19. November 2024
Margit Hiebl
Ein Trauma ist eine schwere seelische Verletzung und kann immense psychische Probleme wie Depressionen oder Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) verursachen. Diese Therapieansätze helfen bei der Bewältigung
@ Cottonbro Studios
Unwetter, Erdbeben, Krieg, schwere Unfälle – täglich ereignet sich vieles, das wir als traumatisch bezeichnen. Doch was ist eigentlich ein Trauma? Wie kann und sollte man damit umgehen? Ist es heilbar und wenn ja, wie? Darüber sprach PQ-Autorin Margit Hiebl mit Prof. Dr. Roland Weierstall-Pust.
Der Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut ist international als Experte im Bereich der Stress- und Traumafolgestörungen tätig und hat unter anderem an der aktuellen Überarbeitung der in Deutschland gültigen Behandlungsleitlinie mitgewirkt.
Was versteht man unter einem Trauma?
Ursprünglich bedeutet der Begriff „Trauma“ Wunde. In der Psychotherapie bezieht er sich vor allem auf seelische Verletzungen, die durch das Erleben oder Miterleben bedrohlicher oder erschütternder Ereignisse entstehen. Viele Menschen denken dabei zunächst an schwerwiegende Erlebnisse wie körperliche oder sexuelle Gewalt oder Situationen, in denen jemand unmittelbar mit dem Tod bedroht wurde, wie beispielsweise bei einem Überfall.
Doch nicht nur menschengemachte Traumata spielen eine Rolle. Auch schicksalhafte Ereignisse wie Unfälle oder Naturkatastrophen können traumatische Folgen haben. In einer Zeit, in der Umweltveränderungen zunehmend spürbare Konsequenzen haben, könnte es in der Zukunft daher auch wichtiger werden, auch Umweltstressoren als potenzielle Trauma-Faktoren zu berücksichtigen – insbesondere, wenn es weniger Orte auf der Erde gibt, an denen sich Menschen vor diesen sicher fühlen können.
Welche Formen von Trauma gibt es noch?
Insbesondere psychische Gewalt dürfen wir nicht vernachlässigen, welche bis hin zur sogenannten „weißen Folter“ reichen kann, bei der die Menschen extremer psychischer Gewalt ausgesetzt sind, ohne sichtbare körperliche Misshandlung. Diese Form der Gewalt kann ebenso verheerend für die Psyche sein.
Emotionale und psychische Misshandlungen, wie etwa schweres Mobbing, werden zwar oft nicht als klassische Traumata eingestuft, können aber ähnliche Symptome wie eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) hervorrufen. Besonders gravierend sind auch chronische Belastungen in der frühen Kindheit wie etwa Missbrauch oder Vernachlässigung.
Diese hinterlassen oft tiefgreifende Schäden im sich entwickelnden Organismus. Daher ist es entscheidend, dass Kinder und Jugendliche unter den bestmöglichen Bedingungen aufwachsen und auch in Schulen oder Vereinen von qualifizierten Fachkräften betreut werden. Wenn man bedenkt, dass schätzungsweise ein Drittel der Menschen in ihrer Kindheit Vernachlässigung oder Missbrauch erlebt hat, wird deutlich, wie wichtig es ist, die Kleinen zu schützen.
Lebensereignisse wie Scheidungen, der Eintritt in den Ruhestand oder Schwangerschaften können ebenfalls mit erheblichem Stress verbunden sein, zählen jedoch nicht zu den Traumata, obwohl sie häufig von enormen Anpassungsanforderungen begleitet werden und einige Menschen in Folge solcher Ereignisse psychisches Leid entwickeln können.
Muss man von einem traumatischen Ereignis immer direkt betroffen sein?
Nein, auch das Zeuge-Sein oder der indirekte Kontakt, etwa durch eine Nachricht über den schrecklichen Unfall eines Angehörigen, kann traumatisierend wirken. Ebenso ist es im beruflichen Kontext anerkannt, dass Ersthelfer oder Menschen, die täglich mit Gewaltverbrechen konfrontiert sind, anfällig für Traumafolgestörungen sein können.
Wie entsteht so eine Traumafolgestörung und wie erkennt man sie?
Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entsteht, wenn vergangene, schreckliche Erlebnisse weiterhin die Gegenwart dominieren. Nach dem Erleben eines Traumas kann es passieren, dass Betroffene immer wieder von den Erinnerungen an das Ereignis eingeholt werden. Typischerweise äußert sich dies durch aufdringliche Bilder oder Gedanken, die tagsüber oder in der Nacht plötzlich auftreten und so belastend sind, dass sie das alltägliche Leben stark beeinträchtigen oder gar unmöglich machen.
Diese Erinnerungen können so lebendig und real wirken, dass Betroffene das Gefühl haben, das Trauma würde sich im Hier und Jetzt erneut abspielen. Dies führt oft zu einer ständigen Angst, dass ihnen wieder etwas Schlimmes widerfahren könnte. Um diese intensiven Erinnerungen und Ängste zu bewältigen, versuchen viele Betroffene, Situationen zu vermeiden, die sie an das Trauma erinnern. Sie meiden Orte, Menschen oder Umstände, die dem traumatischen Erlebnis ähneln, und entwickeln Strategien, um ihre Gefühle zu unterdrücken oder sich davon abzulenken.
@ Mindworld
Häufig hört man auch von einer komplexen PTBS – was ist der Unterschied?
Eine komplexe PTBS entsteht oft durch langanhaltende, wiederholte traumatische Erlebnisse, wie etwa Missbrauch oder Vernachlässigung über einen längeren Zeitraum, nicht selten in Kindheit und Jugend. Im Vergleich zur klassischen PTBS sind bei der komplexen Form die Symptome tiefergehend. Betroffene, die chronisch und über eine längere Phase traumatisiert wurden, kämpfen daher häufig nicht nur mit Erinnerungen und Ängsten, sondern auch mit Problemen in der Gefühlsregulation, negativen Selbstbildern und Schwierigkeiten in Beziehungen zu anderen Menschen.
Insbesondere bei chronischer Traumatisierung in Kindheit und Jugend sind Betroffene meist nicht dazu in der Lage überhaupt eine innere Vorstellung von sich, der Welt und anderen zu entwickeln, die nicht von den schrecklichen Erfahrungen überlagert ist.
Gibt es eine Art „Erste Hilfe“?
Viele Menschen, die ein Trauma erlebt haben, sind in den ersten Stunden bis Tagen danach stark belastet. Die Symptome einer sogenannten akuten Belastungsreaktion können sehr unterschiedlich ausfallen. Manche Betroffene reagieren mit starker emotionaler Unruhe, Schlaflosigkeit oder Panikattacken, während andere in eine Art Schockzustand verfallen, bei dem sie emotional abgestumpft oder abwesend wirken. Es kann auch zu körperlichen Symptomen wie Herzrasen, Zittern oder Übelkeit kommen.
Wichtig ist, dass Betroffene in dieser Phase Unterstützung erhalten, die sie selbst als hilfreich empfinden. Wer Nähe sucht oder das Gespräch wünscht, sollte die Möglichkeit bekommen, über das Erlebte zu sprechen. Ebenso sollte es respektiert werden, wenn jemand versucht, schnell zur Tagesordnung zurückzukehren, sei es durch Arbeit oder andere Alltagsaktivitäten.
Ein bekanntes Verfahren in solchen Situationen ist das sogenannte „Debriefing“, das oft von Einsatzkräften genutzt wird. Hiermit sollten wir jedoch vorsichtig sein. Betroffene direkt nach einem Trauma zum Austausch oder zur Verarbeitung anzuhalten, kann das Risiko erhöhen, später eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zu entwickeln. Paradoxerweise wird Debriefing von den Betroffenen zwar häufig als positiv wahrgenommen, in seiner klassischen Form zeigt es jedoch eher negative Langzeitwirkungen.
Wenn die Symptome länger auftreten, an wen sollte man sich dann wenden?
Sollten etwa einen Monat nach dem traumatischen Ereignis weiterhin Symptome auftreten, die sich zu einer PTBS verfestigen, ist es ratsam, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dabei sollte man auf Therapeuten zurückgreifen, die ein anerkanntes Weiterbildiungszertifikat in Psychotraumatherapie besitzen.
Welche Therapien gibt es zur Behandlung von Traumafolgestörungen?
Wissenschaftlich ist eindeutig belegt, dass sogenannte Trauma-fokussierte Verfahren die wirksamsten Therapieansätze bei einer PTBS sind. In diesen Methoden steht die direkte Bearbeitung des traumatischen Erlebnisses im Mittelpunkt der Behandlung. Es gibt verschiedene Trauma-fokussierte Ansätze, die alle ähnlich gute Ergebnisse erzielen und sich in der Praxis bewährt haben. PTBS lässt sich in der Regel sehr gut und nachhaltig behandeln.
Hilft Verdrängen?
Obwohl viele Betroffene zunächst den verständlichen Wunsch haben, das Erlebte zu verdrängen, ist dies langfristig nicht hilfreich, um eine PTBS zu überwinden. Auch Stabilisierungstechniken, die auf kurzfristige Bewältigung abzielen, reichen nicht aus, um die Störung zu behandeln. Stabilisierung spielt jedoch eine wichtige Rolle, um Betroffene in der Traumatherapie zu unterstützen.
Eine gute soziale Unterstützung, eine stabile körperliche Verfassung und die Reduzierung von zusätzlichen Stressfaktoren stärken die Ressourcen, die für die oft herausfordernde Arbeit in der Therapie notwendig sind.
Es führt aber kein Weg daran vorbei, sich mit dem Trauma auseinanderzusetzen.
Eine solche Konfrontation mit den belastenden Erfahrungen ist ein zentraler Bestandteil der Therapie und hat sich als äußerst wirksam erwiesen. Selbst stark ausgeprägte PTBS kann durch eine gezielte Behandlung in einer überschaubaren Anzahl von Sitzungen erfolgreich therapiert werden.
Ein entscheidender erster Schritt ist die fundierte Aufklärung der Patienten. Wenn sie sich einmal auf den therapeutischen Prozess einlassen, berichten viele im Nachhinein von großer Erleichterung, diesen Weg gegangen zu sein.
Welche Rolle spielen soziale Unterstützung und Netzwerke bei der Heilung?
Soziale Unterstützung ist eine zentrale Ressource, vor allem für Trauma-Opfer, die in ihrer Kindheit oder Jugend in zwischenmenschlichen Beziehungen verletzt oder geschädigt wurden. Häufig haben diese Menschen Schwierigkeiten, funktionale Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten.
Sie können sich beispielsweise schwer damit tun, Vertrauen zu fassen, Nähe zuzulassen oder angemessen auf Kritik zu reagieren. Auch das Einstehen für eigene Bedürfnisse fällt ihnen nicht leicht, wenn sie beispielsweise in Folge von Traumatisierungen nicht die Lernerfahrung machen konnten, dass eigene Grenzen oder Empfindungen respektiert oder geschützt werden.
Diese Herausforderungen können dazu führen, dass Betroffene in zwischenmenschlichen Kontakten erneut negative Erfahrungen machen, was wiederum die sozialen Verbindungen schwächt. So kann sich ein Teufelskreis entwickeln, bei dem das soziale Netz immer weiter erodiert. Es ist daher wichtig, diesen Kreislauf zu durchbrechen und stabile, unterstützende Beziehungen aufzubauen.
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Was sollten Angehörige und Freunde wissen und tun?
Menschen mit PTBS oder komplexer PTBS tun sich oft schwer, sich in sozialen Kontakten offen oder vertrauensvoll zu verhalten. Dieses Verhalten sollte nicht persönlich genommen werden – es ist ein Ausdruck des erlebten Traumas. Stattdessen sollte das Umfeld eine korrigierende und dem Trauma entgegengesetzte Erfahrung ermöglichen, die den Betroffenen zeigt, dass die aktuelle Situation sicher ist und sich vom Trauma unterscheidet.
Hat jemand Grenzüberschreitungen erlebt, ist es besonders wichtig, dass dieser Mensch nun die Erfahrung machen kann, dass seine Grenzen respektiert und geachtet werden.
Ebenso sollten Betroffene nicht das Gefühl haben, sich für das Erlebte schämen oder schuldig fühlen zu müssen. Allein das Ansprechen des Traumas kann eine große Herausforderung darstellen. Angehörige und Freunde können unterstützend wirken, indem sie mit Verständnis und Wohlwollen reagieren.
Wie können Betroffene ihren Alltag besser bewältigen?
Bei der PTBS steht die Angst oft im Mittelpunkt. Diese Angst führt dazu, dass Betroffene versuchen, Situationen oder Auslöser zu vermeiden, die sie an das Trauma erinnern. Dadurch gestalten viele ihren Alltag so, dass sie den Kontakt mit Triggern vermeiden – was kurzfristig Erleichterung verschaffen kann, langfristig jedoch die Problematik verstärkt.
Der Schlüssel zur erfolgreichen Bewältigung liegt jedoch im Gegenteil: in der aktiven Auseinandersetzung mit dem Trauma. Dies sollte unbedingt mit qualifizierter therapeutischer Unterstützung geschehen. Durch diese Konfrontation und Bearbeitung des Erlebten können Betroffene nach und nach neue Perspektiven in ihrem Alltag entwickeln und ihre Lebensqualität verbessern.
Eine frühzeitige Behandlung ist hierbei entscheidend, um einer Chronifizierung oder dem Auftreten von weiteren Folgeerkrankungen wie Depressionen oder Süchten vorzubeugen.
Gibt es neue Forschungsergebnisse und Entwicklungen in der Traumatherapie?
Glücklicherweise ist das Feld der Psychotraumatologie sehr gut erforscht. International renommierte Experten arbeiten kontinuierlich daran, die Erklärungsmodelle und Behandlungsansätze weiterzuentwickeln und neue, wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen.
Ein bedeutender Meilenstein ist sicherlich die aktuelle Überarbeitung der in Deutschland gültigen Behandlungsleitlinie, die bald verfügbar sein wird. Ich durfte selbst in einem Teilbereich an diesem wichtigen Projekt mitwirken. Diese Leitlinie fasst die neuesten wissenschaftlich fundierten Empfehlungen für Therapeuten zusammen und gewährleistet, dass Betroffene die bestmögliche Behandlung erhalten. Daher legen wir im Premium Medical Circle auch wert darauf, dass alle unsere Expertinnen und Experten entlang dieser fundierten Qualitätsstandards tätig sind.