6. März 2023

Rita Kohlmaier

Marianne Koch und die hohe Kunst des Nichtaltwerdens

Filmstar, Mutter, Ärztin, Radioratgeberin, Bestsellerautorin … Marianne Koch hatte und hat viele Karrieren. Warum sie auch mit 91 Jahren überhaupt nicht daran denkt, alt zu werden

© Fotos: Picture Alliance, Privat

Marianne Koch
Biografie im Schnelldurchlauf

 

1931 in München geboren, Abitur mit 17. Während des Medizinstudiums landet sie durch Zufall und ohne entsprechende Ausbildung im Filmbusiness. Und bleibt erstmal. 20 Jahre lang gilt Marianne Koch als der Star im Nachkriegs- und Wirtschaftswunder- Deutschland mit gelegentlichen Einsätzen in Hollywood. Dann kehrt sie mit 40, Mutter zweier halbwüchsiger Jungs, an die Uni zurück. Bis Ende 60 ein gutes und erfülltes Leben als Internistin. Heute schreibt sie über das, was ihr wichtig ist: Medizin, Gesundheit, Körperintelligenz. Ihre Bücher werden Bestseller, und spätestens seit ihrem großen Erfolg mit „Alt werde ich später“ gilt Marianne Koch als die Expertin für gelingendes Älter-Werden in Würde und voller Tatendrang. Und als Inspiration dafür, dass es sich lohnt, den eigenen Ideen und Träumen zu folgen.

Frau Dr. Koch, wenn Sie auf Ihre lange und durchgehend erfolgreiche Karriere – oder besser: Ihre zahlreichen Karrieren – zurückblicken, was lässt Ihr Herz heute höher- schlagen, worauf sind sie ganz besonders stolz?

Stolz? Stolz bin ich auf meine Kinder und Enkel. Aber ich gebe zu, dass der Tag, an dem ich im Alter von 45 Jahren das medizinische Staatsexamen endgültig geschafft hatte – noch dazu mit Bestnote –, schon ein besonderer in meinem Leben war. Und ziemlich stolz bin ich auf meine Paracelsus-Medaille, die höchste und sehr seltene Auszeichnung, die die deutsche Ärzteschaft vergibt.

 

Sie waren ein international bekannter Filmstar, als Sie mit 40 zurück an die Uni gingen und Medizin studierten. Von Ihrer Arztpraxis wechselten Sie mit 68 Jahren in den Journalismus, schrieben Ihr erstes von zahlreichen Büchern über medizinische Themen – Sie scheinen keine Scheu vor einem Neubeginn zu kennen. Woher nehmen Sie so viel Vertrauen in sich selbst?

Man kann dieses Sich-in-neue-Aufgaben-Stürzen auch tollkühn oder überheblich nennen. Aber ich denke, meine Mutter hat uns, meinem Bruder und mir, als wir klein waren immer Mut gemacht: Traut euch, ihr seid prima Kinder, Ihr schafft das schon! Selbstvertrauen, das man als Kind entwickelt, halte ich für unendlich wichtig. Es hilft einem ein ganzes Leben lang.

 

Immer mehr Menschen sind heutzutage gefordert, sich beruflich neu zu orientieren. Manche kommen gut damit zurecht, andere tun sich wahnsinnig schwer. Denken Sie, man kann es lernen, ohne allzu große Angst ganz neu anzufangen?

Aber sicher. Mutig sein ist ohnehin eine der wichtigsten Eigenschaften beim Älterwerden. Und ja: Ich habe öfters gesehen, dass gerade ältere Menschen richtig aufgeblüht sind, wenn sie ihre bisherige Routine aufgegeben und Neues gewagt haben. Es ist sicher richtig, dass man als nicht mehr junger Mensch größere Hemmungen hat oder geringere Antriebskräfte entwickelt, um etwas ganz Neues zu beginnen – sei es nur ein Kurs an der Volkshochschule oder die Teilnahme an einer Reisegruppe. Trotz der anfänglichen Bedenken ent- wickeln die Leute dabei oft nicht nur neue interessante Ideen und neue Blicke auf die Welt, sondern sie erleben auch neue Freundschaften. Vor allem bei einem Umzug an einen anderen Ort oder in eine andere Stadt ist es wichtig, dass man dort rasch soziale Kontakte knüpft.

 

In Ihrem jüngsten Buch, das Sie zu Ihrem 90. Geburtstag herausbrachten, haben Sie sich ausführlich mit der Kunst des Älterwerdens beschäftigt und Ihrem Werk dann den etwas rebellischen Titel „Alt werde ich später“ gegeben. Nur, ab wann wird man eigentlich alt?

Gute Frage. Ich denke, alt kann man auch schon mit 30 oder 40 sein. Nämlich dann, wenn man der Über- zeugung ist, man habe für sein Leben genug gelernt, und wenn man seine Ansichten grundsätzlich für unverrückbar hält. Auf den Titel des Buches bin ich durch mein Lieblingszitat gekommen. Die New Yorker Schriftstellerin Bel Kaufman, Enkelin von Sholem Aleichem, wurde gefragt, wieso sie mit über 90 Jahren noch so fit und lebendig sei. Sie antwortete: „Ich bin zu beschäftigt, um alt zu werden. Wenn ich mal Zeit habe, werde ich mich hinsetzen und alt werden. Aber jetzt habe ich zu viel zu tun.“

© Picture Alliance

Marianne Koch mit Clint Eastwood in „Für eine Handvoll Dollar“.

© Picture Alliance

Volker Schlöndorff traf sie 1986 bei der Premiere von „Tod eines Handlungsreisenden“.

Mutig sein ist eine der wichtigsten Eigenschaften beim Älterwerden”

Sie sind für „vergnügtes Älterwerden“, wie Sie es nennen. Und gelten als beneidenswertes Beispiel dafür, dass man zwar älter werden kann, aber doch nicht wirklich altert. Was bedeutet Älterwerden für Sie, ganz persönlich?

Ich habe das große Glück, dass ich mich nach wie vor gesund fühle und auch geistig noch ziemlich fit zu sein scheine – also nicht so viel anders als vor zehn oder fünfzehn Jahren. Aber selbstverständlich macht es etwas mit dem Bewusstsein, wenn das Alter mit einer 9 beginnt. Die Endlichkeit des Lebens, die das Leben ja so wertvoll macht, kommt eben näher.

 

Kaum jemand freut sich übers Älterwerden, jeder möchte möglichst lange jung bleiben. Sie kennen offenbar die goldene Regel. Was hält uns jung?

Tatsächlich gibt es vier goldene Regeln:

  1. Gesunde Ernährung
  2. Regelmäßige körperliche Bewegung
  3. Lebenslanges Lernen
  4. und ganz wichtig: viele soziale Kontakte, um der schlimmsten Alterskrankheit, der Einsamkeit, zu entgehen.

 

Machen Sie Sport?

Naja, ich habe früher viel Sport gemacht: Tennis, Skifahren, Wasserski, Segeln. Alles nicht besonders gut, aber mit viel Spaß. Heute gehe ich täglich mit meinem kleinen Hund eine halbe oder dreiviertel Stunde spazieren.

 

Diäten, Kuren, Fastentage, Wellness-Wochen? Wie tanken Sie am besten auf?

Nichts dergleichen. Ich bin nicht so der Wellness-Typ. Meine Mutter hat mir nicht nur die Liebe zur klassischen Musik und zur bildenden Kunst vermittelt, sondern auch das Interesse an der Natur. Ich komme gerade nach Hause von einem wunderbaren Spaziergang durch den Wald mit den schon golden verfärbten Bäumen, durch die noch saftigen Wiesen, in der Ferne der glitzernde See und die Berge – erholsamer geht es nicht.

 

Wann fühlen Sie sich selbst am Wohlsten?

Unterschiedlich. Oft im Studio von Bayern2 beim Gesundheitsgespräch, wenn die Hörerinnen und Hörer kluge und spannende medizinische Fragen stellen und wo ich mich mit meinen Moderatoren so gut verstehe. Aber auch bei einem schönen Abendessen mit meinen Freunden oder meiner Familie.

 

Schon in der Antike gab es den Begriff der Lebenskunst. Was damals von Tugend und Ethik, auch von Askese, geprägt war, hat heute recht häufig mit Work-Life-Balance zu tun. Wozu tendieren Sie? Wie würden Sie Lebenskunst verstehen?

Sie gehen von einem sehr privilegierten Zustand der Menschen aus. Sie haben recht: Die Ausgewogenheit zwischen Arbeit und Leben ist wichtig. Ich fürchte aber, statt Work-Life-Balance geht es bei den meisten Leuten derzeit um Probleme wie „Kann ich meine Miete noch zahlen?“, „Warum sind die normalen Lebensmittel auf einmal so wahnsinnig teuer?“ oder „Was kann ich tun, um im Winter nicht zu frieren?“. Entschuldigung – aber Lebenskunst wird sich derzeit um diese Probleme drehen müssen. Und ich bin zuversichtlich, dass die Menschen das mit allem Mut angehen werden.

© Picture Alliance

Mit Sohn Thomas im Jahr 1958

© Picture Alliance

Marianne Koch mit Sidney Poitier bei den Berliner Filmfestspielen

„Ein Leben zwischen Sofa, Balkon und Katze streicheln? Das ist nichts für mich.“

Neben all Ihren Aktivitäten haben Sie über Jahre hinweg auch die „3 nach 9“-Talkshow moderiert, waren viele Jahre Star in der ersten Rate-Show „Was bin ich?“ im deutschen Fernsehen. Von außen betrachtet gingen Ihnen die Dinge immer leicht von der Hand. Dennoch, jeder Mensch erlebt auch seine ganz dunklen Stunden. Was hilft in solchen Zeiten? Oder hilft am Ende nichts, muss man es einfach aushalten?

Selbstverständlich habe auch ich Niederlagen, schwierige Zeiten und – vor allem – Verluste erlebt. Und je älter man wird, desto größer ist natürlich die Zahl der Freunde, die man verliert. Der Verlust eines geliebten Menschen ist allerdings das Schlimmste, etwas, auf was einen niemand vorbereiten kann. Ich denke, dass der einzige wirkliche Trost in dieser Situation die Rückschau auf die Jahre des gemeinsamen Lebens und Erlebens ist – und dass man dies als großes Geschenk empfinden sollte.

 

Ob Schauspielkunst, die Medizin oder der Journalismus und das Bücherschreiben – so unterschiedlich Ihre Karrieren auch waren und sind, eins haben all Ihre beruflichen Statio- nen gemeinsam: Man kann nur Erfolg haben, wenn man die Menschen auch erreicht, wenn man eine Verbindung schafft, sie sozusagen berührt. Ist es das, was Ihr Leben eigentlich aus- macht? Die Kunst, eine intensive, sinnstiftende Verbindung zu anderen Menschen herzustellen?

Uhhh – das sind große Worte. Ja, sicher interessiere ich mich für Menschen. Ob das eine Kunst ist, weiß ich nicht. Jedenfalls ist es die Voraussetzung für den Beruf einer Ärztin.

 

Einmal pro Woche sind Sie im Bayerischen Rundfunk, wo Sie live mit Anrufern deren medizinische Fragen und Sorgen besprechen. Was macht den Erfolg der Sendung aus?

Das müsste man eigentlich die Hörerinnen und Hörer fragen. Es hat sicher etwas mit dem Zeitmangel der Hausärzte zu tun, die es nicht schaffen, alle Fragen ihrer Patienten zu beantworten. Vielleicht auch mit unserem Schulsystem, dem es nicht gelingt, den menschlichen Körper und seine Funktionen jeweils altersgerecht zu erklären. Aber wahrscheinlich auch mit der Großzügigkeit des Bayerischen Rundfunks, der uns für diese Stunde völlig freie Hand lässt für die Gespräche mit den Anrufern.

 

Sie geben den Menschen, die sich dort an Sie wenden, Informationen, Empfehlungen und oft auch Trost und Zuversicht. Was geben die Menschen Ihnen? Bekommen Sie etwas zurück?

Zum einen: Ich bin dort nicht die einzige Expertin; wir haben oft andere Ärzte und Ärztinnen – Spezialisten – als Gäste. Und selbstverständlich bekommt man von den Menschen unglaublich viel zurück. Es ist total befriedigend, wenn man bei einem Patienten Ängste zerstreuen oder Verständnis für eine Therapie vermitteln kann.

 

Sie sind 91 Jahre alt und arbeiten intensiver als so mancher 30-Jährige. Was antworten Sie jemandem, der sagt: Willst du dich nicht endlich einmal zur Ruhe setzen?

Jetzt übertreiben Sie fürchterlich. Ich interessiere mich nach wie vor für alle medizinischen Neuigkeiten – aber so viel arbeite ich weiß Gott nicht. Und was verstehen Sie unter „zur Ruhe setzen“? Ein Leben zwischen Sofa, Balkon und Katze streicheln? Das ist nichts für mich – Katze streicheln schon.Ich freue mich darauf, wieder zu meinen Kindern in die USA reisen zu können, sobald diese schwie- rigen Zeiten besser werden. Und schließlich erkläre ich den Leuten ständig, dass das Wichtigste ist: beweglich bleiben – körperlich und geistig.

 

Ein Blick in die Zukunft: Was sind Ihre nächsten Pläne? Ein neues Projekt? Ein neues Buch? Vielleicht eine Autobiografie?

Keine Ahnung – aber sicher keine Autobiografie.

Das Interview führte
Rita Kohlmaier

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