Frischer, gesünder, strahlender und in den meisten Fällen gerne auch etwas jünger. Der Trend in der Schönheitschirurgie geht immer stärker in Richtung Natürlichkeit, glaubt man den Aussagen plastisch-ästhetischer Chirurg:innen. Der Wunsch der Patient:innen: Das Äußere soll nicht komplett verändert werden, man möchte einfach eine „bessere Version seiner selbst“. Dennoch trifft man in der Realität – allen voran in den sozialen Medien – sehr oft auf Gesichter, die es anatomisch so eigentlich gar nicht geben könnte: verrutschte Augenbrauen, riesige Lippen, zu schmale Nasen oder Wangengrübchen, die eher Gruben gleichen. Das ist das eine Phänomen. Das andere – sehr viele der behandelten Gesichter scheinen dieselben (Doktor-)Väter oder Mütter zu haben, denn sie ähneln sich alle auf die eine oder andere Weise.
Wir sprachen mit Dr. Caroline Kim, Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie, über den Wunsch nach Optimierung, sich wandelnde Schönheitsideale und darüber, warum immer noch der Blick für das richtige Maß verloren geht.
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In der Schönheitschirurgie sind Lippen ein beliebtes Objekt der Optimierung
Wie kann es sein, dass in der ästhetischen Medizin die Natürlichkeit propagiert wird, wenn es immer mehr Gesichter gibt, bei denen kaum noch etwas natürlich anmutet? Stichwort Russian Lips, Schweinchennase oder Bullhorn Lift.
Es kommen immer wieder Trends auf, die sich mal mehr, mal weniger lange halten. Bei den Russian Lips geht es darum, nur den mittleren Lippenbereich, also die sogenannte Herzform, mit Hylauronsäure anzuheben, statt das Gesamtvolumen der Lippen zu erhöhen. Diese übertrieben füllige Lippenmitte ist zwar nicht natürlich, dennoch kann ein schönes Ergebnis erzielt werden. Der sogenannte Bullhorn Lift wiederum verringert den Abstand zwischen Oberlippe und Nasenspitze, wodurch wieder mehr Lippenrot sichtbar und der Amorbogen betont wird – beides Attribute eines jugendlichen Gesichts.
An und für sich ein simpler Eingriff, doch die Narbe, die dadurch entsteht, verläuft leider oft dauerhaft als sichtbare Linie unterhalb der Nasenlöcher. Was die Schweinchen- oder auch Igelnase angeht: Dabei wird die Nase so verkürzt und angehoben, dass man von vorne in die Nasenlöcher schauen kann. Ein völlig unsinniges Unterfangen, das in Deutschland bisher auch noch nicht wirklich etabliert ist. Das sind jetzt natürlich extreme Beispiele, aber auch klassische Eingriffe punkten nicht immer mit schönen Ergebnissen. Immer mal wieder trifft man auf ein Gesicht, bei dem man sich unweigerlich denkt: Wie sieht das denn aus?
Eigentlich sieht man immer nur das, was bei einem Eingriff nicht optimal gelaufen ist. Warum? Gibt es im Gesicht einen Aspekt, der so dominant ist, dass er den Blick des Gegenübers einfängt, kann man gar nicht anders als sich komplett darauf zu fokussieren. Das Gehirn möchte immer ein stimmiges Ganzes sehen, kann dies aber zum Beispiel durch eine total überspritzte Lippe nicht mehr, da die Gesamtharmonie gestört ist. Alles, was sehr gut gemacht wurde, sieht man hingegen nicht. Und erfreulicherweise verlaufen die meisten Behandlungen sehr zufriedenstellend.
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Das Know-how der Ärzte hat sich gewandelt. Es gilt nicht mehr: einmal gelernt, immer angewandt
Doch wie kann es überhaupt dazu kommen, dass man so offensichtlich unnatürlich aussieht?
Wenn man sich für eine ästhetische Maßnahme entscheidet, lässt man
oft etwas ändern, was einen schon länger gestört hat. Meist ist dies ein eher kleiner Eingriff, der jedoch einen ziemlich positiven Effekt auslöst. Beim Patienten selbst, aber auch in seinem Umfeld. Man fühlt sich attraktiver, jünger und vitaler, bekommt Komplimente. Sehr viele möchten diesen Effekt dann steigern, in der Hoffnung, mit mehr Eingriffen noch besser auszusehen. Und dadurch opfern sie ihre Natürlichkeit dem eigenen Ehrgeiz nach perfekter Attraktivität. Ein Trugschluss, denn zu viele Behandlungen bewirken meist das Gegenteil.
Wäre es dann nicht Sache des Arztes hier einzugreifen?
Auf jeden Fall, aber leider gibt es immer irgendwo einen Arzt, der weitermacht. Wir nennen das übertherapieren.
Nicht nur Schönheitstrends ändern sich im Laufe der Zeit, auch die Behandlungsmethoden und Operationstechniken werden immer innovativer und besser. Leider sieht man das den Menschen an, die zum Beispiel vor 20 Jahren etwas haben machen lassen. Woran liegt das?
Generell entsprechen die damals angewandten Techniken sowie die erreichten Ergebnisse nicht mehr den heutigen Standards. So ging man beispielsweise vor ein paar Jahren noch davon aus, dass Filler der Schlüssel zum Erhalt der Jugendlichkeit sind. Heute weiß man, dass man eine Nasolabialfalte zwar mit Fillern auffüllen kann, der Filler aber hier, wie auch an anderen Stellen, migrieren kann. Im Falle der Nasolabialfalte wandert er gerne nach außen und oben, sodass am Ende die Falte noch viel ausgeprägter und auffälliger wird. Im nächsten Schritt wird dann ein Lifting gewünscht, obwohl eigentlich besser der Filler aufgelöst werden müsste.
Auch das Know-how der Ärzte hat sich gewandelt. Es gilt nicht mehr: einmal gelernt, immer angewandt. Durch zahlreiche Fortbildungen, medizinische Kongresse und natürlich auch die eigenen Erfahrungen und Erkenntnisse können wir Ärzte deutlich bessere und immer natürlichere Ergebnisse erzielen.
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Vorsicht vor dem sogenannten Buccal Fat Removal – da dieser Eingriff dauerhaft ist, fehlt im Alter genau das Fett in den Wangen, was zu einem eingefallenen Aussehen führt
Können die Fehler von damals effektiv behandelt beziehungsweise ausgebessert werden, und wie vermeidet man dies für die Zukunft?
Wenn man es mit sehr experimentierfreudigen Menschen zu tun hat, ist das manchmal nicht so einfach. Manches kann man rückgängig machen, anderes leider nicht. Eine schiefgelaufene Unterlidstraffung zum Beispiel ist nicht einfach zu korrigieren. Hyaluronsäure, die sich verkapselt hat oder im Gewebe gewandert ist, lässt sich dagegen gut auflösen. Und man muss auch keine Angst haben, dass mit dem Gegenmittel, der sogenannten Hyaluronidase, auch die körpereigene Hyaluronsäure entfernt wird, weil diese sich ständig neu bildet.
Was man jedoch sehr kritisch beobachten sollte, ist das momentan so gehypte Buccal Fat Removal. Hier wird das Wangenfett operativ entfernt, wodurch das Gesicht schlanker wird, Wangenknochen definierter hervortreten und auch Jochbein und die Kieferlinie stärker betont werden. Da dieser Eingriff jedoch dauerhaft ist, fehlt im Alter genau dieses Fett, was zu einem eingefallenen Aussehen führt und die Patienten letztendlich schneller altern lässt. Ich persönlich würde davon immer abraten.
Hat man bei älteren Patient:innen oft das Gefühl, hier stimmt etwas nicht, entscheiden sich vor allem junge Frauen für ästhetische Eingriffe, die ihnen einen Standardlook geben – weg von der Individualität hin zu einer Art Konformität der Gesichtszüge.
Hier kann man die Antwort sicher in den sozialen Medien finden, in denen Influencer, Models oder Schauspielerinnen gewisse Schönheitsideale wie zum Beispiel vollere Lippen oder markantere Augenbrauen vorgeben und dadurch einen Einheitslook kreieren. Und da junge Frauen öfter dem optischen Ideal ihres Vorbildes nacheifern, entscheiden sie sich für ebendiese ästhetischen Veränderungen. Glücklicherweise sind das minimalinvasive Eingriffe, sie können also rückgängig gemacht werden oder sie heben sich im Laufe der Zeit von alleine wieder auf, Stichwort Botox. Und auch der Wunsch, wie jemand anders auszusehen, lässt bekanntermaßen mit fortschreitendem Alter nach.
Wie erreicht man nun mit einem minimalinvasiven oder invasiven Eingriff ein natürliches Ergebnis?
Der Fokus liegt darauf, eine gewisse Harmonie und Weichheit des Aussehens zu erzielen, was meist dadurch gelingt, dass man sich wiederholende Richtungsimpulse durchbricht. Ein einfaches Beispiel: Hat eine Person Schlupflider und leicht abfallende Mundwinkel, wirkt das Gesicht müde, traurig und alt. Entferne ich nur die Schlupflider und schaffe dadurch einen offenen Blick, fallen die Mundwinkel nicht mehr so stark ins Gewicht – das Gesicht wirkt fröhlicher. Entfernt man wiederum ein störendes Muttermal, wirken in der Nähe liegende Falten viel unauffälliger, weil der Blick nicht mehr ganz so scharf fokussiert auf diese Region gerichtet wird.
Auch gut zu wissen: Vertikale Falten und Narben fallen viel mehr auf als Horizontale. Deshalb lohnt es sich immer, die sogenannte Zornesfalte und die Lippenfältchen zu behandeln, um damit das ganze Gesicht frischer wirken zu lassen. Wenn man so will, schaffen wir optische Illusionen, indem wir durch clevere Treatments von kleinen optischen Fehlern ablenken. Generell gibt es in der ästhetischen Medizin ein paar Regeln, mit denen der Patient und sein Umfeld keine bösen Überraschungen erleben werden.
Wir Fachärzte können schon mit kleinen Eingriffen eine große Wirkung erzielen, indem wir zum Beispiel Asymmetrien und Disproportionen ausgleichen und durch diese Harmonisierung die Detailwahrnehmung reduzieren. Ziemlich oft stellt sich beim ersten Beratungsgespräch nämlich heraus, dass viel weniger Handlungs- beziehungsweise Behandlungsbedarf besteht als zunächst vom Patienten angenommen.