Ausnahmeschauspielerin Caroline Peters im Interview über ihren Debütroman „Ein anderes Leben“, verzwickte Familienverhältnisse und die Rolle ihrer Mutter in ihrem Buch
@ Mathias Bothor
Sie hat den Grimme-Preis, den Deutschen Schauspielpreis, gleich zweimal den Nestroy- Theaterpreis gewonnen und wurde genauso oft zur Schauspielerin des Jahres gewählt – Caroline Peters ist ein Superstar des deutschen Schauspiels und brilliert auf der Bühne des Wiener Burgtheaters genauso wie im Fernsehen oder auf der Kinoleinwand.
Wie keine Zweite verkörpert sie die Tragik der Klytaimnestra genauso überzeugend wie die skurrile Kommissarin Sophie Haas in Mord mit Aussicht oder die frustrierte Mutter in Sönke Wortmanns Blockbuster Der Vorname. Was sie anfasst, wird zum Quotenhit. Und trotzdem ist die Wahl-Wienerin nahbar geblieben, wahnsinnig lustig, bodenständig und immer offen für neue Herausforderungen.
Gerade hat Caroline Peters ihren ersten Roman geschrieben: Ein anderes Leben. Keine Biografie, sondern eine Autofiktion, angelehnt an ihre eigene Lebensgeschichte und die ihrer Mutter, die sie mit großer Einfühlsamkeit und viel Humor erzählt.
Was fällt Ihnen zuerst bei dem Wort Wir ein, wenn Sie an Ihre Familie denken?
Ich und meine Geschwister. Und dann gibt es noch die Eltern. Aber das sind die anderen. Und das finde ich irgendwie irrwitzig. Als Kind oder Teenager so zu denken, ist nachvollziehbar. Da sind die Eltern wirklich die anderen, die dir sagen, wann du ins Bett gehen musst, die das Auto fahren und über Geld verfügen.
Aber warum denken wir als Erwachsene immer noch so? Irgendwann muss es doch möglich sein, sich seinen Eltern auf Augenhöhe anzunähern. Stattdessen bleiben die meisten in diesen starren Rollenmustern der Familie stecken: der Vater, die Mutter, das Kind.
Das finde ich unglaublich steif und langweilig. Die Person oder besser Persönlichkeit dahinter wird gar nicht wahrgenommen. Warum soll man sich dann überhaupt treffen? Nur um alte Klischees oder Schuldzuweisungen noch einmal zu bestätigen?
Das geht wohl den meisten so, dass sie wieder Kind werden, sobald sie die Schwelle ihres Elternhauses überschreiten.
Und diesen Blick möchte ich in meinem Buch aufbrechen. Die Ich-Erzählerin versucht ihrer Mutter wie einer Erwachsenen, wie einer Freundin zu begegnen. Einer Frau, die selbst mal jung war, Ehrgeiz hatte, sich verliebt hat. Weg von diesem gesellschaftlichen Kodex, in dem eine Mutter ihrem Kind immer etwas schuldig ist – nämlich totale Selbstaufgabe, völlige Hingabe und endlose Aufmerksamkeit. Wann sind diese Klischees der perfekten Mutter eigentlich über unsere privaten Beziehungen gestülpt worden?
Man sitzt sich in der eigenen Küche gegenüber und statt mit einer interessanten Frau zu reden, redet man als Tochter mit einer Art Servicekraft, von der man glaubt, sie sei rund um die Uhr für einen zuständig und für all unsere Verkorkstheiten verantwortlich. Ich finde das tragisch und verschwendete Liebesmüh. Denn erst wenn wir einsehen, dass wir alle Fehler machen, sind wir doch wirklich frei.
Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?
Durch die Rollen, die ich im Film oder Theater mittlerweile spiele: fast ausschließlich Mutterrollen. Und es sind oft nicht besonders interessante Rollen, wenn ich ehrlich bin. Es ist immer die Mutter von oder die Ehefrau von.
Die Mutter in der deutschen Erzählform ist nie die Protagonistin und wird meistens auch noch blöd behandelt. Außerdem bin ich im Laufe meiner Karriere oft gefragt worden, was mein Vater beruflich macht oder wie unser Verhältnis ist.
Kein einziges Mal wurde ich nach meiner Mutter gefragt. Auch deswegen wollte ich nach der Welle der Vater-Bücher der letzten Jahre unbedingt ein Mutter-Buch schreiben.
Was macht Ihre Mutter?
Leider ist sie schon lange tot. Ich war 31 und sie 69 Jahre alt, als meine Mutter nach langer Krankheit starb. Viel zu früh. Sie war Slawistin und Germanistin, hat Seminare an der Uni gegeben, war Übersetzerin und hat als Herausgeberin Buchreihen veröffentlicht. Natürlich hat sie nur halbtags gearbeitet, wie es sich in ihrer Generation gehörte. Ansonsten Haushalt, Erziehung, jeden Tag kochen, ob ihr das lag oder nicht.
Haben Sie dieses echte Wir-Gefühl mit Ihrer Mutter denn herstellen können?
Nein, dafür fehlte schlicht die Zeit. In meinen Zwanzigern war ich kaum zu Hause, und meine Eltern wussten so gut wie nichts von meinem Studentenleben. Ich glaube, das war in meiner Generation ganz normal. Und als ich mich dann intensiv gemeinsam mit meiner Schwester um unsere kranke Mutter gekümmert habe, ging es ihr schon sehr schlecht. Sie war lange im Krankenhaus. Wir versuchten, alles zu organisieren. Gleichzeitig hatten wir beide gerade mit unserem ersten Job begonnen und wenig Freizeit.
Ich glaube, wir haben es trotzdem gut hingekriegt. Außerdem war die Rollenverteilung in der Familie damals noch kein Thema für mich. Und weil ich selbst keine Kinder habe, ist mir diese Mutterproblematik auch erst spät vor die Füße gefallen.
Ich musste ja nicht dabei zuschauen, wie ich mich selbst in irgendeine Version meiner Mutter verwandle. Ich habe diese Konflikte woanders beobachtet: bei meinen Geschwistern oder Freundinnen.
@ privat
Welche Rolle spielen Sie in Ihrer Familie?
Ich bin die Jüngste. Und obwohl mein Vater sehr spät im Leben noch mal zwei Kinder bekommen hat, ist das für alle so geblieben. Selbst meine jüngeren Geschwister halten mich für die Jüngste, die nichts kann, nichts weiß. Alle sind immer wieder verwundert, dass ich schon Auto fahre.
Neulich habe ich meinem kleinen Halbbruder erklärt, dass ich schon seit 34 Jahren den Führerschein habe. Das ist absurd, aber wie in Beton gegossen. Und es ist sehr lustig, weil es bestätigt, dass Familie und Objektivität oder Realität einfach nicht zusammenpassen.
Stimmt, die Familie ist die Geburtszelle der Fake News. Es heißt, dass keine zwei Kinder in dieselbe Familie geboren werden.
Genau, die Partnerschaft der Eltern verändert sich, die finanzielle Situation, du bist das erste oder zweite Kind. Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind anders. Jeder erlebt seine Familie unterschiedlich und individuell.
Bei uns zu Hause gibt es keine Anekdote, die von zwei Familienmitgliedern gleich erzählt würde. Es gibt immer drei bis vier, manchmal noch mehr Versionen. Aber ich habe gelernt, diese gleichberechtigt stehenzulassen und nicht die Augen zu verdrehen und zu behaupten, dass meine Erinnerung die einzig wahre sei.
Sonst gibt es Krieg, und Familie ist mir heilig. Ich würde auch nie den Kontakt zu jemandem komplett abbrechen. Sendepause ist okay. Aber Familie ist gleichbedeutend mit meinen Wurzeln.
Wenn ich eine davon kappe, amputiere ich mich am Ende selbst. Deswegen ist es mir auch so wichtig, dass mein Buch als Autofiktion gelesen
wird und nicht als Biografie.
Dann ist es nicht Ihre Familie, die hier dargestellt wird?
Nein, aber ich bin von realen Situationen und Erlebnissen ausgegangen und habe diese weitergesponnen. Das Angeben und sogar Lügen, um eine Geschichte spannender, glamouröser oder einfach lustiger zu erzählen, hat übrigens eine lange Tradition in meiner Familie.
Die Königin darin war meine Großmutter, die als Flüchtling in Hessen gelandet ist. Sie hat sich nie in die Rolle des armen, demütigen Flüchtlings gefügt, sondern hat mit stolz erhobenem Haupt unserer Familie die Nachkriegsjahre überhaupt erst erträglich gemacht.
Mit unglaublicher Kühnheit hat sie grandiose Geschichten über den kleinbürgerlichen, miesen, grauen Alltag des Wiederaufbaus in der Provinz gelegt. Und auch meine Mutter pflegte ihre Rolle der Prinzessin auf eine charmante und sehr intelligente Art.
Also ähnelt Hanna, die Mutter in Ihrem Buch, schon Ihrer eigenen?
Zumindest was ihre Attitüde angeht und ihre Exaltiertheit, soweit sie diese in ihren bürgerlichen Kreisen ausleben konnte. Außerdem habe ich mich bei den Eckdaten an ihrer Biografie orientiert. Wann ist sie geboren? Wann war der Krieg beendet in ihrem Leben? Wann hat sie studiert? Und wie hat die Zeit sie geprägt? Flucht und Armut, aber auch die neue Freiheit der 50er- und 60er-Jahre.
Ist Ihre Mutter auch verantwortlich dafür, dass Sie Schauspielerin wurden?
Diesen Wunsch hat sie ganz stark in mir hervorgerufen, schon weil sie mich mit großem Enthusiasmus ständig mit ins Kino, Theater, Museum oder Konzert genommen hat. Für sie gab es keine Erwachsenenkunst oder Kinderkunst. Meine Schwester und ich waren überall dabei.
Obwohl ich noch nicht einmal lesen oder schreiben konnte, hat mich Kunst in all ihren Facetten fasziniert und geprägt. Ich war als Kind eher schüchtern und beobachtend, und ich fühlte mich vollkommen angezogen von extrovertierten Charakteren. Ich spüre heute noch, wie meine Mutter manchmal über mich kommt in einer Rolle und diese lauten, raumgreifenden Kräfte freisetzt.
Hatte Ihre Mutter denn auch drei Kinder von drei Studienkollegen, die sie nacheinander geheiratet hat?
Nein, das habe ich erfunden. Mir hat diese Idee, dieser unkonventionelle Umgang mit Ehe, dieses Wilde, gut gefallen. Aber meine Mutter war immerhin zweimal verheiratet. Und ich habe auch nur eine Schwester, nicht zwei wie im Buch. Meine fiktiven Schwestern im Roman sind Teilen meiner Persönlichkeit nachempfunden.
Sind Sie auch in einer Patchworkfamilie aufgewachsen?
Das Konzept Patchwork gab es in den 80ern noch gar nicht. Da gab es Familien und Scheidungen. Und wenn es eine neue Familie gab, musste die alte weichen. Eine Scheidung galt damals als Schicksalsschlag, vor allem für Scheidungskinder.
Wir galten als fürs Leben gezeichnet. So ein Unsinn! In meinem Abiturjahrgang waren von 120 Kindern vielleicht zwei Elternpaare geschieden. Der Rest waren bestimmt nicht 118 glückliche Ehen und Familien. Dass wir Geschwister und die ganze Großfamilie bis heute so viel miteinander zu tun haben, verdanken wir aber wieder meiner Großmutter mütterlicherseits.
Sie hat die Tradition geschaffen, dass wir uns alle fünf Jahre in großer Runde treffen. Anlass war immer ihr Geburtstag. Heute ist es längst ein Ritual, das ich sehr genieße. Wir sind über die ganze Welt verstreut, von Kanada bis England und Wien, und besuchen uns gegenseitig.