30. Oktober 2024
Moira Hammes
Die DKMS-Mitarbeiterin Ricarda Henkel gibt Einblicke in ihre persönlichen Herausforderungen seit der Diagnose und ihre Strategien im Umgang mit Brustkrebs
@ Adobe Stock
Brustkrebs, auch bekannt als Mammakarzinom, ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen in Deutschland. Etwa 13 von 100 Frauen erhalten im Laufe ihres Lebens diese Diagnose. Ricarda Henkel arbeitet seit 17 Jahren für die DKMS (Deutsche Knochenmarkspenderdatei), eine Organisation, die sich der Bekämpfung von Blutkrebs widmet.
Als sie selbst die Diagnose Brustkrebs erhält, erlebt sie Krebs auf einmal aus einer völlig neuen Perspektive. Im Interview spricht sie über überraschende Erkenntnisse, die Bedeutung von Offenheit und wie sie trotz allem positiv bleibt.
Wie unterstützt die DKMS Krebspatient*innen?
Die DKMS ist eine gemeinnützige Organisation mit dem Ziel, weltweit möglichst vielen Blutkrebspatient:innen eine zweite Lebenschance zu geben. Unsere Aufgabe ist es, passende Spender:innen zu finden, die ihre Stammzellen an Leukämie- und Blutkrebspatient:innen spenden können. Wir begleiten sowohl die Patient:innen als auch die Spender:innen während des gesamten Prozesses.
Zusätzlich bieten wir das ‚Look Good Feel Better‘-Programm an, das speziell für Krebspatient:innen entwickelt wurde. In diesen Kosmetikseminaren lernen die Teilnehmer:innen, wie sie mit den äußeren Veränderungen umgehen können, die durch die Therapie entstehen – wie z. B. Haar-, Augenbrauen- und Wimpernverlust. Das Programm zeigt, wie man mit Make-up die Nebenwirkungen kaschieren kann, um sich wieder wohler in der eigenen Haut zu fühlen.
Obwohl diese Programme nur ein kleiner Baustein in unserem Arbeitskontext sind, symbolisieren sie doch etwas Grundlegendes: Bei einer Krebstherapie ist es nicht nur wichtig, medizinische Unterstützung zu bekommen, sondern auch auf das mentale Wohlbefinden zu achten. Es geht darum, sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren.
Wir sagen oft, die DKMS steht für die medizinische Unterstützung, während das ‚Look Good Feel Better‘-Programm sich um die Seele kümmert. Wenn man nach einem Seminar mit einem positiven Gefühl nach Hause geht, sich mit anderen Betroffenen austauschen konnte und ein Stück Selbstbewusstsein zurückgewinnt, dann hat das auch einen positiven Effekt auf den Heilungsprozess
Wie war Dein Werdegang und was hat Dich schließlich zur DKMS geführt?
Ich habe beruflich damit angefangen, bei einer Film- und Fernsehproduktion zu arbeiten und dabei festgestellt, dass ich alles, was sich visuell erzählen lässt, total schön finde. Danach habe ich Technik-Journalismus an einer Fachhochschule studiert.
Nach dem Studium suchte ich eigentlich nur nach einem Übergangsjob und bin so bei der DKMS gelandet. 17 Jahre später bin ich immer noch hier – und das aus gutem Grund. Ich habe schnell gemerkt, dass mir der Job inhaltlich sehr viel gibt und ich auch von der Zusammenarbeit im Team vor Ort begeistert bin.
Ich hatte das Glück, dass ich meinen Job bei der DKMS immer weiter entwickeln konnte. Während ich am Anfang ein bisschen im Marketing und ein bisschen im Pressebereich gearbeitet habe, habe ich ganz schnell immer angefangen zu sagen: Okay, aber die Geschichte funktioniert doch nur mit einem starken Foto. Jetzt bin ich Teil der Kommunikationsabteilung, aber dort vor allem zuständig für die komplette audiovisuelle Kommunikation.
So konnte ich meine ursprüngliche Leidenschaft für visuelles Storytelling in meine Arbeit einfließen lassen. Für mich ist das die perfekte Kombination – ein Job, der Sinn stiftet, und gleichzeitig die Möglichkeit, meine visuelle Kreativität voll auszuleben. Es ist wirklich das Beste aus beiden Welten.
Vor anderthalb Jahren hast Du selbst die Diagnose Brustkrebs erhalten. Wie hast Du diesen Moment erlebt und was ging Dir durch den Kopf?
Ich habe mich letztes Jahr unter der Dusche eingeseift und habe dabei plötzlich dieses Gefühl gehabt, da ist ein Knoten. Ich neige überhaupt nicht zur Hysterie, bin jemand, der immer erst locker bleibt. In diesem Fall war das so ein richtiges Gefühl von: Nein, da ist wirklich was.
Nachdem ich aus der Dusche kam, habe ich sofort mein Handy genommen und meine Frauenärztin angerufen. Ich habe ihr gesagt, dass ich einen Knoten entdeckt habe, der so deutlich spürbar ist, dass ich sicher bin, da stimmt etwas nicht. Sie hat mich noch am selben Tag einbestellt, um einen Brustultraschall zu machen. Auch wenn der Ultraschall keine endgültige Diagnose zuließ, war der tastbare Knoten deutlich zu sehen.
Ab diesem Punkt ging alles sehr schnell: Es folgten eine Biopsie und eine Mammografie, um herauszufinden, was genau hinter dem Knoten steckt. Leider gab es, wie man es leider in solchen Fällen oft hört, einige kommunikative Fehler im Verlauf. Der erste Anruf, den ich erhielt, war vage – man sagte mir, es sei nicht eindeutig, aber der Knoten müsse operativ entfernt werden. Daraufhin wurde ich an eine Klinik überwiesen.
Als ich dort ankam, hatte die Ärztin, die mich behandelte, einen Blick auf meine Unterlagen geworfen und fragte mich direkt: ‚Entschuldigung, könnten Sie mir nochmal sagen, warum Sie hier sind?‘ Sie drehte dann den Bildschirm zu mir um und sagte: ‚Wie Sie hier sehen und wie es eindeutig markiert ist, handelt es sich um einen bösartigen Tumor. Der Tumor war zu diesem Zeitpunkt bereits fünf mal sechs Zentimeter groß. Da er tief innen lag und ich eine relativ große Oberweite habe, hat es so lange gedauert, bis ich ihn bemerkt habe.
@ privat
Trotz Deiner langjährigen Erfahrung bei der DKMS – gab es Aspekte der Krebsbehandlung, die Dich als Patientin überrascht haben?
Also ich bin überrascht, wie viel man dann doch durchlaufen muss. Das ist etwas, was ich in der Theorie natürlich durch meinen Job weiß. In dem Moment, wo aber eine Person vor einem steht und einem einen Laufzettel mitgibt und sagt, dass wir jetzt sehr, sehr schnell handeln müssen, weil der Tumor sehr groß ist, wird einem der Umfang nochmal anders bewusst.
Innerhalb von fünf Tagen hatte ich jeden Tag mehrere Termine. Termine, die man eben wahrnehmen muss. Und am Ende der fünf Tage stand dann ganz klar fest: Es handelt sich um Brustkrebs. Es war besonders diese Fülle an Dingen, die man machen muss.
Von außen betrachtet wirkt das oft sehr oberflächlich, und das ist auch völlig in Ordnung. Niemand sollte sich zu detailliert mit dem Ablauf einer Krebstherapie auseinandersetzen müssen, bevor es wirklich nötig ist. Es reicht, sich damit zu beschäftigen, wenn die Diagnose tatsächlich gestellt wird.
Trotzdem ist mir aufgefallen, dass selbst ich – obwohl ich schon lange mit Patient:innen arbeite und sie oft über Monate hinweg begleite – letztlich nur einen oberflächlichen Eindruck davon hatte, was das wirklich bedeutet.
Plötzlich wird einem klar: Krank zu sein ist ein Vollzeitjob. Tägliche Kontrolluntersuchungen, zahllose Termine, unzählige Formulare, die man ausfüllen muss, und ständig Entscheidungen, die getroffen werden müssen. Es gibt keinen festen Plan, dem man einfach folgen kann, und oft bleibt man mit Unsicherheiten allein. Diese ständige Unsicherheit hatte ich so nicht erwartet.
Ich habe immer wieder diese Momente gehabt, wo ich nicht wusste, was ich jetzt tun muss. An wen ich mich wenden muss. Wo ich hin muss. Und wie oft ich Freunde angerufen habe und gesagt habe – wir müssen das jetzt durchdiskutieren, helft mir, Entscheidungen zu treffen.
Das hat mich tatsächlich überrascht. Ich habe gedacht, dass man anders vorbereitet wird. Das wird man am Ende dann doch nicht.
Verglichen mit anderen Betroffenen war ich wahrscheinlich trotzdem besser vorbereitet, aber nicht so sehr, wie ich es mir in meiner Naivität vorgestellt hatte.
Wie sah Dein Behandlungsplan aus und wie hast Du die ersten Schritte auf diesem Weg erlebt?
Wir mussten direkt starten mit dem vollen Programm. Mir wurde gesagt, dass es ein sehr schnell wachsender und bösartiger Tumor ist. Das bedeutete, dass ich Chemotherapie, Operation und Bestrahlung durchlaufen musste.
Interessant ist, dass man in dem Moment nur funktioniert. Man kriegt einen Plan und man arbeitet den Plan ab und man funktioniert.
Das ist eigentlich das Einzige, was man so vor sich hat und davon ist man schon total erschöpft. Ich mache das jetzt Schritt für Schritt. So war mein Gefühl.
Zwischen finaler Diagnose und Chemo lagen bei mir zwei Wochen. Das ist ein relativ kurzer Zeitraum. Da wird man reingeschleudert. Ich habe im April 2023 meine Chemo gestartet. Insgesamt 16 Einheiten. Man kann kaum beschreiben, wie das ist. Jeder reagiert anders auf die Chemotherapie, und ich glaube, man kann sich gut vorstellen, dass diese Erfahrung sehr belastend sein kann. Trotzdem hatte ich, im Vergleich zu vielen Geschichten, die ich aus meinem beruflichen Umfeld kenne, Glück. Meine Erfahrungen waren weniger schlimm, als ich ursprünglich befürchtet hatte.
Welche Strategien hast Du entwickelt, um mit dieser Situation umzugehen? Was hat Dir besonders geholfen, Kraft zu schöpfen?
Viele Dinge passieren, ohne dass man sie sich vorher als Strategie zurechtlegt. Ich habe im Laufe der Zeit gemerkt, dass das anscheinend etwas ist, was ich für mich manifestiert habe und was mir dann irgendwie ein gutes Gefühl gegeben hat.
Als man mir gesagt hat, dass ich Brustkrebs habe, gab es keinen Moment, an dem ich geweint habe, bis heute nicht. Es gibt mal Momente, die einen berühren und man Tränen in den Augen hat, weil man die nächste Hürde geschafft hat, zum Beispiel. Aber meine erste Reaktion auf die Diagnose war überraschend rational.
Ich sagte zur Ärztin: ‚Ich habe gerade gelesen, dass eine von acht Frauen im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs erkrankt.‘ Sie schaute mich nur an und fragte: ‚Haben Sie verstanden, was ich Ihnen gerade gesagt habe?‘ Ich antwortete: ‚Ja, ich bin eine dieser Frauen.‘
Vielleicht liegt es daran, dass ich seit 17 Jahren beruflich mit dem Thema Krebs zu tun habe. Das hat diesem Wort ‘Krebs’ etwas von seinem Tabu und Schrecken genommen. Damit will ich die Krankheit keineswegs verharmlosen – überhaupt nicht. Aber ich habe sofort realistisch gedacht: ‚Okay, andere haben es auch geschafft, dann schaffe ich das auch.‘
Ein wichtiger Punkt für mich ist auch, dass ich entschieden habe, mit der Erkrankung wahnsinnig offen umzugehen. Das prägt auch einen Satz, den ein Freund am ersten Kontrolltag zu mir gesagt hat:
“Ab jetzt zählt, dass du überlegen musst, was du brauchst. Du sagst uns, was du brauchst.”
Der Satz hat mich die ganze Zeit begleitet, weil ich das selber nicht kenne, dass ich denke – was brauche ich denn jetzt eigentlich? Was das ja impliziert, ist, sich selber an erste Stelle zu setzen oder vielleicht auch zu merken – das wird mir zu viel, was brauche ich jetzt, um mich besser zu fühlen?
Ganz am Anfang entschied ich für mich: Bewegung wird ein Keyfaktor für mein Wohlbefinden sein. Solange es mir möglich ist, werde ich mich jeden Tag bewegen. Und tatsächlich habe ich während der gesamten Chemotherapie nur an einem Tag darauf verzichten müssen, weil es einfach nicht ging. Ansonsten war ich jeden Tag draußen, immer mit jemandem an meiner Seite – und das hat mich durch die ganze Zeit getragen: mein Umfeld.
Ich habe außerdem entschieden — und das ist widersprüchlich zum Journalismus, wir tendieren ja eigentlich dazu, dass wir alles genau wissen wollen — dass ich nichts googeln werde. Ich wollte nicht mal meinen Tumor oder die Therapie googeln. Stattdessen habe ich meinem Umfeld ‚Google-Aufträge‘ gegeben, wie zum Beispiel: ‚Welche Ernährung unterstützt die Chemotherapie?‘ Sie haben mir dann kleine PDF-Zusammenfassungen geschickt, was mir geholfen hat.
Am Ende war es das Loslassen, das für mich eine der größten Herausforderungen darstellte. Ich bin ein Planungsmensch, aber in dieser Situation fremdbestimmt zu sein und nicht genau zu wissen, wie es weitergeht, war eine echte Challenge. Zu lernen, Schrittchen für Schrittchen Dinge anzugehen, hat mir wahnsinnig geholfen. Konzentrieren, das Abarbeiten und flexibel zu bleiben.
Wie hast Du Dein Umfeld einbezogen und welche Erfahrungen hast Du dabei gemacht?
Das Einzige, was mir anfangs wirklich Sorgen bereitet hat, war der Gedanke, dass ich alleine sein würde und diesen Weg alleine gehen müsste. Doch schon am ersten Tag, an dem ich meine Diagnose öffentlich gemacht habe, hat sich eine Gruppe von Freunden zusammengetan, die seitdem aktiv an meiner Seite ist.
Es gab keinen Arzttermin, zu dem ich alleine gehen musste, es sei denn, ich wollte es. Sie haben mich zu jedem Termin begleitet, mich unterstützt und aufgefangen. Nach jeder Chemositzung war immer jemand da, der mich nach Hause gebracht hat. Es gab keinen Moment, in dem ich mich einsam gefühlt habe – und ich glaube, das war ein ganz entscheidender Faktor.
In dem Moment, wo man sich einsam und alleine fühlt, glaube ich, dass es einen mental massiv runterziehen kann und das wirkt sich natürlich auch auf das komplette Körpergefühl und die Heilung aus.
Da habe ich großes Glück, dass meine Freund:innen und Kolleg:innen mich von Anfang an aufgefangen haben.
Dadurch war es auch immer ein sehr offenes Thema im beruflichen Kontext, also ich habe von Anfang an gesagt – Okay, ich möchte, dass wir darüber reden, ich kommuniziere das offen und ich kommuniziere das zu jedem, egal ob es mein Vorgesetzter ist, ein: Werkstudent:in oder auch die Personalabteilung, weil ich finde, wenn wir in einer Krebsorganisation nicht über das Thema Krebs sprechen können, dann sind wir falsch und auch das ist ein Punkt, der mir geholfen hat.
Ich habe zweieinhalb Wochen nach der ersten Chemotherapie die Haare verloren. Als ich es bemerkte, bin ich zunächst zum Friseur gegangen und habe sie kürzer schneiden lassen. Ich habe dann meinen Freund:innen gesagt, okay, können wir uns in dieser Woche treffen und die Haare ganz abrasieren?
Für einen Mittwoch habe ich mich dann mit zwei Freundinnen verabredet. Am Donnerstag darauf war die zweite Chemo angesetzt. Am Mittwochmorgen bin ich aufgestanden und – darüber war ich auch überrascht – es lagen wirklich dicke Haarbüschel auf dem Kissen.
Dieses Gefühl abends, als die Mädels kamen und wir alles runtergeschnitten und dann runterrasiert haben, das war eine Erleichterung.
Ich habe in den Spiegel geguckt und ich fühlte mich so befreit von diesem komischen Rest, den ich auf dem Kopf hatte. Während meine Freundinnen weinten, habe ich gelacht und immer wieder gesagt: ‚Es ist okay, wirklich, es ist okay.‘ Ich hatte mich im Vorfeld mit Perücken und Tüchern vorbereitet, aber letztlich habe ich nichts davon getragen.
Ich habe beschlossen, dass ich mich am wohlsten fühle, wenn ich die Situation so annehme, wie sie ist. Wer damit nicht klarkam, sollte eben wegschauen – aber für mich war es viel einfacher, offen damit umzugehen. Der Verlust der Haare bringt eine besondere Sichtbarkeit mit sich. Vorher oder auch jetzt, wo die Haare nachwachsen, ist das nicht so ein Thema, das ist vergessen. Wenn jemand nicht krank aussieht, ist er nicht krank.
Aber die Haare – das macht die Krankheit für andere so offensichtlich. Diese Sichtbarkeit kann bei anderen eine gewisse Befremdlichkeit auslösen, und das habe ich selbst bei Freund:innen und Kolleg:innen gespürt. Durch meine offene Kommunikation habe ich diese Barriere schnell abgebaut.
Auch zu meiner Familie habe ich von Tag eins gesagt, dass wir das nicht wegschweigen können. Ich habe meiner Schwester von Anfang an gesagt: ‚Es ist wichtig, dass ihr mich fragt, wie es mir geht, oder wie mein Tag war. Ich kann nicht immer von mir aus alles erzählen, also müsst ihr mir helfen.‘
Und das haben sie bis heute durchgezogen. Es war sehr wichtig für mich, dass man nicht am Tisch sitzt und da ist dieser Elefant im Porzellanladen. Es hat mich selbst überrascht, wie klar ich plötzlich Dinge formulieren konnte, ohne darüber nachzudenken. Als meine Schwester bei unserem ersten Gespräch fragte, was sie tun kann, obwohl sie so weit weg ist, habe ich spontan geantwortet: ‚Melde dich regelmäßig und frag nach.
Ich kann nicht immer die Energie aufbringen, selbst zum Telefon zu greifen.‘ Ich war erstaunt, wie einfach es mir fiel, klare Bedürfnisse zu formulieren und einzufordern, was mir sonst immer sehr schwer fiel. Aber es hat uns allen geholfen. Ganz viele Leute, Freunde und Familie, haben immer gesagt, dass man so hilflos und machtlos ist, weil sie alle nichts tun können, außer mir das Gefühl zu geben, wir sind an deiner Seite.
In dem Moment, wo sie sich selbst eine Aufgabe geben konnten, ging es jedem besser. Es ist interessant, wie wir Menschen in Krisensituationen oft das Bedürfnis haben, aktiv zu werden. Selbst kleine Aufgaben können uns das Gefühl geben, dass wir die Situation besser bewältigen können und im Griff haben.
@ privat
Wie sehen Deine nächsten Schritte aus und was bedeutet das Ende der Therapie für Dich persönlich?
Meine Chemotherapie endete im Oktober letzten Jahres. Da ich einen Triple-negativ-Tumor hatte und mit 44 Jahren relativ jung bin, lag die Vermutung nahe, dass mein Brustkrebs genetisch bedingt sein könnte. Aus diesem Grund wurde ich auf genetische Marker getestet, und leider stellte sich heraus, dass ich den BRCA1-Gendefekt habe – den gleichen, den Angelina Jolie damals bekannt gemacht hat.
Aufgrund dessen stand ich dann vor der großen Frage, lasse ich mir am Ende den Rest des Tumors entfernen oder entscheide ich mich für eine Mastektomie, also für eine Brustabnahme? Und wenn ich mich dafür entscheide, sollte ich dann auch die gesunde Brust entfernen lassen, oder vertraue darauf, dass der Krebs dort nicht kommt.
In dem Moment, wo einem erklärt wird, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass man daran erkrankt, mit meinem Alter, mit meinem Gen, mit der Größe des Tumors, war die Entscheidung klar für mich. Im November habe ich mich dann für eine beidseitige Mastektomie entschieden. Glücklicherweise konnte die Operation haut- und brustwarzen-erhaltend durchgeführt werden, und es wurde sofort ein Expander eingesetzt.
Ich sage immer scherzhaft, dass ich momentan ein ‚Übergangssilikon‘ habe. Der Expander wird unter die Haut gesetzt, und über ein Ventil kann man ihn schrittweise mit Kochsalzlösung füllen, um die Haut langsam auf die gewünschte Größe zu dehnen. Das ist besonders wichtig, wenn eine brusterhaltende Operation – wie bei mir – nicht möglich ist und man nicht sofort Implantate einsetzen kann, da ich noch Bestrahlung erhalten habe.
Im Februar hatte ich dann mehr als sechs Wochen Bestrahlung hinter mir und im Anschluss wurde eine Immuntherapie mit neun Einheiten gestartet. Die habe ich Ende August hinter mich gebracht. Jeder kleine Schritt, den man abhaken kann, ist ein riesiger Erfolg und ich freue mich wahnsinnig über diese.
Zusätzlich nehme ich seit März dieses Jahres eine medikamentöse Therapie in Tablettenform, die speziell das BRCA1-Gen angreift und das Risiko eines Rückfalls verringern soll. Diese Therapie läuft bis März nächsten Jahres. Ein weiterer großer Schritt steht mir Ende November bevor: der finale Brustaufbau. Das ist für mich ein extrem wichtiger Moment, der dieses Jahr noch stattfinden wird.
Ich freue mich jetzt, dass wir diese OP dieses Jahr noch hinbekommen, weil es mir das Gefühl gibt, dass ich das in 2024 lasse und ich 2025 vielleicht noch ein bisschen freier aufschlagen kann. Es fühlt sich an, als würde die Normalität, die ich so lange vermisst habe, langsam wieder in mein Leben zurückkehren.
Das ist aktuell der letzte große Schritt auf meinem Weg. Danach beginnt die Nachsorge, und natürlich wird das Thema Krebs mich ein Leben lang begleiten. Es bleibt ein Teil von mir, und es wird immer präsent sein. Aber das Gefühl, fremdbestimmt zu sein, wird nachlassen. Ich kann wieder mehr die Kontrolle über mein Leben übernehmen und mich darauf konzentrieren, die Zukunft in meinem eigenen Tempo zu gestalten.