25. November 2024

Stephanie Neumann-Johnston

Die Supergrannies von der Côte d’Azur

Südfrankreich hat weit mehr zu bieten als Traumstrände und Superyachten: Frauen, die mit Geschmack und guter Laune sämtliche Gesetze des Älterwerdens auf den Kopf stellen

Der Ort Villefranche zur Mer

@ Adobe Stock

Vor ein paar Jahren erfüllten mein Mann und ich uns unseren großen Traum: ein zweites Zuhause an der südfranzösischen Küste. Dort, wo es, wenn bei uns die Eisblumen blühen, nach süßem Jasmin duftet. Wo Oleander zu haushohen Bäumen wachsen, der Markt mit den köstlichsten Tomaten und süßesten Pfirsichen der Welt lockt und sich eine malerische Bucht an die andere reiht.

 

Womit ich allerdings niemals im Leben gerechnet hätte: Dass ich in diesem kleinen Fischerort mit seinen paartausend Einwohnern einer Kategorie von Frau begegnen würde, die all das noch in den Schatten stellen sollte: die Supergranny.

 

Jawohl, Supergranny. Damit meine ich Frauen eines gewissen Alters, die sich so selbstverständlich jugendlich geben und inszenieren, dass es unmöglich ist, ihr wahres Alter auszumachen. Bei denen man niemals auf die Idee kommen würde, sie Rentnerinnen zu nennen – obwohl sie das natürlich sind.

 

Man sieht sie mit wagenradgroßen Hüten und Sophia-Loren-Sonnenbrillen in Cafés eifrig in ihre Handys tippen

 

Und von diesen Großmüttern der Superlative gibt es aus irgendeinem unerfindlichen Grund bei uns im Ort Hunderte. Man sieht sie mit wagenradgroßen Hüten und Sophia-Loren-Sonnenbrillen in Cafés eifrig in ihre Handys tippen, leichtfüßig in bunten Sandalen und flatternden Kleidern durch die schmalen Gassen flanieren. Und vor allem sieht man sie morgens am Strand. Denn zwischen acht und neun Uhr früh schlägt hier die Stunde der Supergrannies.

 

Schon von weitem erkennt man sie an ihren aufregend gemusterten Badeanzügen und Bikinis, gerne kombiniert mit einem passenden Kopftuch oder überdimensionalem Strohhut – oder beidem auf einmal. Ob Bäuchlein, graues Haar oder neues Knie: Nichts hält die Damen davon ab, sich so in Szene zu setzen, wie es ihnen Spaß macht. Und dass sie Freude an sich und am Leben haben, ist unübersehbar.

 

Natürlich spielt das Klima eine Rolle. Hier scheint gefühlte 365 Tage im Jahr die Sonne

 

Was nur ist ihr Geheimnis? Warum sehen sie alle aus, als hätten sie mit Anfang Sechzig die Zeit angehalten und weisen gleichzeitig im Gespräch munter auf ihr künstliches Hüftgelenk und ein Geburtsjahr weit vor der Zeit hin, als Charles de Gaulle Präsident war? Natürlich spielt das Klima eine Rolle. Hier scheint gefühlte 365 Tage im Jahr die Sonne.

 

Zartgebräunte Haut und ein warmes Lächeln stehen einfach jedem gut zu Gesicht. Dazu kommt das sonnengereifte Obst und Gemüse, das einen täglich auf dem Markt anleuchtet, der frisch gefangene Fisch, das köstliche Olivenöl. Ja, es wird einem leicht gemacht, gesund zu leben – vor allem in ständiger Gesellschaft von kilometerlangen Stränden und türkisblauem Meer.

Aber da ist noch mehr. Die Supergrannies von der Côte d’Azur haben auch eine bestimmte Haltung, die es sich lohnt, näher anzuschauen. Von wegen graue Gedanken und frustrierter Blick, weil alles nicht mehr so rund läuft wie mit Anfang Zwanzig. Mit geradem Rücken, wachen Augen und offenem Herzen gehen sie neugierig auf alles zu, was sie nicht kennen – inklusive mir.

 

„Elle est bonne, l’eau“ ruft mir eine Lady mit langem, silbergrauem Zopf vom Steg aus zu, als ich zögernd die Leiter ins Wasser hinabklettere. Ist das Meer noch warm genug, jetzt im Oktober? Es ist gut, wie sie sagt. Fantastisch, wunderbar! Mit einem Lächeln bin ich – schwupps – drin und finde mich nach ein paar Schwimmzügen in Gesellschaft ihrer strahlenden Kolleginnen, die sich hier zu ihrer täglichen Routine aus Aquasport und Quatschen zusammengefunden haben.

 

Sie sind nicht morgens die Ersten im Supermarkt, sondern die Ersten am Strand

 

Das Leben ist schön – vor allem, wenn man schön viel Zeit hat. Keiner weiß das besser als die Supergrannies. Deswegen verbringen sie sie nicht damit, mit praktischer Pensionistinnenfrisur, beigegrauer Funktionskleidung und Klettverschlussschuhen unsichtbar durch die Straßen zu schleichen.

 

Sie machen sich die Welt lieber, wie sie ihnen gefällt. Sie sind nicht morgens die Ersten im Supermarkt, sondern die Ersten am Strand. Richtig so! Was hat man schon zu verlieren? Warum sich einreihen in die Truppe der Unsichtbaren, wenn es an jeder Ecke die tollsten Klamotten gibt? Die Selbstverständlichkeit, mit der die Supergrannies zu Oversize-Overall oder Leotrenchcoat mit passender Handtasche greifen, tut gut und inspiriert.

 

Zu alt? Tant pis – uns doch egal! Sollen sie doch neidisch schauen, die Kids! Und wenn schon kniefreundliches Schuhwerk, dann bitte Sneakers mit extradicker Styler-Sohle und spektakulärem Muster in Grasgrün und Goldmetallic.

 

Für mich steht fest: Wenn ich groß bin, werde ich Supergranny

 

Und so kommt es, dass ich in meinen neuen Turnschuhen – natürlich hier im Ort gekauft – gut gelaunt durch die Gässchen spaziere, als vor mir die Sonne aufgeht: Eine Dame in zitronengelbem Hemd, royalblauer Hose und passender Kapitänskappe garniert mit einer dicken Goldkette kommt auf mich zu. Ich bin so geblendet, dass ich erst, als sie bereits an mir vorbei ist, bemerke, dass sie in Begleitung eines Rollators unterwegs ist. Was für eine Erscheinung! Was für eine Frau! Für mich steht fest: Wenn ich groß bin, werde ich Supergranny.

 

P.S. Ich habe auch schon den ein oder anderen Supergrandad gesichtet, vor allem ein Herr in weißem Anzug mit Schlaghosen, Panamahut und Plateausandalen bleibt mir in ewiger Erinnerung. Aber das ist durchaus ausbaufähig. Also allez, les Garçons, worauf wartet ihr noch!

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