2. November 2024
Margit Hiebl
LSD, Ketamin, Psilocybin oder MDMA kommen unter anderem bei schweren Depressionen zum Einsatz und wirken überraschend positiv. Prof. Dr. Andreas Menke erklärt, warum
@ Marek Piwnicki
Zeitenwende in der Behandlung von Depression? Psychedelika erleben ein Revival. Was die meisten im Zusammenhang mit Hippiekultur kennen, könnte ein Gamechanger in der Behandlung von Depression werden. Über Möglichkeiten und Risiken sprach PQ-Autorin Margit Hiebl mit Prof. Dr. Andreas Menke. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und ärztlicher Direktor des Medical Park Chiemseeblick, einer Fachklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
Was ist eine Depression?
Eine Depression ist eine psychische Erkrankung – gekennzeichnet durch eine niedergedrückte Stimmung, reduzierten Antrieb und durch reduziertes Interesse. Diese Erkrankung kann auch deswegen so schlimm sein, weil sie alle Lebensbereiche signifikant beeinträchtigt. Im Privaten, weil man sich zurückzieht, kaum Kontakt zu Freunden und Familie pflegt. Auch kann man nicht mehr wirklich arbeiten – die Depression legt sich wie ein schwarzer Teppich über alles.
Welches sind die ersten Anzeichen?
Es beginnt häufig mit Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen oder Ein- und Durchschlafstörungen. Auch der Appetit kann sich ändern, abnehmen wie zunehmen. Hinzu können auch Unruhe und Anspannung kommen. Auch Schuldideen tauchen auf. Die schwerste Ausprägung geht bis zur Suizidalität, dass jemand den Gedanken entwickelt oder sogar schon erste Schritte unternimmt, sich das Leben zu nehmen.
Jeder hat mal ein Tief … ist das schon eine Depression?
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen mal schlecht drauf sein und einer Depression – auch wenn man im Sprachgebrauch mal sagt „ich bin heute depressiv“. Definitionsgemäß muss die niedergedrückte Stimmung und der reduzierte Antrieb mindestens zwei Wochen bestehen, mit einer gewissen Anzahl und Schwere der Symptome, sonst darf ich das nicht diagnostizieren. Wenn man mal traurig ist und es dafür auch einen Grund gibt, ist das noch keine Depression.
Wie bekommt man eine Depression?
Zum einen gibt es eine genetische Veranlagung von etwa 40 Prozent. Es gibt aber nicht das eine Depressions-Gen, es ist wie ein Mosaik und jeder Mosaikstein hat, für sich genommen, immer einen kleinen Effekt. 60 Prozent werden durch Umweltfaktoren bedingt.
Federführend ist hier chronischer, toxischer Stress: Etwa im Job, wenn man sich wie im Hamsterrad fühlt. Aber auch ein ständiger Partnerschaftskonflikt, Schlafmangel, finanzielle Probleme, Angst vor Arbeitsplatzverlust. All das kann dann in eine Depression münden.
In der letzten Zeit hört man immer wieder von psychoaktiven Substanzen oder Psychedelika wie Psilocybin, die einen neuen Ansatz in der Behandlung versprechen.
Da muss man unterscheiden. Auch unsere herkömmlichen Medikamente wie Antidepressiva und Antipsychotika wirken psychoaktiv.
Die klassischen Psychedelika sind aber nicht für die Behandlung zugelassen, es sei denn innerhalb eines Studiendesigns. Für Psilocybin etwa gibt es aber inzwischen gute Studien, die eine sehr gute Wirksamkeit belegen. Und sehr schnell – schon nach einer Gabe, kann die Depression weg sein.
Das klingt schon vielversprechend…
Ja, man geht davon aus, dass so verkrustete Strukturen im Hirn, die sich verfestigt haben, über lange Zeit, aufgebrochen werden, damit neue Erfahrungen wieder möglich sind, also fast wie bei einem Kind, dass man wieder neue Sachen lernen kann. Auch deswegen macht die Kombination mit Psychotherapie Sinn, weil so wieder eine Voraussetzung für neue Erfahrungen geschaffen wird.
Und die Risiken?
Sie wirken wirklich psychoaktiv, das heißt, sie können nicht nur dissoziative, sondern sogar psychotische Symptome auslösen, die sehr belastend sein können. Wie etwa Halluzinationen, Verfolgungswahn oder ähnliches. Das kann bis zu zwei Stunden anhalten. Außerhalb eines therapeutischen Rahmens würde ich das daher nicht empfehlen. Innerhalb eines Settings geht das dann über sechs bis acht Stunden. Ähnlich wirkt LSD, nur mit einer längeren Halbwertszeit.
Wenn die Studienergebnisse so überzeugend sind, dann könnte es ja bald zugelassen werden.
Man geht davon aus, dass es in den nächsten Jahren von der FDA zugelassen wird, dann würde auch die EMA in Europa bald nachziehen.
Würden Sie es in Ihrer Klinik einsetzen?
Wenn es zugelassen ist, werde ich es auch in unserer Klinik einsetzen. Hier ist das Setting ideal, da wir die psychiatrische Fachkompetenz zusammen mit den guten Psychotherapiemöglichkeiten kombinieren können. Es ist sozusagen eine Zeitenwende, weil die Substanzen sofort wirken. In der Antidepressiva-Entwicklung hat sich seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts nicht wirklich was getan – es hat sich zwar die Tolerabilität verbessert, nicht aber die Wirksamkeit. Sie brauchen eben sechs Wochen, bis sie wirken.
Wie es das mit Ketamin?
Ketamin ist noch kein richtiges Psychedelikum – wirkt aber ein bisschen so. Auch diese Substanz gilt als rapid acting antidepressant, und wird innerhalb von Studien in Universitätskliniken zur Behandlung von Depression als Infusion eingesetzt. In der Notfallmedizin und in der Anästhesie kennt man es schon lange.
Vor einiger Zeit ging’s eher unrühmlich durch die Presse, weil Schauspieler Matthew Perry daran starb.
Die Gefahr liegt in der missbräuchlichen Anwendung. Denn es ist ja ein Anästhetikum und wird sonst zur Narkose eingesetzt. Bei einer falschen, zu hohen Dosierung besteht das Risiko, dass man einschläft und nicht wieder aufwacht, weil es das Atemzentrum irgendwann blockiert.
Es gibt aber eine Weiterentwicklung…
Ja, das Esketamin – ein Nasenspray. Klarer Vorteil ist zu einen die Applikationsform, man braucht keine Infusion mehr. Und auch die Dosierung ist angepasst. Das ist bereits zugelassen, aber nur bei einer therapieresistenter Depression oder in einer suizidalen Krise. Voraussetzung laut Leitlinie: Mindestens zwei Antidepressiva wurden versucht, die nicht geholfen haben. Esketamin kann nach einer bis zwei Gaben schon wirken, meist wird es aber über vier bis acht Wochen angewendet.
In welchem Zustand befindet man sich, wenn man das genommen hat?
Man wird müde, schläft aber nicht. Dabei könnte es auch zu Dissoziationen kommen, aber nicht so häufig wie bei Psychedelika
Und danach würde man auch fröhlich aus der Klinik gehen?
Erstmal vielleicht ja. Antidepressiva und Psychedelika wirken, führen aber nicht zu einer Verhaltensänderung. Das heißt, wer Probleme in der Interaktion mit anderen Menschen, Partnern und im Berufsleben hat, oder Schwierigkeiten mit Wertvorstellungen oder Schemata aus der Kindheit und Jugend hat, die einen im Erwachsenenleben immer wieder auflaufen lassen, werden die auch durch Medikamente nicht geändert.
Es wird ja nur die Depression behandelt. Setzt man das Medikament wieder ab, besteht das Risiko, dass durch diese Belastungen wieder eine Depression ausgelöst wird. Wenn aber eine Verhaltensänderung stattfindet, etwa durch eine Psychotherapie, ist die Chance, nicht mehr daran zu erkranken, deutlich höher.
Aber Psychotherapie allein reicht auch nicht?
Manche sind so krank, dass sie mit Antidepressiva erst auf ein gewisses Level in Sachen Konzentration, Merkfähigkeit oder Antrieb gebracht werden müssen, um von der Psychotherapie zu profitieren. Denn die funktioniert nur, wenn man richtig mitarbeiten kann.
Last but not least: Noch ein Wort zu Cannabis und Depression?
Cannabis ist kein Medikament für die Depressionsbehandlung oder zur Besserung irgendwelcher psychischer Symptome. Das ist in Studien auch klar belegt. Es hat eher den Nachteil, dass es zu Schäden im Gehirn führen kann, insbesondere bei Menschen unter 25 Jahren.
Es kann sogar Depression eher auslösen, aber auch Psychosen oder Schizophrenie. Häufig auch das sogenannte „Kalifornische Surfersyndrom“, das sich darin äußert, dass man keinen Bock mehr auf nichts hat. Dabei geht es einem zwar gut, man wird im Leben aber nicht mehr viel reißen. Und das ist nicht therapierbar.