Dr. Dog: Hund macht gesund

Tiere – und vor allem Hunde – sind besonders gute Pflegekräfte und fördern die Gesundheit. Eine Überzeugung, mit der unsere Autorin nicht alleine dasteht, denn die Wissenschaft gibt ihr zunehmend recht

@ Sam Lion

Tier sind Heiler und Retter in der Not, daran gibt es keinen Zweifel. Die ersten vierbeinigen Pflegekräfte findet man in der Antike: Der Gott Asklepios, Sohn des Apollo und Vater der Medizin, umgab sich den Mythen zufolge stets mit Schlangen und Hunden. Nach seinem Tod schleppten sich Verletzte und Kranke zu seinem Schrein, um dort zu übernachten und sich von den dort lebenden Hunden ihre Wunden lecken zu lassen, also vom heilenden Gott in Hundegestalt.

 

Die griechischen Götter verwandelten sich ja ohnehin gerne in Tiere. Der Animismus, also der spirituelle Glaube an bestimmte Fähigkeiten von Tieren, hat die Menschheit über viele Jahrhunderte geprägt. Charakteristisch war er für jagende Gesellschaften. Die Inuit glauben bis heute, dass erlegte Tiere in der Lage sind, Vergeltung zu üben.

 

Deswegen werden sie, ob tot oder lebendig, mit größtmöglichem Respekt bedacht. Die Mayas glaubten an Chanul, ihr Seelentier – und daran, dass das, was ihm zustößt, auch einem selbst widerfährt. In der Kultur der Ojibwa mussten Jungen tagelang in der Wildnis verbringen, bis sie im Delirium waren, in der Hoffnung, dort ihrem Seelentier zu begegnen.

 

Die Inuit glauben bis heute, dass erlegte Tiere in der Lage sind, Vergeltung zu üben

 

Für die armen Seelen ohne Animal Twin gab es Schamanen, die in der Lage waren, mit den tierischen Beschützern zu kommunizieren. Erst viel später, im Mittelalter, wurde Tieren diabolisches angedichtet. Von, Überraschung, der katholischen Kirche. Ein guter weiterer Grund, Frauen, die den Herren nicht ins Patriarchat passten, als Hexen auf den Scheiterhaufen zu werfen.

 

Denn unangepasste Frauen haben bekanntlich oft Katzen oder Ähnliches.
So richtig ausrottbar war der Glaube an die heilende Kraft des Tiers allerdings nicht. Noch im elisabethanischen England waren Ärzte davon überzeugt, ein auf der Brust eines Kranken positionierter Cocker-Spaniel könne das Leiden absorbieren.

 

So richtig ausrottbar war der Glaube an die heilende Kraft des Tiers allerdings nicht

 

Erst mit der Aufklärung kam die große Image-Politur. Städter und Adlige brachten Tiere in die Städte, und die Empfehlung von Kinderpsychologen zur Stärkung von Verantwortungsgefühl und Einfühlungsvermögen waren Haustiere.

 

 

Die ersten professionellen Tierheiler findet James Serpell (Handbook on Animal Assisted Therapy) im 18. Jahrhundert in einer Nervenheilanstalt in York, England. Dort lebten Hasen, Hühner und Katzen im Garten, mit denen die mental Kranken reden konnten. Der absolute Karrieretiefpunkt für Doc Dog war dann allerdings die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts: Das totale Vertrauen auf die moderne Me-dizin machte die Wichtigkeit der tierischen Soft Skills zunichte. Ein Fehler.

 

Wenn Singles mit einem Hund zusammenleben, sinkt ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um ein Drittel

 

Denn wissenschaftlicher Studienstand heute ist: Tiere als Pflegekräfte sind eine gute Idee. Wenn Singles mit einem Hund zusammenleben, sinkt ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um ein Drittel, denn die größten Risikofaktoren sind Bewegungsmangel und soziale Isolation. Alleine die Anwesenheit eines entspannten Tieres senkt den Blutdruck und fördert die Ausschüttung des Wohlfühlhormons Oxytocin.

 

Es wirkt schmerzlindernd, angstlösend, beruhigend. Hunde können außerdem Krebs und Corona-Viren erschnüffeln (besser gesagt: die Stoffwechselprodukte) und als ausgebildeter Assistenzhund Diabetespatienten bei Blutzuckernotfällen warnen. Forscher gehen davon aus, dass sie das sogenannte Isopren im menschlichen Atem erkennen, das sich bei einem Blutzuckerabfall verdoppelt.

 

Hunde helfen autistischen Kindern beim Regulieren ihres Stresspegels, Blinden über die Straße und bewahren Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen vor dem Suizid (US-Präsident Joe Biden unterschrieb 2021 den PAWS for Veterans Therapy Act, der Kriegsveteranen mit mentalen Gesundheitsproblemen den Zugang zu Servicehunden ermöglicht).

 

Hunde helfen autistischen Kindern beim Regulieren ihres Stresspegels

 

Also müsste eigentlich längst außer Frage stehen, dass das Leben ohne Tier – frei nach Loriot – zwar möglich, aber sinnlos ist. Die Kosten für einen Blindenhund übernimmt zwar die Krankenkasse. Aber Reittherapien beispielsweise werden immer noch hauptsächlich über Spenden finanziert.

 

Die IAHAIO, der internationale Dachverband für Organisationen im Bereich der Mensch-Tier-Interaktion, unterscheidet zwischen zwei Arten der tierischen Hilfe: der tiergestützten Therapie und der tiergestützten Intervention. Bei Ersterer geht es um therapeutisch geführte Aktivitäten, zum Beispiel Reiten. Unter die zweite Variante fällt zum Beispiel der Besuch eines Mensch-Tier-Teams in Krankenhäusern, Alten- oder sonstigen Pflegeheimen.

 

Was das bewirkt, ist nicht statistisch zu erfassen, aber es ist immer öfter auf Instagram zu sehen: wenn in England Ponys alte bettlägerige Menschen besuchen, ihre weiche Nase aufs Bett legen, ein alter Herr oder eine alte Dame plötzlich lacht. Oder wenn eine US-Amerikanerin mit ihrem Team „Unstoppable Dogs“ – gelähmten oder amputierten Hunden – Kinder besucht, die sich gerade an das Leben mit einer Beinprothese gewöhnen müssen. Die Hunde flitzen nämlich trotz Rollhilfe und Prothese voller Lebensenergie in der Gegend herum. Sie sind Vorbilder.

Menschen, die sich selbst nicht als Tiermenschen betrachten, also nicht laut „Big Streeetch!“ rufen, wenn sich irgendwo in der Nähe ein Hund streckt oder eine Katze in der Sonne rekelt, wird all das allerdings nicht beeindrucken. Sie werden trotzdem nicht einsehen, dass sie Tiere in ihrem Leben brauchen, und die Tierliebe der anderen als Vermenschlichung kritisieren.

 

Dabei ist das Anthropomorphisieren, wie es im Fachjargon heißt, längst auf dem Wege der Rehabilitation, also durchaus legitim, weil es der scheinbar einzige Weg für Menschen ist, die Bedürfnisse, Verhaltensweisen und Intentionen von Tieren zu verstehen.
Meine Theorie zu Menschen, denen Tiere egal sind: Sie haben Angst. Weil sie tief im Inneren spüren, dass Tiere Spiegel sind und wir, wenn wir mit ihnen in Verbindung treten, sehen, wer wir wirklich sind.

 

Die Vermutung basiert nicht auf Studien, sondern einzig und allein auf meinen eigenen Erfahrungen. Das erste wichtige Tier in meinem Leben war Minosch, der Ponyhengst, einst aus der Schlachtung gerettet, später ein stolzes, lässiges Pferd. Er begleitete mich meine ganze Jugend lang und bewahrte mich vor Einsamkeit, denn ich war wegen Migräne ein sozial isoliertes Kind.

 

Man kann ein Pferd zu keiner Piaffe zwingen oder dazu, über eine Plastikplane zu laufen

 

Es lehrte mich alles, was man im Leben braucht – Empathie, Geduld, Vertrauen. Und Selbstverteidigung: es ließ gerne die BHs der unsympathischen Krawallreiterinnen im Vorbeigehen flitschen. Dass ich die wichtigste Lektion, das Abstellen des Egos, in meinem weiteren Leben noch immer nicht komplett verinnerlicht habe, kann nur daran liegen, dass er den Planeten verließ.

 

Man kann ein Pferd zu keiner Piaffe zwingen oder dazu, über eine Plastikplane zu laufen. Eine Lektion, die Manager bei Pferde-Führungskräfteseminaren lernen müssen. Pferde sind die besten Menschenleser der Welt. Unsere aufgerichteten Schultern, unser Schritt nach vorn muss unbedingt ernst gemeint sein.

 

Sie analysieren unsere Körpersprache, und erst wenn wir sie davon überzeugt haben, dass wir gütige, weitsichtige und vor allem durch nichts aus der Ruhe zu bringende Partner sind, tun sie alles für uns. So gesehen kann man solche Managerseminare als Heiltherapie bezeichnen.

 

Denn das Pferd bringt den Manager dazu, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und nicht nur die richtige Körpersprache auswendig zu lernen. Das Pferd bringt ihn dazu, sich zu fragen, wer er sein will.

 

Mein aktuelles „Emotional Support Animal“ ist Theo, ein Foxterrier. Er rettete mich nicht nur aus der absoluten Verzweiflung während des ersten Corona-Lockdowns, Stichwort Tagesstruktur. Sondern schlief drei Wochen lang auf meinem Schoß. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt vergessen, wie sich Körperkontakt anfühlt. Er wollte Kontakt, sonst nichts. So wie wir Menschen, aber wir verdrängen das zu oft.

 

Eine Studie besagt, dass allein das Sehen oder Hören von Vögeln den mentalen Gesundheitszustand für acht Stunden verbessern kann

 

Theo hat vor vielem Angst, also bin ich die meiste Zeit damit beschäftigt, mögliche Schockmomente schon im Voraus zu erkennen und aus dem Weg zu räumen. Nicht nur das macht mich zu einem einfühlsameren Menschen. Ich neige zu cholerischen Anfällen. Der Hund fängt dann ganz fürchterlich an zu zittern, obwohl ich gar nicht ihn angeschrien habe. Weswegen ich die cholerischen Anfälle einfach abgestellt habe, ganz ohne zweibeinigen Psychotherapeuten.

 

Vielleicht sollten es Tierskeptiker erst mal mit mehr Abstand versuchen. Mit Birdwatching beispielsweise. Eine im Oktober 2022 in Scientific Reports veröffentlichte Studie besagt, dass allein das Sehen oder Hören von Vögeln den mentalen Gesundheitszustand für acht Stunden verbessern kann.

 

Die Studienteilnehmer nutzten eine App, um ihre Stimmungen zu protokollieren und festzuhalten, ob sie Vögel sehen oder hören konnten. Menschen mit und ohne Depressionen fühlten sich signifikant besser, wenn sie Vögeln begegnet waren.

 

Eine andere Studie ergab, dass die Vogelvielfalt in städtischen Vierteln mit einer geringeren Prävalenz von Depressionen, Angstzuständen und Stress verbunden war. Noch ein Beispiel: Eine Untersuchung für das Fachblatt Ecological Economics zeigte einen Zusammenhang zwischen Glück und der Anzahl der Vogelarten in der Nähe von Häusern und Städten.

 

Es soll ja sogar Menschen geben, die sich auf die Menschenkenntnis ihres Tieres verlassen

 

Glück wird hier typisch menschlich definiert: die Nähe von 14 zusätzlichen Vogelarten ist laut der Wissenschaftler genauso befriedigend wie 150 Dollar Zusatzeinkommen jeden Monat.

 

Man könnte auch sagen: Sich hinsetzen und glücklich schätzen, dass genau dieser Vogel in genau diesem Moment den eigenen Balkon gewählt hat, das ist die einfachste Form der heilsamen Achtsamkeit.

 

Der Vater der Psychoanalyse und Tierverachter kam erst spät auf den Hund

 

Es soll ja sogar Menschen geben, die sich auf die Menschenkenntnis ihres Tieres verlassen. Wissenschaftliche Beweise für Zu- oder Abneigung Psychopathen gegenüber gibt es nicht. Aber eine der wichtigsten Figuren in der Geschichte der Psychologie glaubte daran: „Wen die Jofie nicht mag, bei dem stimmt was nicht.“ Dieser Satz stammt von Sigmund Freud.

 

Der Vater der Psychoanalyse und Tierverachter kam erst spät auf den Hund, mit 72 Jahren. Chow-Hündin Jofie war bei jeder Therapiesitzung anwesend, und Freud beobachtete angeblich ihre Reaktionen auf den Patienten. Außerdem beendete sie durch Aufstehen immer in genau dem Moment die Sitzung, in dem die Zeit abgelaufen war.

 

1936 schreibt er an Marie Bonaparte, ebenfalls Chow-Fan, ein Hund bringe seinem Herrn „Zuneigung ohne Ambivalenz“ entgegen, er befreie das Leben von dem „schwer erträglichen Konflikt mit der Kultur“, sei die „Schönheit einer in sich vollendeten Existenz.

 

Und bei aller Fremdheit der organischen Entwicklung doch das Gefühl einer innigen Verwandtschaft, einer unbestrittenen Zusammengehörigkeit“. Viel mehr als seine Patienten haben seine insgesamt drei Chows wohl eher ihn geheilt.

 

Mein Seelenpferd und ich galoppieren manchmal übrigens noch, in meinen Träumen, und ich wache dann sehr glücklich auf. Das mit den Soul Animals stimmt nun mal. Schimpfen Sie mich ruhig Animistin.

Mehr zum Thema