Perfektion meets Raffinesse: Wie die Ausnahmeköchin es schafft, seit einem Jahrzehnt ihren Michelin-Stern zu halten
© Hanno Rink
Etwas versteckt im Herzen der Neustadter Altstadt liegt das Hotel Steinhäuser Hof von Hedi und Hanno Rink. Ein Fachwerkensemble, dessen ältester Teil – ein gotisches Giebelhaus – aus dem Jahre 1276 stammt. Herzstück des Steinhäuser Hofs ist das Gourmet-Restaurant „Urgestein“ im ehemaligen Marstall unter einem alten Kreuzgewölbe. Hier befindet sich Hedi Rinks Reich. Nach ihrer Ausbildung in der Eifel arbeitete sie unter anderem im Dorint-Konzern sowie auf der MS Deutschland und der MS Europa, gefolgt von Stationen in Hamburg und auf Sylt. Heute begeistert sie ihre Gäste mit Gourmet-Küche auf allerhöchstem Niveau, jahreszeitlich ausgerichtet und geprägt von gut gelaunter Kreativität.
Sterneküche gilt nach wie vor als Männerdomäne. Wie setzt man sich da als Frau durch?
Mit Fleiß und Durchhaltevermögen. Ich habe in meinem ganzen Berufsleben, egal ob im Restaurant oder in der Küche, gemerkt: Wenn du zeigst, dass du etwas kannst, dann nimmt dich auch jeder für voll und ernst. So ging es mir zumindest. Beim Wort Frauenquote bekomme ich die Krise. Egal, wo ich gearbeitet habe, bin ich immer mit den Worten verabschiedet worden: „Sie können jederzeit wiederkommen!“ Man muss gut sein und Leistung bringen. Ein Mann, der keine Leistung bringt, bekommt ja auch keinen Stern.
Welchen Rat würden Sie Nachwuchsköch:innen geben?
Zuerst einmal müssen sie sich darüber im Klaren sein, dass es ein wirklich anstrengender Beruf ist, für den sie sich entschieden haben. Viele romantisieren ihn vorher. Man muss tough sein, fokussiert und hungrig darauf, zu lernen. Natürlich ist in der Küche manchmal, wenn Stress ausbricht, der Ton ein bisschen anders als in einem Büro, aber das muss man an sich abprallen lassen. Und: Ich habe erfahrenen Kollegen und Kolleginnen immer ganz genau auf die Finger geguckt. Richtiggehend mit den Augen geklaut. Zum Bespiel wie sie ein bestimmtes Produkt verarbeiten oder ein Tier auseinandernehmen.
Sie haben eine Zeit lang nur mit Frauen gearbeitet – hatte das einen bestimmten Grund?
Nein, das hat sich so ergeben. Ich glaube, es ist egal, ob man mit Männern oder Frauen zusammenarbeitet – die Chemie muss stimmen. Gerade wenn man wie wir oft 16 Stunden am Tag zusammen in der Küche steht.
Woher kommt Ihre Leidenschaft fürs Kochen?
Die entwickelte sich bei mir erst relativ spät. Ich habe zwar eine Kochausbildung absolviert, dann anschließend aber noch Restaurantfachfrau gelernt. Zum Kochen bin ich eher durch Zufall wieder gekommen. Ich habe Facetten des Kochens erlebt, die ich bis dahin nicht kannte.
„Was mir auch großen Spaß macht: Gerichte aus den 70er- und 80er-Jahren ins hier und heute zu übersetzen“
Bis heute ist für mich in der Küche unabdingbar, dass ein Gericht auf den Punkt zubereitet sein muss, berechenbar und exakt reproduzierbar. Das reizt und fasziniert mich. Außerdem bin ich immer auf der Suche nach neuen Produkten und Techniken. Im letzten Jahr habe ich zum Beispiel Wilden Spargel für mich entdeckt. Was mir auch großen Spaß macht: Gerichte aus den 70er- und 80er-Jahren ins hier und heute zu übersetzen. Wie zum Beispiel die Ochsenschwanzsuppe. Früher stand sie überall auf der Karte, dann ist sie nach und nach verschwunden. Ich habe sie für meine Karte total dekonstruiert. Auch in der Molekularküche finde ich immer wieder neue Ansätze.
Ist die Molekularküche nicht ein wenig in Verruf geraten?
Zu Unrecht, finde ich. Man kann mit diesen Techniken tolle Sachen kreieren und ganz besondere Texturen entwickeln. Natürlich sollte man diese Gelees und Schäumchen und Stäubchen nur dort einsetzen, wo sie Sinn machen. Und sie müssen auch nach etwas schmecken. Meine Gänge stehen immer auf drei Säulen. Zum Beispiel eine Eismeergarnele, eine Tomate und Dill. Darauf wird der ganze Gang aufgebaut.
Wie wichtig ist Regionalität und Saisonalität für Sie?
Immens wichtig! Ich kaufe alles Gemüse hier auf dem Markt und verarbeite nichts, was nicht gerade Saison hat.
Genießen denn Männer und Frauen anders?
Das würde ich so nicht sagen. Ich finde, dass jeder Mensch gewisse Facetten komplett unterschiedlich wahrnimmt. Weil wir alle verschieden geprägt sind – von Kindheitserinnerungen, von Dingen, die uns glücklich oder traurig gemacht haben, oder von Gerüchen.
© Hanno Rink
Es heißt, dass Spitzenköche angeblich am Geschmack unterscheiden können, ob eine Frau oder ein Mann gekocht hat.
Das würde ich so nicht unterschreiben. Aber ich sehe es ab und zu an der Tellersprache. Eine Frau legt manchmal mehr Wert auf die Optik. Für mich zum Beispiel muss alles immer ein Bild ergeben, die Proportionen müssen stimmen. Aber ich habe natürlich auch sehr schön angerichtete Teller von männlichen Kollegen serviert bekommen.
Erleben Sie das Klischee manchmal in Ihrem Alltag, dass Frauen überspitzt formuliert wegen des Kalorienzählens auch gerne mal einen Salat ohne Dressing bestellen?
Das ist bei uns nicht möglich, weil wir ja nur ein großes Menü anbieten. Was allerdings schon auffällig ist: Offensichtlich sind überwiegend Frauen von Allergien geplagt. Laktose- und Glutenintoleranz scheint Männer fast nie zu betreffen.
Kochen in der Spitzengastronomie wirkt ein bisschen wie Hochleistungssport – wie halten Sie sich fit?
Ein regelmäßiges Sportprogramm ist in meinem Fall leider nicht möglich – ich stehe an fünf Tagen der Woche 16 Stunden in der Küche. Die zwei Stunden, die ich am Nachmittag frei habe, muss ich meinem Körper zur Regeneration gönnen. Im Urlaub gehe ich schwimmen oder wandern in unserem schönen Pfälzerwald. Ich achte allerdings sehr auf gesunde Ernährung. Und mein Glück ist, dass wir immer die besten Lebensmittel direkt im Haus haben. Ab und zu fahren wir ein oder zwei Nächte weg und nehmen uns eine kleine Auszeit in einem hübschen Hotel oder einem besonderen Restaurant.
„Wir haben das ganz große Glück, dass wir mittlerweile sehr viele Stammgäste haben“
Welches Restaurant oder welcher Koch hat Sie in letzter Zeit beeindruckt?
Olivier Nasti in Kaysersberg im Elsass. Er hat zwei Sterne und ich war wirklich begeistert. Vom Essen natürlich – aber mein Mann schwärmt heute noch vom Service, das Beste, was wir je in einem Restaurant erlebt haben. Wir fahren auch sehr gern in die Schweiz. Das ist von uns auch nicht so weit. Nach Luzern oder nach Bad Ragaz. Im Grand Resort Bad Ragaz gibt es vier Sterne-Restaurants unter einem Dach, das ist genial.
Sie halten Ihren Stern jetzt seit zehn Jahren. Beeinflusst das den Arbeitsalltag? Spürt man einen besonderen Druck?
Im Arbeitsalltag eigentlich nicht, nur die Woche bevor die Sterne wieder verteilt werden, werde ich nervös. Dann renne ich durchs Haus und nerve alle, ob ich den Stern diesmal weggekocht habe. Den Rest des Jahres bin ich eigentlich entspannt. Mein Druck ist eher, dass ich meine Gäste zufriedenstellen will. Ich gehe jedem Abend zu jedem einzelnen Gast und frage, ob alles in Ordnung war und ob er sich wohlgefühlt hat.
Dabei steht nicht nur das Essen im Fokus: Mir ist immens wichtig, dass jeder bei uns einen schönen Abend erlebt, dass der gesamte Abend ein Erlebnis ist. Jeder und jede Einzelne soll begeistert hinausgehen. Wir haben das ganz große Glück, dass wir mittlerweile sehr viele Stammgäste haben – das ist ein Geschenk. Denn es gibt ja viele Sterne-Restaurants. Normalerweise gehen Gäste in Sterne-Restaurants einmal, machen einen Haken dran und kommen nie wieder.
„Die Menschen haben verlernt, einfach auf den Markt zu gehen und einzukaufen“
Wie sieht das Essen der Zukunft aus?
Ich habe die Befürchtung, dass es immer mehr hoch verarbeitete Lebensmittel geben wird. Das ist eine Entwicklung, die ich mit viel Bauchgrummeln beobachte. Früher hat man zum Beispiel Käse, der nicht aus der Milch eines Tieres hergestellt wurde, Analogkäse genannt, und jeder wusste: „Oh, nicht gut“. Heute nennt man das veganen Käse und verkauft ihn teuer.
Oder Margarine. Da bilden sich viele ein, sie tun ihrem Körper etwas Gutes, wenn sie Margarine aufs Brot schmieren. Doch das sind pflanzliche Fette, die industriell künstlich gehärtet sind, um streichfähig zu werden. Das ist hochgefährlich für den Körper. Die Menschen haben verlernt, einfach auf den Markt zu gehen und einzukaufen. Zum Beispiel einen Kohlrabi: Schneiden Sie ihn klein, geben Sie ein bisschen Zucker und Salz drauf und lassen Sie ihn eine Stunde stehen. Daraus entsteht dann ein eigener Saft. Wenn Sie diesen Kohlrabi dann garen, haben Sie das köstlichste Gemüse der Welt. Wer will, kann ihn noch mit ein bisschen Muskatnuss würzen. Herrlich!
Sie und Ihr Mann sind ja auch Geschäftspartner. Gibt es da manchmal Herausforderungen?
Ja, natürlich, aber die meistern wir gemeinsam. Wir haben vor sechs Jahren geheiratet und sind seit zwölf Jahren zusammen. Ich habe bei seiner Mutter gelernt, wir kennen uns also schon eine Ewigkeit, obwohl wir uns zwischen-drin aus den Augen verloren haben. Als seine Mutter in Rente gegangen ist, habe ich hier übernommen. Schön, wie sich das Leben manchmal entwickelt …