6. March 2023

Julia Werner

Make the Future great again

Ganz entspannt – meist eher ziemlich angespannt – im Hier und Jetzt. Woran liegt es, dass wir der Zukunft nicht mehr freudig entgegenfantasieren?

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© Betina du Toit/trunkarchive.com

Die Zukunft: zum Fürchten. Klimawandel und Krieg, Überpopulation und Lehrermangel, neue Viren irgendwo aus dem Urwald – wir müssen wirklich aufpassen. Aufpassen, dass das Gefühl, die Zukunft bringe nur Verderben und Misere, nicht allgemeine Grundeinstellung wird. Die Zukunft hat zurzeit wirklich keinen guten Ruf. Und die Menschen flüchten sich vor lauter Angst in die totale Gegenwart.

 

Achtsamkeit wird bekanntlich als Allheilmittel gepriesen und ist mit all ihren Coaches, Büchern und Apps mittlerweile eine Milliardenindustrie. „Sei immerzu im Hier und Jetzt“ und „sorge dich nicht, lebe“ wird uns von allen Seiten in die Lifestyle-trainierten Gehirne gehämmert. Den Moment genießen. Alle Konzentration auf das richten, was jetzt gerade passiert. Die Vergangenheit loslassen und auf gar keinen Fall daran denken, was morgen ist. Den Wein mit totaler Hingabe trinken, aber in Maßen. Tanzen, als gäbe es kein Morgen.

 

Die Idee ist eigentlich uralt und an sich auch nicht schlecht, selbst der römische Stoiker Seneca hat das so oder ähnlich schon vor fast zweitausend Jahren formuliert. Genauso wie der Buddhismus, der durch die Popularität des Dalai Lama im Westen zur etwas missverstandenen Wohlfühlreligion mutiert ist. Es werden also sehr viele Momente in sehr vielen Leben sehr achtsam gelebt, in diesen Tagen.

 

Meditationsapps wie Headspace sind millionenschwere Unternehmen, die ihren Profit daraus schlagen, dass die Leute an gar nichts mehr denken wollen, außer an Tropfen, die langsam tropfen. Die App Calm ist kürzlich mit einer Milliardenbewertung zum ersten Eso-Unicorn des digitalen Zeitalters geworden. Ja, man kann durch gebetsmühlenartig exerziertes Inhale-Exhale sehr ruhig werden. Zu ruhig. Denn sind wir deshalb glücklicher und gesünder, ist die Welt dadurch zu einem besseren Ort geworden?

 

 

Wann hat das eigentlich aufgehört, dass die Zukunft etwas Großartiges ist?

 

Heute herrscht nur noch manische Fixierung auf die Gegenwart. Im Space Age der 1960er-Jahre war das anders. Futurismus war damals die Lebenseinstellung du jour. Alles, was modern und neu und wahnsinnig aussah, war erstrebenswert. Modeschöpfer wie Courrèges und Cardin steckten Frauen mit allergrößtem Optimismus in Astronautinnenhelme und Metallic-Stiefel. Die Zukunft war ein dynamischer Sehnsuchtsort, an dem alles möglich schien.

 

Das Space Age ist eines der besten Beispiele dafür, was Zukunftssehnsucht vermag. Wir können uns an die Vergangenheit subjektiv erinnern, sie aber nicht komplett neu schreiben. Anders so die Zukunft. In der ist nichts entschieden und alles ungewiss, und deswegen ist sie die Knetmasse unserer Fantasie. Sie sorgt nicht nur dafür, dass wir uns vorstellen, irgendwann auf dem Mars zu leben, sie malt auch die Umrisse der Bilder der großen Safari-Reise bunt aus, die wir monatelang planen.

 

 

Sagenhafte Gestaltungsmöglichkeiten – ist es das wirklich wert, aus Angst auf diese Trips ins Unbekannte zu verzichten?

 

Die Wissenschaft beschäftigt sich übrigens gerade vermehrt mit den Effekten der modernen Gegenwartsmanie, und die Ergebnisse sind eher ernüchternd. Willoughby Britton, Forscherin an der Brown University untersuchte die Effekten von Meditation und kam zu dem Schluss, dass zu viel Achtsamkeitstraining zu einer übermäßigen Fokussierung auf sich selbst führen kann. Wer sich zu sehr mit sich selbst und seinen Befindlichkeiten beschäftigt, habe hinterher womöglich mehr Ängste und Depressionen als zuvor.

 

Die Ergebnisse der Studie passen zu dem in der Psychologie als Yerkes-Dodson-Funktion bekannten Phänomen: Ein gewisses Maß an Angst wirkt leistungssteigernd, nur stark ausgeprägte Angst kann den Menschen lähmen. Womit wir wieder bei der Zukunft wären, die uns offensichtlich so viel Angst einflößt, dass wir lieber die Augen schließen und den Kräuterduft von Yogi-Tee drei mal tief einatmen als uns mit ihr frohen Mutes auseinanderzusetzen.

 

Das Problem mit der Gegenwartsfixierung ist nämlich: Das, was uns Stress und Sorgen bereitet, wird gar nicht mehr infrage gestellt. Überspitzt könnte man sagen, dass Achtsamkeit eine knallhart neoliberale Kritik am Anpassungsvermögen des Individuums ist. Lösungen bietet sie nicht, oder anders gesagt: Wer mit aller Gewalt den Moment „genießt“, wird den Klimawandel eher nicht aufhalten.

„Wann hat das eigentlich aufgehört, dass die Zukunft etwas Großartiges ist?”

Einer der größten Kritiker der neuen Achtsamkeit ist David Forbes

 

In seinem Buch Mindfulness and its Dis-contents beschreibt er, wie der Kapitalismus das buddhistische Konzept der Achtsamkeit zu einem Lifehack umfunktioniert hat. Denn während der Buddhist der Gegenwart urteilsfrei und von seinem Ego losgelöst entgegentritt, um die Welt vom Leiden zu erlösen, geht es bei der westlichen Meditationspraxis im besten Fall ums persönliche Wohlbefinden, im schlechtesten um Performance-Verbesserung (in Unternehmen). Ein Beispiel ist, wie Meditation in amerikanischen Schulen mittlerweile als Mittel gegen Ärger eingesetzt wird. Danach, woher die Wut kommt, fragt niemand mehr. Die Vergangenheit wird abgeschafft, Schlüsse für die Zukunft lassen sich aus ihr nicht mehr ziehen.

 

 

Hauptsache entspannt im Hier und Jetzt?

 

In Wahrheit ist diese Einstellung ein Rückzug ins Private, das kollektiven Problemen die Haustür vor der Nase zuknallt. Wie könnte also zukunftsgerichtete Tiefenentspanntheit funktionieren, wie können wir freudig der Zukunft entgegenmeditieren? Der Mythos der Visualisierung von Zielen und Träumen, die sich durch die alleinige Vorstellung ganz von alleine einstellen, hält sich fast noch hartnäckiger als die Achtsamkeit in der Selfcare-Szene. Und schuld daran ist der Autor Joseph Murphy.

 

Vor genau 60 Jahren veröffentlichte er sein Werk The Power of Your Subconscious Mind mit der steilen These, dass ein Mensch wirklich alles erreichen kann, wenn er es sich nur bildlich genug vorstellt. Bis heute ist die Überzeugung, dass man Bestsellerautor sein wird, weil man sich schon so fühlt, nicht totzukriegen. Dabei ist die moderne Wissenschaft längst zu einem anderen Schluss gekommen: Gleich mehrere Studien legen nahe, dass das Visualisieren eines Ziels in der Tat ein Gefühl herstellt, es schon erreicht zu haben – mehr aber auch nicht.

 

Was in diesem tagträumenden Topgefühlszustand dann meist vergessen wird, ist, dass man den Bestseller ja auch noch schreiben muss. Verteufelt wird die Visualisierung allerdings nicht ganz, es geht nach aktueller Auffassung eher darum, was man sich vorstellt – also den Weg, nicht das Ziel. Oder genauer gesagt: die Weggabelungen, bei denen man die falsche Richtung einschlagen könnte. Ein banales Beispiel wäre, sich intensiv damit auseinanderzusetzen, welche Entscheidung man nächste Woche auf dem Geburtstagsdinner treffen wird, wenn man seinen Lebensstil auf zuckerfrei umstellen will. Werde ich zugreifen oder werde ich aufs Dessert verzichten?

 

Wer die zu überwindenden Hürden in eine glorreichere Zukunft visualisiert, zerstört damit nämlich nicht gleich den vielbesungenen Moment, sondern lebt ihn, wenn er dann da ist, ganz bewusst, weil er gut vorbereitet wurde. In den 1960er- Jahren war man eben einfach ein bisschen naiver, Joseph Murphys Theorie passte sehr gut zum lustigen Zukunfts-Gaga des Space Age. Zu unseren ungleich desillusionierteren Zeiten passt sie leider nicht. Eine Dose sich vorsichtig nach vorne tastender Optimismus allerdings sehr wohl. Sein Vorteil? Er lässt ein bisschen Licht rein und uns keine Zeit, in der dunklen Gegenwart zu erstarren.

 

Zuletzt sei noch gesagt, dass drei sehr essenzielle Bausteine des Lebendigseins so gar nichts mit dem Hier und Jetzt zu tun haben: Sehnsucht. Hoffnung. Träume. Sie alle sind untrennbar verbunden mit dem Ungetüm, das Zukunft heißt. Vielleicht ist der beste Weg, die Gegenwart als flexiblen Schwebezustand zwischen Vergangenheit und Zukunft zu sehen, zwischen Erinnerungen und nervöser Vorfreude. Schwebend kommt das neue Mantra ja schon viel leichter über die Lippen: make the future great again!

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