„Eigentlich ist der Mensch von Natur aus so angelegt, durch die Nase zu atmen“
Leistungsfähigkeit und ein erholsamer Schlaf sind in hohem Maße von der Art abhängig, wie wir Luft holen. Warum Sie daher durch die Nase atmen sollten
© The Andy Warhol Museum, Pittsburgh, PA, a museum of Carnegie\r\nInstitute. All rights reserved. Film Still courtesy The Andy Warhol Museum
„Eigentlich ist der Mensch von Natur aus so angelegt, durch die Nase zu atmen“
Nase oder Mund? So seltsam, wie sie vielleicht klingt, ist diese Frage nach unserem bevorzugten Organ zum Luftholen gar nicht. Nasenatmung ist essenzieller, als man denkt. Und eigentlich ist der Mensch von Natur aus so angelegt, durch die Nase zu atmen. Das ist überlebenswichtig, weil es uns ermöglicht, gleichzeitig Luft zu holen und Nahrung aufzunehmen, ohne zu ersticken. Schon Neugeborene können über die Nase auch die Temperatur regulieren, mit der die Luft in die Lunge kommt – diese mag es nämlich weder zu warm noch zu kalt. Über die Flimmerhärchen werden auch schädliche Partikel und Bakterien aus der Luft abgefangen und geraten so nicht in die Lunge. Gleichzeitig wird die Atemluft befeuchtet.
Dass man mehr über den Mund atmet, beginnt oft damit, dass man im Kindesalter nicht so gut durch die Nase atmen kann. Und das setzt dann eine Kette von Ereignissen in Gang, die sich im weiteren Lebensverlauf in vielen Bereichen eindrucksvoll bemerkbar macht. Das betrifft nicht nur den Schutz der Atemorgane, sondern auch die Mundgesundheit: Wenn man dauernd mit dem Mund atmet, versiegt die Speichelproduktion, Zähne und Zahnfleisch werden anfällig für Bakterien. Wird das orale Mikrobiom zerstört, führt das zu Problemen wie Gingivitis, Parodontitis, Karies oder Mundgeruch.
Auch die körperliche und kognitive Leistungsfähigkeit leidet: Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass gewohnheitsmäßige Mundatmung in den Wach- und Schlafstunden zu Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, verminderter Leistungsfähigkeit und Stimmungstiefs führt. Und auch zu Übergewicht. Von kleiner Einschränkung bis hin zu massiven gesundheitlichen Problemen ist alles drin. „Die einzige Gelegenheit, vorübergehend auf die natürliche Nasenatmung zu verzichten und durch den Mund zu atmen, sollte sein, wenn man sich anstrengen und schneller mehr Luft in die Lunge bekommen muss, oder wenn die Nasengänge aufgrund von Verstopfung, Allergien oder einer Erkältung blockiert sind“, sagt der Augsburger Zahnarzt Dr. Christian Leonhardt. Dass sie mit dem Thema der richtigen Atmung auch beim Zahnarzt an der richtigen Stelle sein könnten, ist den meisten von uns wahrscheinlich neu.
1. Boxatmung
Diese Übung hilft, durch die Praxis der Nasenatmung zu entspannen. Wichtig: Beim Einatmen zuerst den Bauch ausdehnen, dann das Zwerchfell und zuletzt den Brustkorb; beim Ausatmen in umgekehrter Reihenfolge. Zunächst fünf Sekunden lang einatmen, dann den Atem fünf Sekunden lang anhalten. Dann fünf Sekunden lang ausatmen, anschließend den Atem fünf Sekunden lang anhalten. Drei- bis fünfmal wiederholen.
2. Wechselatmung
Mit geradem Rücken sitzen, Schultern, Nacken und Zunge entspannen. Dann die linke Hand auf das linke Knie legen und den rechten Daumen auf das rechte Nasenloch drücken. Durch das linke Nasenloch einatmen, den Atem anhalten und dann den Ringfinger und den rechten kleinen Finger zum linken Nasenloch bewegen und verschließen. Durch das rechte Nasenloch ausatmen, wieder einatmen und das Nasenloch mit dem Daumen verschließen. Dann das linke Nasenloch öffnen, ausatmen und wieder einatmen. Mehrmals wechseln.
3. Stoß-Ausatmung
Gerade sitzen, Schultern entspannt. Beide Hände auf den Bauch legen, die Handflächen zeigen nach oben. Den Mund schließen und tief durch die Nase einatmen. Der Bauch soll sich ruhig ausdehnen. Dann schnell und kräftig durch die Nase ausatmen, dabei den Bauch wieder einziehen lassen. So lange wiederholen, bis man einen angenehmen Rhythmus für sich gefunden hat. Dann kann man die die Intensität steigern.
„Nasenatmung ist essenzieller, als man denkt”
Woran erkennt ein Zahnarzt, ob jemand durch den Mund oder die Nase atmet?
Diejenigen, die schon als Kinder Mundatmer waren, haben im Erwachsenenalter eher einen hohen Gaumen, sehr eng stehende Zähne, einen fehlgebildeten Kiefer, einen gestörten Biss, eine falsche Zungenposition oder falsche Schluckmuster. Das bedeutet: Um diese Ausprägungen zu reduzieren, müssen wir die Patienten und Patientinnen so früh wie möglich screenen und auf myofunktioneller Ebene begleiten. Also an die Ursachen rangehen und nicht nur die Zähne gerade stellen.
Was bedeutet myofunktionell?
Alles, was die Funktionalität der Muskel am und im Mund betrifft. Das beginnt beim vernünftigen Lippenschluss bis hin zur richtigen Zungenposition und -tonus, also dass die Zunge nicht wie ein Zementsack nach hinten fällt, sondern optimalerweise hinter den Frontzähnen flach mit gewissem Unterdruck am Gaumen liegt. Bis hin zum vernünftigen Schluckmuster – viele drücken mit jedem Schlucken die Zunge nach vorne und rollen sie nicht dabei ab.
Wie trainiert man denn den Zungentonus?
Die einfachste Übung ist gezieltes Zungenschnalzen – nicht klassisch von oben nach unten knallen, sondern oben ansaugen und dann den Unterdruck so aufbringen, dass man auch mit geöffnetem Mund den Zug auf die Zunge behält und sie am Gaumen kleben bleibt. Diese Zungenfehllage hindert übrigens auch Sportler, richtig durch die Nase zu atmen und ihre ganze Leistung abzurufen.
Der Zungentonus ist auch wichtig beim Schlafen?
Wenn sich in der Tiefschlafphase die gesamte Skelettmuskulatur entspannt, fällt die Zunge nach hinten – und man beginnt zu schnarchen. Dann wacht man auf, weil das Schlafmuster durch Sauerstoffmangel unterbrochen wird. Sofort schlägt der Körper Alarm: „Stress!“ und bleibt in einer höheren Schlafphase hängen – da kann er sich nicht erholen. Darüber hinaus führt das freigesetzte Stresshormon Cortisol auch dazu, dass Insulin ausgeschüttet wird – eigentlich ein Ur-Reflex, der uns hilft, schnell Energie für die Flucht bereitzustellen. Doch da der Zucker gerade nicht in den Muskeln gebraucht wird, landet er in den Fettzellen. Viele wundern sich, warum sie nicht abnehmen. Aber es geht noch weiter: Die Betroffenen haben erhöhten Bluthochdruck, sind erschöpft und müde, erholen sich schlechter und sind öfter krank. Je früher man hier interveniert, auch in der Zahnmedizin, umso besser. Schnarchen ist in keiner Lebensphase ein Bagatelldelikt.
Wie gehen Sie da ran?
Auf zahnmedizinischer Ebene machen wir Scans, Videos, Fotoanalysen, schauen uns Schluckmuster an, die Mimik. Beim Schnarchproblem machen wir eine Somnografie über Sleeptracker, die die Patienten unter ihren gewohnten Bedingungen zu Hause nutzen können. Am nächsten Morgen gibt es dann die Rückmeldung, wie viele Schlafaussetzer sie hatten, was der Puls macht, in welchem Schlafstadium sie sich befanden. Je nachdem, in welchem Alter sich die Patienten befinden, kann man dann Zähne in der Position verändern oder vielleicht den Oberkiefer auch ohne OP erweitern, oder man geht parallel mit Logopädie ran und mit myofunktionellem Training – das bedeutet häufig aber Training lebenslang.
Woran erkennt man, dass man selbst oder sein Kind hauptsächlich über den Mund atmet?
Symptome sind wie gesagt Schnarchen, aber auch ein immer leicht offener Mund, trockener Mund, heisere Stimme, „laut“ essen oder chronische Müdigkeit. Bei Kindern ist es besonders wichtig, dass Eltern auf Anzeichen achten wie Gereiztheit, Konzentrationsschwierigkeiten, nächtliche Schreiepisoden oder rissige Lippen.
An wen wende ich mich dann als Erstes?
Zahnarzt und/oder Logopäde, Kinderarzt, HNO – in dieser Reihenfolge.
„Nasenatmung sollte ein Imperativ für Sportler und Sportlerinnen sein“
Kann man Nasenatmen üben?
Vorausgesetzt, es ist keine anatomisch bedingte oder erworbene Fehlbildung der Nasenwege vorhanden. Es geht einfach um eine Musterunterbrechung und ein Training, bis Nasenatmen zur Gewohnheit wird. Das funktioniert über bewusste Übungen. Für die unbewusste Atmung nachts ist ein Mouth Tape – ein Mundpflaster – sehr hilfreich, da es einfach den Mund verschließt. Zusätzlich kann man Tubes in die Nasen geben, um die Nasenwege zu erweitern.
Den Mund verkleben?
Ja, das funktioniert wirklich erstaunlich gut und bringt viel Lebensqualität. Man wacht erholt auf. Die erste Woche zum Eingewöhnen ist zwar anstrengend, aber ab der zweiten Woche geht es gut und die Patienten bedanken sich.
Ist die Nasenatmung auch beim Sport ein Thema?
Nasenatmung sollte ein Imperativ für Sportler und Sportlerinnen sein. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Nasenatmung erhebliche Vorteile gegenüber der Mundatmung bietet, insbesondere für Sportler und Sportlerinnen, die ihre Leistung verbessern und sich effizienter erholen wollen. Zu den vielen Vorteilen gehören ein besserer Schlaf in der Vorbereitung auf einen Wettkampf sowie die Steuerung von Input und Output durch den Austausch von Sauerstoff und CO2. Denn bei der Mundatmung stößt man meist zu viel CO2 aus, was zur Überatmung führt. Bei der Nasenatmung wird Stickstoffmonoxid freigesetzt, das die Homöostase vieler Körperfunktionen wie Herzfrequenz, Blutdruck und Atmung reguliert. Dieses unterschätzte Molekül kommt natürlicherweise im Körper vor, aber die Nasenatmung erhöht seine Produktionsrate drastisch. Zu den Nachteilen der Mundatmung gehört auch eine schlechte Körperhaltung, denn die im Unterkiefer platzierte Zunge verursacht eine nach vorne geneigte Kopfhaltung. Außerdem wird eine größere Menge trockener, ungefilterter Luft als nötig eingeatmet – das kann auch zu einer stärkeren Dehydrierung beitragen. Profis, die ihre Leistung durch Atmung maximieren wollen, sollten einen Atemtrainer in ihr Team aufnehmen.