7. Januar 2025

Marianne von Waldenfels

Depressionen während der Perimenopause und den Wechseljahren

Annunziata Schnurbein, Gründerin von Perihub, einer Plattform, die sich mit der (Peri)Menopause und den Wechseljahren beschäftigt, spricht unter anderem über Depressionen und mentale Gesundheit in den frühen Wechseljahren und darüber, wie und wo man Hilfe findet

Annunziata Schnurbein

@ Annunziata Schnurbein

„Meine Erfahrungen in der Perimenopause haben mich so stark geprägt, dass ich anderen Frauen helfen will, diese Lebensphase besser zu bewältigen“, so Annunziata Schnurbein

Traurigkeitsschübe, Erschöpfung und ein Gefühl der Ohnmacht dominierten den Alltag von Annunziata Schnurbein, bis sie endlich eine Diagnose bekam: Perimenopause mit 37. Damit Frauen nicht das Gleiche durchmachen müssen wie sie, hat sie die Plattform PeriHub gegründet. Dort klärt sie über die Wechseljahre und ihre möglichen Auswirkungen auf die (mentale) Gesundheit auf und schafft Awareness – Schnurbein ist es ein großes Anliegen, dazu beizutragen, dass das Thema Wechseljahre endlich die ihm zustehende Aufmerksamkeit bekommt.

 

Was waren Ihre ersten Symptome? In welchem Alter traten sie auf?

Die Perimenopause schleicht sich anfangs sehr subtil ein. Manche Zyklen hast Du Symptome, manche nicht – abhängig davon, ob noch ein Eisprung stattfindet und wie gut die Eizellenqualität ist. Daher finde ich es schwierig, den Beginn meiner Perimenopause einem bestimmten Alter zuzuordnen.

 

Da ich seit Anfang 30 meinen Zyklus tracke, würde ich sagen, dass erste Unregelmäßigkeiten wie Kopfschmerzen und Motivationstiefs ab Mitte 30 auftraten. Richtig aus der Bahn geworfen hat es mich aber mit 37: In einer sehr stressigen Phase im Job ging plötzlich gar nichts mehr, und ich konnte nur noch weinen. Diagnose: Burnout.

 

Das war für mich untypisch, denn eigentlich bin/war ich jemand, der stressige Situationen gut meistert und gerade neue Herausforderungen positiv aufnimmt und voller Energie angeht. Mit 39 verschlechterte sich mein Zustand weiter – auch ohne Stress funktionierte ich nicht mehr und bekam die Diagnose mittelschwere Depression.

 

Neben den mentalen Symptomen der Perimenopause traten körperliche Beschwerden wie bleierne Erschöpfung auf

 

Über Wochen litt ich unter intensiven Traurigkeitsschüben und Weinattacken, die mich täglich durchschüttelten. Neben den mentalen Symptomen traten körperliche Beschwerden wie bleierne Erschöpfung, Schwindel, Konzentrationsprobleme, Sehstörungen und ein veränderter Körpergeruch auf. Heute weiß ich: Das alles können auch Wechseljahressymptome sein.

 

Welche Therapien wurden verschrieben?

Bevor die Diagnose „Depression“ gestellt wurde, standen viele andere Möglichkeiten im Raum – von Long Covid bis hin zu Multiple Sklerose. Diese potenziellen Diagnosen waren allein schon furchteinflößend. Am Ende verschrieb man mir Antidepressiva (SSRI) sowie eine Psychotherapie.

 

Ich empfand die Diagnose lange als großes Stigma. Ich hatte die gesellschaftlichen Vorurteile so sehr verinnerlicht, dass das Label einer „mentalen Erkrankung“ meinen Zustand noch zusätzlich belastete.

 

 

Woran erkennt man, dass eine Depression wechseljahresbedingt ist?

Das ist eine schwierige Frage – selbst Fachleute haben damit oft Probleme. Die Ärzt:innen sehen die Patientin ja nur in einer Momentaufnahme und kennen deren Hintergrund nicht.

 

Ich persönlich hatte von Anfang an das Gefühl, dass mein Zustand eine körperlich-biologische Ursache hatte. Obwohl die mentalen Symptome so überwältigend waren – ich lag nur noch weinend auf dem Sofa –, wusste ich tief in mir, dass ich eigentlich gar nicht traurig bin. Es fühlte sich an, als sei etwas in meinem Gehirn falsch „verdrahtet“. Dieses Gefühl war für mich fremd, ich erkannte mich selbst nicht wieder.

 

Hinzu kam, dass es immer wieder gute Tage gab. Die Tiefs kamen und gingen, unabhängig von äußeren Umständen. Der Zusammenhang mit meinem Zyklus war jedoch eindeutig: Besonders schlimm war es um den Eisprung und kurz vor der Periode.

 

Diagnose wechseljahresbedingte Depression

 

Die Diagnose einer wechseljahresbedingten Depression sollte unbedingt von Expert:innen gestellt werden. Ideal ist eine Abstimmung zwischen Psycholog:in/Psychiater:in und Gynäkolog:in. Durch gezielte Fragen – etwa nach Stimmungsschwankungen, Zykluszusammenhängen und begleitenden körperlichen Symptomen – kann (im passenden Alter) eine wechseljahrsbedingte Depression diagnostiziert werden.

 

Ein weiterer Indikator: Wenn Frauen in vorherigen Phasen hormoneller Umstellungen (Pubertät, Wochenbett etc.) bereits unter Depressionen litten. Es ist wichtig, bei Diagnose und Therapie einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, denn nicht immer helfen Hormone oder Antidepressiva allein. Mein Appell: Holt Euch bei Stimmungstiefs möglichst früh professionelle Hilfe – unabhängig davon, ob Ihr hormonelle Ursachen vermutet oder nicht.

Hat Ihnen Sport oder Meditation geholfen?

Ich habe seit Jahren eine regelmäßige Sport- und Meditationsroutine. Während meiner Depression konnte mir beides allerdings nicht wirklich helfen. Yoga war entweder aufgrund meiner Erschöpfung nicht möglich oder löste sogar neue Weinattacken aus. Meditation gab mir ein wenig Halt, indem sie mir half, die Situation zu akzeptieren, aber sie änderte nichts an meinen Symptomen.

 

Erst als ich die richtige Diagnose und Therapie erhielt, fingen Sport und Meditation wieder an zu wirken. Heute leidet ohne sie mein Wohlbefinden. Ich sehe sie daher neben gesunder Ernährung als wichtige Säule meiner Wechseljahrestherapie und möchte jeder Frau in der (Peri-)Menopause einen gesunden Lebensstil ans Herz legen.

 

Wie lange hat es gedauert, bis Sie die richtige Diagnose bekommen haben?

Wenn ich den Burnout als Ausgangspunkt nehme, dauerte es über zwei Jahre, bis ich die richtige Diagnose erhielt. Und das nur, weil ich auf meine Intuition vertraute und am Verdacht einer körperlich-hormonellen Ursache entgegen alle Widerstände nicht losließ.

 

 

Erst nach über 20 anstrengenden Arztterminen hatte ich endlich Gewissheit

 

 

Denn die Antidepressiva halfen mir zwar schnell, die Weinattacken zu reduzieren, aber mein Alltag blieb ein Kraftakt. Die vielen körperlichen Symptome blieben bestehen. Es war klar: Hier werden Symptome behandelt, nicht die Ursache. Ich blieb also weiter auf der Suche nach einer für mich Sinn ergebenden Diagnose. Erst nach über 20 anstrengenden Arztterminen hatte ich endlich Gewissheit.

 

Was war besonders frustrierend?

Die Ärzte-Odyssee war manchmal frustrierender als die Symptome selbst. Oft fühlte ich mich nicht ernst genommen. Bagatellisierende Aussagen wie „Achten Sie mehr auf Ihr Stresslevel“ oder „Finden Sie sich damit ab, Sie sind eben depressiv“ waren keine Seltenheit und vor allem keine Hilfe.

 

Wenn ich auf hormonelle Ursachen hinwies, wurde das oft abgetan. Mit 39 sei ich zu jung für die Wechseljahre, und ein regelmäßiger Zyklus spreche dagegen. Dieses Unwissen und die veralteten medizinischen Glaubenssätze, die mir in vielen Facharztpraxen begegneten, waren extrem frustrierend.

 

Wie sind Sie nach der richtigen Diagnose behandelt worden?

Die richtige Diagnose erhielt ich durch meinen Onkel, einen Gynäkologen. Er schlug via Ferndiagnose am Telefon bioidentisches Progesteron vor. Nach der ersten Einnahme fühlte ich mich am nächsten Morgen erstmals seit zwei Jahren wie ich selbst.

 

Später verschrieb mir eine Privatärztin zusätzlich bioidentisches Östrogen und Testosteron. Seitdem hatte ich – bis auf harmlose hormonelle Schwankungen – keinen depressiven Tag mehr. Die Antidepressiva konnte ich nach einer Übergangszeit erfolgreich absetzen.

 

Wie findet man den richtigen Arzt?

Im kassenärztlichen System ist es immer noch schwierig, gute Ärzt:innen für die (Peri-)Menopause zu finden. Die Wechseljahre spielen im Medizinstudium nach wie vor eine untergeordnete Rolle, und die Beratung wird von den Krankenkassen schlecht vergütet.

 

Wenn möglich, empfehle ich daher, sich eine:n Privatärzt:in zu suchen. Ansonsten hilft es, sich gründlich auf die Termine vorzubereiten: Symptome tracken, gezielt Ärzt:innen suchen und sich auf Termine vorbereiten. Mein Guide „Arztsuche leicht gemacht“ bietet hierzu viele praktische Tipps.

Sie haben sich mit PeriHub selbstständig gemacht – was ist Ihr Schwerpunkt? Wie helfen Sie anderen Betroffenen?

Meine Erfahrungen in der Perimenopause haben mich so stark geprägt, dass ich anderen Frauen helfen wollte, diese Lebensphase besser zu bewältigen. Ich konnte nicht fassen, wie wenig Unterstützung Frauen im 21. Jahrhundert erhalten, und begann, mich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen – von Büchern bis hin zu wissenschaftlichen Studien.

 

Irgendwann entschied ich, dieses Wissen zu teilen, und rief meinen Instagram-Account PeriHub ins Leben. Auf PeriHub spreche ich offen über meine Erfahrungen, kläre über die Wechseljahre auf und beleuchte sowohl körperliche als auch mentale Herausforderungen.

 

Besonders wichtig ist mir, das Tabu rund um Wechseljahresdepressionen zu brechen, da sie, obwohl sie alles andere als eine Seltenheit sind, eben oft nicht als hormonell bedingt erkannt werden. Mein Motto lautet: „Weg mit den Tabus. Her mit dem Wissen.“

 

Besonders wichtig: das Tabu rund um Wechseljahresdepressionen zu brechen

 

Mit der Zeit kamen Unternehmen auf mich zu, um Unterstützung bei der Gestaltung eines wechseljahresfreundlichen Arbeitsplatzes zu erhalten. Diese Tätigkeit baue ich stetig aus – als sinnstiftende Arbeit und um meinen Instagram-Account werbefrei zu halten und weiter unabhängig Wissen vermitteln zu können.

 

Wie relevant sind die Wechseljahre für Unternehmen, und was können Unternehmen tun?

Die Wechseljahre sind nicht nur ein individuelles Thema, sondern betreffen auch Unternehmen und die Gesellschaft als Ganzes. Studien zeigen, dass 10% der Frauen in den Wechseljahren aufgrund ihrer Beschwerden den Job kündigen. Das sind immer erfahrene Mitarbeiterinnen, die sehr oft kurz vor einem in diesem Alter üblichen Karrieresprung stehen.

 

Hinzu kommen volkswirtschaftliche Schäden durch Fehltage, die allein in Deutschland auf 9,4 Milliarden Euro jährlich geschätzt werden. Laut McKinsey könnte eine bessere Behandlung der (Peri-)Menopause das globale Bruttoinlandsprodukt um bis zu 120 Milliarden US-Dollar steigern.

 

In Zeiten von Fachkräftemangel ist es im Interesse der Unternehmen, die im Gesundheitssystem bestehende Wissenslücke zu schließen. Vorreiter wie Vodafone zeigen, wie wichtig (! und einfach!) es ist, Frauen aufzuklären und am Arbeitsplatz zu unterstützen.

 

Schon kleine Maßnahmen können einen großen Unterschied machen: Informationsmaterialien im Intranet oder Aufenthaltsraum, Sensibilisierungstrainings oder hormonbezogene Fortbildungen für Betriebsärzt:innen sind gute erste Schritte. Mit gezielter Unterstützung können Unternehmen nicht nur erfahrene Mitarbeiterinnen halten, sondern auch ein modernes, inklusives Arbeitsumfeld schaffen.

 

Können Sie uns drei Tipps für Frauen in der Menopause verraten, die Sie gerne selbst gewusst hätten?

Bevor es bei mir losging, war mein Wissen über die (Peri-)Menopause extrem begrenzt. Ich dachte, es gehe hauptsächlich um unregelmäßige oder ausbleibende Perioden und Hitzewallungen. Heute weiß ich, dass es so viel mehr gibt, das ich damals gerne gewusst hätte.

 

Die Wechseljahre sind nicht das Ende, sondern der Anfang

 

Auf drei Punkte heruntergebrochen sähe das so aus:

 

1. Die Wechseljahre beginnen früher, als viele denken. Schon ab Ende 30 oder Anfang 40 können erste Anzeichen auftreten, auch wenn der Zyklus noch regelmäßig ist. Mein Tipp: Zyklus tracken, um Unregelmäßigkeiten früh zu erkennen und Symptome besser einzuordnen.

 

2. Die Symptome können vielfältig und unerwartet sein. Da Frauen Östrogenrezeptoren im ganzen Körper haben, wirken sich Hormonschwankungen nicht nur auf die Fruchtbarkeit aus. Von Schlafstörungen, Gelenkschmerzen, Herzrasen bis hin zu Konzentrationsproblemen und Tinnitus ist alles möglich. Informiere Dich, damit Du vorbereitet bist und die Symptome richtig deuten kannst.

 

3. Die Wechseljahre sind nicht das Ende, sondern der Anfang. Mit der richtigen Therapie kannst Du diese Phase gut meistern und die Weichen für Deine zweite Lebenshälfte stellen.

 

Vor Dir liegt eine Zeit, in der Du nach Deinen eigenen Regeln und mit hoher Lebensqualität und Gesundheit leben kannst. Diese Weichenstellung würde ich auch dann vornehmen, wenn Du zum glücklichen Drittel der Frauen gehörst, die keine Wechseljahressymptome haben.

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