21. März 2023

Judith Cyriax

Alles im Blick

Hornhaut-Transplantationen, Photomodulation, Lasertechnik … Ein Besuch bei einem ganz besonderem Vater-Sohn-Team

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„Mehr als 40 Millionen Deutsche benötigen eine Brille

Wer in das Ophthalmologikum Dr. Neuhann kommt, kann mit einem schnellen Blick aus den großen Fenstern der vierten Etage nachprüfen, wie es um seine aktuelle Sehkraft bestimmt ist. Lässt sich das Glockenspiel im gegenüberliegenden Rathausturm schwer erkennen und ist das Treiben auf dem unterhalb liegenden Marienplatz eher verschwommen, ist man genau an der richtigen Adresse. Denn in dieser Augenarztpraxis mit angeschlossener Augenklinik mitten in der Münchner Innenstadt trifft man auf ein außergewöhnliches Vater-Sohn-Gespann mit internationaler Expertise und der großen Leidenschaft einer Familientradition: Dr. Tobias und Raphael Neuhann geben Menschen ihre Sehkraft zurück.

 

 

Es bleibt in der Familie

 

Augenarzt zu sein, wurde den Neuhanns bereits in die Wiege gelegt: Alles begann mit Dr. Heinrich Neuhann, Chefarzt der Augenabteilung des St.-Johannes-Spitals in Dortmund. Als diese Klinik 1944 durch Bombenangriffe zerstört wurde, behandelte und operierte er im nordrhein-westfälischen Höxter die Patient:innen weiter. Diese Praxis in Höxter übernahm dann Sohn Dr. Heinz Neuhann, während der andere Sohn Wilhelm nach München ging. 1951 eröffnete dieser dort eine Augenarztpraxis, die er 1983 wiederum in die Hände seiner Söhne Dr. Tobias Neuhann und Prof. Thomas Neuhann übergab. 1998 erfüllte sich Dr. Tobias Neuhann schließlich den Wunsch nach einer eigenen Praxis und gründete seine gleichnamige Augenklinik am Marienplatz. 2016 stieg dann Sohn Raphael, der Urenkel von Dr. Heinrich Neuhann, in die Praxis seines Vaters mit ein, die er seit März 2020, genau zum Beginn der Pandemie, auch leitet.

 

„Natürlich hätte ich mir eine etwas einfachere Zeit für die Übernahme der Praxis gewünscht, aber wie heißt es so schön: Man wächst mit seinen Aufgaben“, meint Neuhann Junior. Auf die Unterstützung seines Vaters muss er dennoch nicht verzichten. Auf insgesamt 600 Quadratmetern und zwei Etagen verteilen sich die drei Einrichtungen der beiden erfolgreichen Mediziner: das AugenDiagnostik-Center (ADC München), in das auch niedergelassene Augenärzt:innen aus München und der Umgebung ihre Patient:innen zu Untersuchungen schicken, die Augenklinik sowie das Zentrum für refraktive Chirurgie, in denen die Neuhanns und ihre Mitarbeiter:innen rund 7000 Eingriffe pro Jahr durchführen.

 

 

Den Durchblick behalten

 

Mehr als 40 Millionen Deutsche ab 16 Jahren benötigen eine Brille zur Korrektur einer Sehschwäche, circa 36 Prozent davon müssen den Sehbehelf ständig tragen. Kontaktlinsen als Alternative werden von rund 3,3 Millionen Menschen verwendet. Sowohl Brille als auch Kontaktlinsen sind nicht immer der optimale Behelf, um Sehschwächen zu kompensieren. In bestimmten Berufen, aber auch beim Sport stellen sich bisweilen Probleme beim Tragen ein. Hinzu kommen bei manchen Menschen allergische Reaktionen auf Kontaktlinsen.

 

Laut statistischer Datenbank des Berufsverbands der Augenärzte nimmt in Deutschland die Fehlsichtigkeit zu. Ein Grund dafür ist die stark angestiegene Zeit, die vor Bildschirmen verbracht wird. Gerade in den vergangenen beiden Jahren stand pandemiebedingt bei immer mehr Menschen – im Beruf, im Studium oder in der Schule – der Computer, das Tablet oder auch das Handy mit seinem kleinen Bildschirm im täglichen Fokus, was die Augen besonders fordert und auch stark belasten kann.

 

Nicht weiter verwunderlich, dass Augenoperationen konstante Zuwachsraten verzeichnen, versprechen doch moderne OP-Methoden sehr gute Erfolge. Allein im Jahr 2020 unterzogen sich rund 160.000 Menschen einer Augenlaseroperation nach der sogenannten LASIK-Methode. Auch im Ophthalmologikum ist der LASIK-Laser häufig im Einsatz. „Das Ziel jedes Eingriffs ist immer, die volle Sehleistung, die vorher mit der optimalen Brille erreicht wurde, wiederherzustellen“, erklärt Raphael Neuhann. Wenn diese erreicht ist, müssen sich viele Menschen erst mal wieder an die neue Sehkraft gewöhnen.

Raphael Neuhann und sein Vater Dr. Tobias Neuhann

Visionäres Dreamteam: Raphael Neuhann und sein Vater Dr. Tobias Neuhann

„Natürlich sind unsere Patienten in erster Linie glücklich, wenn ihr persönliches Defizit erfolgreich behoben werden konnte, dennoch müssen sie das Sehen in gewisser Weise auch wieder lernen“, so Neuhann. „Die Menschen sind an ihr eingeschränktes Sehen gewöhnt, haben sich gewisse Abläufe eingeprägt, wissen genau, wie sie etwas halten müssen oder welche Lichtverhältnisse sie brauchen, um scharf sehen zu können.“

 

Nach einer Laserbehandlung ändert sich das jedoch grundlegend. Das Gewohnheitstier Mensch muss sich anpassen, muss seine gewohnten Abläufe ändern, und das führt bei so manchen in der ersten Zeit zu einer leichten Unzufriedenheit. Diese sollte aber nach spätestens sechs bis acht Wochen verschwunden sein, denn so lange braucht das Gehirn, um sich an das neue Sehgefühl zu gewöhnen. „Wir haben festgestellt, dass Patienten, die realistische Erwartungen an eine Behandlung haben, häufig viel schneller zufrieden sind als Patienten, die mit überhöhten Vorstellungen in die Behandlung gehen. Diese hadern meist mit der schwankenden Sehleistung während der Heilungsphase“, so Raphael Neuhann.

 

In der Praxis der Doctores Neuhann sticht nicht nur der fantastische Ausblick ins Auge, auch die Einrichtung wurde psychologisch geschickt gewählt: Rot, Gelb und Blau ziehen sich durch die Räume, sei es beim Mobiliar oder bei den Bildern und Skulpturen, die es überall zu entdecken gibt. „Wegen der Patienten, die mit einem Grauen Star zu uns kommen, haben wir uns für die drei Grundfarben entschieden“, erzählt Dr. Neuhann Senior. Als Grauer Star oder Katarakt wird die Eintrübung der ursprünglich klaren Augenlinse bezeichnet, im fortgeschrittenen Stadium kann man die graue Färbung sogar hinter der Pupille erkennen.

 

„Wer davon betroffen ist, sieht die Welt wie durch ein schmutziges, schlieriges Fenster, wodurch natürlich auch die Farben an Leuchtkraft verlieren. Durch das Einsetzen einer künstlichen Linse oder mithilfe eines Femtosekundenlasers können wir die Trübung erfolgreich dauerhaft entfernen. Das Auge sieht wieder alles superklar und die Patienten können dies sofort nach dem Eingriff an unserer farbigen Einrichtung nachprüfen.“

Auge

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Rettender Fremdkörper

 

Neben den klassischen Leistungen einer fachärztlichen Augenarztpraxis liegt den beiden Spezialisten besonders die Transplantation der Augenhornhaut am Herzen: „Die Augenhornhaut ist das Wertvollste, was wir in der Augenheilkunde haben – und was die Wenigsten wissen: die Hornhaut-Transplantation ist die häufigste und erfolgreichste Verpflanzung eines Gewebes beim Menschen.“

 

Bei rund 600 Eingriffen transplantierte Neuhann Senior bis dato mehr Hornhäute als viele andere Augenchirurgen in ambulanten operativen Zentren in Bayern; in den meisten Fällen aufgrund von Keratokonus, einer krankhaften Verdünnung oder Verformung der Hornhaut, sowie bei verletzten und getrübten Hornhäuten. Auch diese Leidenschaft in Kombination mit der Anwendung modernster Operationstechniken hat der Sohn übernommen: „Früher hat man alle Schichten der menschlichen Hornhaut übertragen. Mittlerweile wird nur noch er erkrankte Teil der Hornhaut präpariert und durch eine gesunde Schicht einer Spenderhornhaut ersetzt. Die heute häufigste Form der Schichttransplantation benötigt auch keine Naht mehr“, erklärt Dr. Raphael Neuhann.

 

Neu an dieser Methode ist, dass nicht mit der gesamten Spenderhornhaut gearbeitet wird, sondern nur mit einer hauchdünnen Zellschicht. Um diese Eingriffe so präzise wie nur möglich durchführen zu können, lassen die beiden Ärzte ihre Instrumente nach eigenen Vorstellungen herstellen. „Für jeden Operateur ist das die logische Entwicklung seiner Arbeit. Wer sich täglich handwerklich auf höchstem Niveau bewegen muss, braucht dafür Handwerkszeug, das perfekt passt“, so Dr. Tobias Neuhann. In ihrem Fall kein herkömmlicher Chirurgiestahl, sondern besonders präzise geschliffene Industriediamanten.

 

Ein weiteres Hauptaugenmerk ist die Behandlung der sogenannten Makuladegeneration (AMD), eine Erkrankung, die die Netzhaut im hinteren Bereich des Auges angreift. Dieser spezielle „gelbe Fleck“ (Makula), den Dr. Tobias Neuhann der „Heilige Gral des Sehens“ nennt, sorgt dafür, dass man scharf sehen kann. Die weitaus häufigste ist die altersbedingte trockene Makuladegeneration, die Menschen etwa ab dem 65. Lebensjahr treffen kann. Erste Symptome dieser Augenkrankheit sind eine verschwommene und verzerrte Wahrnehmung in der Mitte des Gesichtsfeldes – das Lesen, aber auch das Erkennen von Personen wird immer schwieriger.

 

Dr. Raphael Neuhann: „Mit fortschreitendem Alter können sich nach und nach kleine Ablagerungen unter der Netzhaut ansammeln. Diese Rückstände, die sogenannten Drusen, führen dann leider dazu, dass sich ein Teil der Netzhaut zurückbildet, dünner wird oder sogar abstirbt. Und dieser damit einhergehende Ausfall von Sehzellen führt peu à peu zur Einschränkung der Sehfähigkeit.“ Lange Zeit ließ sich die trockene AMD nicht gut therapieren, doch vor Kurzem wurde die sogenannte Photomodulation als erstaunlich effektive Behandlungsmethode für die Augenheilkunde entdeckt.

„Keine Kunstlinse ist so gut wie die eigene menschliche.“

Bei dieser Therapie wird Licht bestimmter Wellenlängen eingesetzt, das die Regeneration noch vorhandener Netzhautzellen anregt, das Absterben der Zellen eindämmt und die Verschlechterung der Sehleistung dadurch verlangsamt. „In anderen medizinischen Fachrichtungen wie beispielsweise in der Sportmedizin oder der Dermatologie wird dieses schmerzfreie und berührungslose Verfahren schon lange erfolgreich eingesetzt, nun ist sie die erste für die trockene Makuladegeneration zugelassene Behandlung, und wir bieten sie seit etwa neun Monaten bei uns in der Praxis an“, freut sich Dr. Tobias Neuhann.

 

Geschwächte Kinderaugen

 

Studien zufolge hat die Corona-Pandemie zu noch mehr Kurzsichtigkeit (Myopie) bei Kindern geführt. „Das ist wirklich ein Riesenproblem. Die meisten Kinder werden früher oder später eine Kurzsichtigkeit entwickeln, da sie immer mehr Zeit vor Bildschirmen verbringen als Zeit im Freien bei Tageslicht“, bestätigt Dr. Tobias Neuhann. Und da die Augen anpassungsfähige Hochleistungsorgane sind, reagieren sie auf diese neue Lebenssituation und passen sich an die Herausforderung des ständigen Nahsehens an – mit einem Anstieg der Kurzsichtigkeit als Folge.

 

Ganz neu sind spezielle Brillen (MiYOSMART), die die Kurzsichtigkeit bei Kindern korrigieren und ihr Fortschreiten um bis zu 60 Form Prozent verlangsamen können. „Die Besonderheit dieser Sehhilfe sind Gläser, die aus unzähligen Prismen bestehen. Diese zerlegen sämtliche Lichtstrahlen, die Bildschirme ausstrahlen und stellen zum Beispiel nicht nur den Ausschnitt des Smartphones scharf, sondern machen auch die Umgebung gut sichtbar“, so Dr. Tobias Neuhann.

 

Blick in die Zukunft

 

Was die Zukunft bringen soll, darin sind sich Vater und Sohn einig: eine Kunstlinse, die wie die menschliche Linse automatisch fokussiert. Seit Jahren wird daran geforscht, doch bis jetzt ohne Erfolg. Raphael Neuhann: „Jeder Mensch hat eigene Ansprüche an seine Augen – ein Lehrer andere als ein Bogenschütze – und unsere Augen können mit all ihren komplexen Mechanismen diese Anforderungen im besten Fall erfüllen. Doch als Augenarzt muss ich ehrlich sagen: Keine Kunstlinse ist so gut wie die eigene menschliche.“

Judith Cyriax

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