sehr wirksam, aber auch sehr teuer.

 

Benötigt man weniger Wirkstoff, erhöht sich die Wirksamkeit, und man könnte die Medikamente auch mehr Menschen anbieten. Auch Verträglichkeit ist ein großer Punkt. Jedes Jahr landen Tausende von Tonnen Medikamente im Müll, weil Menschen Angst vor der Therapie haben, schlechte Erfahrungen gemacht haben oder sich um Verträglichkeit sorgen. In der klinischen Realität dominieren also leider die Noceboeffekte.

 

Also die Umkehrung des Placeboeffekts, wenn negative Erwartungen die Wirksamkeit eines Medikaments oder einer Therapie bremsen. Es war zu lesen, dass Soziale Medien Noceboeffekte verstärken können.

Wir wissen, dass Medien, nicht nur Soziale Medien, großen Einfluss haben auf die Erwartungen von Patienten. Es gibt dazu tatsächlich Studien, etwa zu den Nebenwirkungen von Coronaimpfungen. Das Ergebnis: Je häufiger jemand Posts und Medienberichte gelesen hat über unerwünschte Nebenwirkungen, desto häufiger traten Nebenwirkungen wie Armschmerzen, Fieber oder Schüttelfrost auch auf. Das ist ein Problem, das uns noch lange beschäftigen wird.

 

Wie lassen sich Noceboeffekte vermeiden?

Das Beste, was man unternehmen kann, um den Noceboeffekt so klein wie möglich zu halten, sind Kommunikation und gute Aufklärung. Die meisten Patienten bekommen ein Rezept in die Hand gedrückt mit dem Satz: bitte zweimal täglich! Aber worin der individuelle Nutzen der Behandlung liegt, wie ein Medikament im Körper wirkt, wird häufig gar nicht kommuniziert.

 

Oder denken Sie an Beipackzettel, das sind Nocebotreiber par excellence! Dort ist auf drei Seiten ja nur von Tod und Verderben die Rede, aber weniger, wofür das Medikament gut ist. Das kommt aus dieser alten Denke, ein Medikament dockt an einen Rezeptor an, und dann gibt es eine Reaktion. Das stimmt zwar, aber eben nur zum Teil. Denn zusätzlich zu dieser spezifischen Wirkung auf Moleküle und Rezeptoren spielen Erwartungseffekte mit hinein und beeinflussen, ob sich etwas besser oder schlechter entwickelt.

 

Für ausführliche Gespräche ist im Praxisalltag wenig Zeit.

Das ist ein Riesenproblem. Dass Kommunikation ein essenzieller Bestandteil von Behandlung ist, der dazu führt, dass Medikamente besser wirken oder überhaupt eingenommen werden, diese Erkenntnis ist in der Begeisterung für das biomedizinische Verständnis, das sich vor rund 150 Jahren entwickelt hat, verloren gegangen.

 

Heißt das, dass die Erforschung von Placeboeffekten auch als Wiederbelebung alten medizinischen Wissens zu verstehen ist?

Ich sehe darin eine Renaissance von Heilkunst, die inzwischen empirisch begründet ist. Phänomenologisch ha-ben die großen Denker der Antike das alles schon beschrieben. Unser Ziel ist es, das wissenschaftliche fundierte Wissen, dass Kontext und Kommuni-kation eine wichtige Rolle spielen, in die Schulmedizin zu integrieren.

 

Heißt das auch, dass die der Homöopathie zugesprochenen Wir-kung in erster Linie auf dem Effekt positiver Erwartung beruht?

 

Genau. Was bei homöopathischen Behandlungen wirkt, wissen wir: Kommunikation, personalisierte Strategien, Vertrauen, Rituale – all das ist empirisch belegt. Das heißt, was bei der Homöopathie wirkt, sind nicht die Globuli, sondern das Vertrauen, dass ich in die Methode und die ärztliche Erstanamnese setze.

 

Alles andere entbehrt jeder Logik und jeder wissenschaftlichen Erkenntnis. Die Homöopathie vereint eine Reihe von Dingen, von denen wir wissen, dass sie positive Erwartungen und Placebo-Effekte maximieren. Nur die Globuline braucht es nicht.

 

 

 

 

Ein Ziel Ihres Forschungsprojekts ist es, den Effekt positiver Erwartungen verstärkt in Therapien einzusetzen. Bei welchen Krankheitsbildern ist das möglich bzw. sinnvoll?

In unserem Forschungsprojekt untersuchen wir den Effekt von Erwartungen auf chronische Schmerzen und Depressionen. Es gibt unzählige Studien, in denen neue Medikamente gegen Placebos getestet werden. Und daraus wissen wir, dass bis zu zwei Drittel des gesamten Behandlungserfolgs bei Schmerz und Depression auf Placeboeffekte zurückzuführen sind.

 

Deshalb sind das dankbare Forschungsfelder. Und sie sind extrem relevant, denn Depression und Schmerzen liegen in den Rankings der häufigsten Erkrankungen ja immer ganz vorne. Das heißt, es gibt einen großen Bedarf, bestehende Therapien zu optimieren. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht auch bei anderen Erkrankungen sinnvoll ist, diese Effekte zu nutzen.

 

Wie lassen sich die Effekte positiver Erwartung dafür nutzen?

Ziel unserer Forschung ist es, bestehende Medikamente verträglicher zu machen, ihre Wirksamkeit zu steigern und ihre Nebenwirkungen zu verringern, indem man die Effekte positiver Erwartung nutzt. Die neuen Antikörpertherapien, etwa gegen Migräne, sind ein Segen, sehr wirksam, aber auch sehr teuer. Benötigt man weniger Wirkstoff, erhöht sich die Wirksamkeit, und man könnte die Medikamente mehr Menschen anbieten. Auch Verträglichkeit ist ein großer Punkt.

 

Jedes Jahr landen tausende von Tonnen Medikamente im Müll, weil Menschen Angst vor der Therapie haben, schlechte Erfahrungen gemacht haben oder sich um Verträglichkeit sorgen. In der klinischen Realität dominieren also leider die Noceboeffekte.

 

Also die Umkehrung des Placeboeffekts, wenn negative Erwartungen die Wirksamkeit eines Medikaments oder einer Therapie bremsen. Es war zu lesen, dass Soziale Medien Noceboeffekte verstärken können.

Wir wissen, dass Medien, nicht nur Soziale Medien, großen Einfluss haben auf die Erwartungen von Patienten. Es gibt dazu tatsächlich Studien, etwa zu den Nebenwirkungen von Coronaimpfungen. Das Ergebnis: Je häufiger jemand Posts und Medienbe-richte gelesen hat über unerwünschte Nebenwirkungen, desto häufiger traten Nebenwirkungen wie Armschmerzen, Fieber oder Schüttelfrost auch auf. Das ist ein Problem, das uns noch lange beschäftigen wird.

 

Wie lassen sich Noceboeffekte vermeiden?

Das Beste, was man unternehmen kann, um den Noceboeffekt so klein wie möglich zu halten, sind Kommunikation und gute Aufklärung. Die meisten Patienten bekommen ein Rezept in die Hand gedrückt mit dem Satz: bitte zweimal täglich! Aber worin der individuelle Nutzen der Be-handlung liegt, wie ein Medikament im Körper wirkt, wird häufig gar nicht kommuniziert. Oder denken Sie an Beipackzettel, das sind Nocebotreiber par excellence!

 

Dort ist auf drei Seiten ja nur von Tod und Verderben die Rede, aber weniger, wofür das Medikament gut ist. Das kommt aus dieser alten Denke, ein Medikament dockt an einen Rezeptor an, und dann gibt es eine Reaktion.

 

Das stimmt zwar, aber eben nur zum Teil. Denn zusätzlich zu dieser spezifischen Wirkung auf Moleküle und Rezeptoren spielen Erwartungseffekte mit hinein und beeinflussen, ob sich etwas besser oder schlechter entwickelt.

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