16. August 2023

Marianne von Waldenfels

Medizin-News: Vom Kunstherz bis zur Roboterhand

Diese Unternehmen beweisen Erfindungsgeist: Sehen für Blinde, innovative Krebstherapien, eine intelligente Roboterhand – die spannendsten Entwicklungen der Medizintechnik

© Alexandra Koch

In den 1970er- und 1980er-Jahren überlebten Patient:innen mit Kunstherzen für mehrere hundert Tage

 

 

BiVACOR

 

Seit der ersten erfolgreichen Herztransplantation arbeiten Chirurg:innen und Techniker:innen am nächsten Fortschritt: ein menschliches Herz durch ein künstliches zu ersetzen. Denn unzählige Patient:innen warten vergeblich auf ein Spenderherz. 1969 wurde erstmals einem Patienten eine Kunstherz-Implantation eingesetzt, am Texas Heart Institute in Houston, USA. Da dem 47-jährigen Patienten Haskell Karp zu diesem Zeitpunkt kein Spenderherz zur Verfügung stand, bekam er eine künstliche Pumpe, die nach 65 Stunden durch ein natürliches Herz ersetzt wurde.

 

In den 1970er- und 1980er-Jahren überlebten Patient:innen mit Kunstherzen für mehrere hundert Tage, doch diese waren nur zur Überbrückung gedacht, bis ein Spenderherz implantiert werden konnte. Jetzt sorgen sogenannte „Total Artificials Hearts“ wie von BiVACOR, die anstelle des Patientenorgans implantiert werden, für Hoffnung.

 

Als Daniel Timms Vater 2001 einen Herzanfall erlitt, begann der damals 22-jährige Student der Biomedizin damit, nach Möglichkeiten zu suchen, das menschliche Herz nachzubauen, allerdings nicht nach dem biologischen Vorbild.

 

Er entwickelte eine metallische Herzkammer mit Rotationspumpe, die von Magneten so angetrieben wird, dass es zu keinem Verschleiß kommt. Das Bivacor-Herz enthält eine einzige Titankammer mit einem Rotor, der sich in der Mitte dreht und das Blut in den Körper leitet. Bis jetzt wurde es nur an Tieren erfolgreich getestet. bivacor.com 

 

Nerivio

 

Hoffnung für Migränepatient:innen: Die Entwickler:innen des elektronischen Wearable „Nerivio“ haben sich zum Ziel gesetzt, mittels Neuromodulation akute Migräneattacken ohne Einsatz von Medikamenten zu lindern.

 

Das drahtlose, nicht-invasive Wearable wird bei beginnender Migräne am Oberarm befestigt. In ihm stecken winzige Elektroden, die die Nerven stimulieren und Signale ans Schmerzzentrum im Hirnstamm senden, das dann schmerzhemmende Neurotransmitter freisetzt. Auf diesem Weg können die Migräneanfälle deutlich abgeschwächt werden. Die Intensität und Dauer der Methode lässt sich per App und via Bluetooth über das Smartphone steuern. Eine Behandlungssitzung dauert in der Regel 45 Minuten. nerivio.com

 

Orcam

 

Eine revolutionäre Entwicklung für sehbeeinträchtigte und blinde Menschen: Mit der OrCam wurde eine Mini-Kamera mit integriertem Lautsprecher entwickelt, die an der Brille befestigt wird und als Vorlese- und Erkennungssystem fungiert. Die Kamera erfasst digitale und gedruckte Texte von jeder Art von Oberfläche, von Zeitungs- über Bildschirmtexten bis zu Geldscheinen.

 

Über einen Bügel, der neben dem Brillengestell von der Kamera zum Ohr reicht, gelangt das Audiosignal in den Gehörgang. Man muss also keinen Kopfhörer tragen und bekommt in Echtzeit vorgelesen. Per Sprachbefehl kann man sich auch nur bestimmte Inhalte vortragen lassen, zum Beispiel nur die Hauptgerichte einer Speisekarte. Und: die OrCam erkennt sogar Gesichter. orcam.de

Esper

 

Diese Prothese weiß, was ihr Träger will. Doch das ist nur einer der Gründe, warum es der Roboterarm es als eine der besten Erfindungen im vergangenen Jahr auf den Titel des „Time Magazine“ schaffte. Denn die Esper Hand des ukrainischen Unternehmens Esper Bionics, das 2019 gegründet wurde, ist die erste KI-gestützte und cloudbasierte Prothese für Handamputierte.

 

Das Besondere an ihr: Sie wird mit der Zeit immer schlauer und lernt die Bewegungen ihres Trägers vorauszusehen. Je länger die Prothese benutzt wird, desto schneller erkennt die Esper-Hand durch ihre Sensoren unterschiedliche Muskelaktivitäten und Gehirnsignale und führt die korrekten Bewegungen aus. Sie kann sich drehen und auf verschiedene Weise greifen, sodass der Träger alltägliche Aufgaben wie das Öffnen einer Flasche, das Steuern eines Autos, die Verwendung von Küchengeräten oder das Tippen auf dem Display eines Telefons ausführen kann. Zudem ist sie ist eine der leichtesten Prothesen auf dem Markt, hat fünf bewegliche Finger und ist in vier verschiedenen Größen erhältlich. esperbionics.com

 

Betterhelp

 

So viele Menschen wie noch nie zuvor leiden an psychischen Problemen, an Depressionen oder Ängsten. Doch Therapieplätze sind schwer zu bekommen, Therapeut:innen oft auf Jahre ausgebucht. Abhilfe versprechen immer mehr Apps und Plattformen, die digitale Therapieformen anbieten.

 

Zu den renommiertesten Anbietern zählt „Betterhelp“, ein weltweites Netzwerk aus Psycholog:innen und Therapeut:innen. Diese können von den Betroffenen ganz einfach per Nachricht, Live-Chat, Video- oder Telefonanruf kontaktiert werden. Wer mit seinem Ansprechpartner keine Wellenlänge findet, darf so oft wechseln, bis er den gefunden hat, der zu ihm passt. Betterhelp weist außerdem ausdrücklich darauf hin, dass die Services nicht geeignet sind für User:innen mit schweren psychischen Erkrankungen. betterhelp.com

 

T-Knife

 

Das 2018 gegründete Biotech-Unternehmen entwickelt neuartige Immuntherapien gegen Krebs. Der Ansatz: Die körpereigene Abwehr soll in die Lage versetzt werden, mithilfe modifizierter T-Zellen Krebszellen als gefährlich zu erkennen und gezielt zu bekämpfen.

 

Dafür werden den Patient:innen aus dem peripheren Blut sogenannte T-Zellen entnommen, die im Labor gentechnisch so verändert werden, dass ihre Rezeptoren im Körper ganz gezielt Krebszellen als Eindringlinge identifizieren und eliminieren.

 

T-Knife ist eine Ausgründung des Max-Delbrück-Zentrums für Molekulare Medizin mit Unterstützung des Universitätsklinikums Charité in Berlin. Mitgründer sind die Molekularbiologin Elisa Kieback und der Krebsforscher Professor Thomas Blankenstein. Beide forschen seit Jahren an der Entwicklung neuer Krebstherapien mithilfe von körpereigenen Immunzellen. t-knife.com

 

 

Ada Health

 

Ist es nur eine Erkältung oder doch Influenza? Und was könnte der ziehende Schmerz im linken Unterbauch bedeuten? Oft fangen wir bei Fragen zu unserer Gesundheit sofort an zu googeln. Die KI-gestützte Diagnose-App von Ada Health will das Gesundheitssystem entlasten und User:innen helfen, die passende medizinische Versorgung zu finden.

 

Wer sie lädt und einige detaillierte Fragen beantwortet, erhält eine erste Analyse der vorhandenen Krankheitssymptome, um so Schritte für die passende Behandlung einzuleiten. Dafür wurde die Firma 2022 mit dem KI-Anwenderpreis ausgezeichnet. Gegründet wurde das Unternehmen 2011 von Daniel Nathrath, Claire Novorol und Martin Hirsch. Die App wurde inzwischen über zwölf Millionen Mal heruntergeladen. ada.com

 

Neotiv

 

Demenz-Erkrankungen sind eine der größten Herausforderungen der Medizin. Ihre häufigste Form ist Alzheimer, an der in Deutschland etwa eine Million Menschen leiden. Trotz intensiver Forschung ist sie bisher nicht heilbar, sondern kann nur verlangsamt werden. Umso wichtiger sind innovative Lösungen für präzise Diagnosen.

 

Der Gründer Dr. Chris Rehse und sein Team haben die App neotivCare entwickelt, mit deren Hilfe sich kognitive Störungen lange vor dem Ausbruch einer Alzheimer-Demenz feststellen lassen. Interaktive Tests prüfen dazu die Gedächtnisleistungen der Patient:innen über zwölf Wochen hinweg.

 

Damit die Tests die richtigen Hirnregionen ansprechen, wurden sie vorher an Alzheimer-Kranken, Gesunden und Menschen, die auf der Schwelle zu einer Erkrankung stehen, in einem hochauflösenden MRT validiert. Am Ende der zwölf Wochen werden die Ergebnisse in einem Befundbrief zusammengefasst, der Hausarzt kann so frühzeitig die richtigen Weichen für eine eventuell notwendige Behandlung stellen. neotiv-care.com

 

Munevo

 

Einmal nicken und losfahren. Das Münchner Unternehmen munevo erleichtert Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, das Leben. Mit munevo DRIVE wurde eine Kopfsteuerung für Rollstühle konzipiert, die auf der Technologie von Smartglasses basiert.

 

Die intelligente Brille erkennt Kopfbewegungen und übersetzt diese in Steuersignale. Erkrankungen wie ALS, Multiple Sklerose oder Querschnittslähmungen können die Bewegungsfreiheit eines Menschen stark einschränken. Betroffene sind als Folge ihrer Erkrankung häufig auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. Bei munevo DRIVE werden schon leichte Neigungsbewegungen des Kopfes durch die Brille erkannt. Somit können auch Personen, die den Kopf nur minimal bewegen können, ihren Rollstuhl eigenständig steuern. Bereits Ende 2018 erhielt munevo DRIVE die Zulassung als Medizinprodukt. munevo.com

 

Cyberdyne

Es klingt wie ein Wunder, ist aber das Ergebnis bahnbrechender Forschung: Mithilfe von Exoskeletten können sich Querschnittsgelähmte ohne Rollstuhl bewegen. Der in Japan entwickelte HAL-Roboteranzug (Hybrid Assistive Limb) von Cyberdyne ist der erste Gehroboter mit neuronaler Steuerung und damit Vorreiter der neuesten Generation von Exoskeletten.

 

Das System ist ein neuronal kontrollierter Cyborg, der unter anderem für die Therapie von Patient:innen mit zerebralen Gefäßerkrankungen, Rückenmarksverletzungen und progressiven neuromuskulären Er-krankungen genutzt wird.

 

Das Besondere an HAL: Er wird durch die Kraft der Gedanken gesteuert. Wenn ein Mensch sich bewegen will, erkennt HAL das elektrische Signal, das vom Gehirn über das Rückenmark an die Muskeln geschickt wird, mittels Sensoren auf der Haut.

 

Die verbleibenden neuromuskulären Impulse des Patienten werden aufgenommen und an das HAL-System übermittelt, das die Impulse erkennt und dem Patienten die nötige Unterstützung in den gewünschten Bewegungen gibt. Gegründet wurde Cyberdyne im Jahr 2004 von dem japanische Professor Yoshiyuki Sankai, einem Pioner auf dem Gebiet der robotergestützten Medizin. cyberdyne.eu

 

 

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