20. Januar 2025
Marianne von Waldenfels
Über Geschmack lässt sich nicht streiten? Ganz wunderbar sogar! Vor allem, wenn es um Food Pairing geht, wo zusammenkommt, was vermeintlich nicht zusammenpasst
@ Dorling Kindersley
Weiße Schokolade mit Kaviar, Languste mit Blaubeeren, Banane mit Petersilie, Austern mit Kiwi: Beim Food Pairing entstehen Gerichte, die auf den ersten Blick beinahe absurd wirken – gestützt von der Molekularchemie.
Geboren wurde der Begriff „Food Pairing“, als der berühmte Koch Heston Blumenthal im Jahr 1992 mit salzigen Zutaten und Schokolade experimentierte und da-bei herausfand, dass Kaviar mit weißer Schokolade ziemlich gut schmeckt. Warum das so ist, dafür hatte der mit drei Michelin-Sternen gekrönte Brite keine Erklärung.
Deswegen kontaktierte er den Parfümeur und Lebensmitteltechniker François Benzi und berichtete ihm von seiner Entdeckung. Benzi fand mithilfe eines Gaschromatographen heraus, warum die beiden Lebensmittel zusammenpassen.
Weiße Schokolade und Kaviar enthalten beide die Substanz Trimethylamin und sind deshalb geschmacklich verwandt. Die Chemie muss also auch beim Essen stimmen. Benzi hatte nämlich vorher etwas Ähnliches wie Blumenthal erlebt – in seinem Garten.
Als er an einem Jasminstrauch roch, hatte er auf einmal den Duft von Leber in der Nase. Auch hier untersuchte Benzi die Substanzen. Das Ergebnis: Die Aromen beider basieren im Wesentlichen auf dem chemischen Molekül Indol. Er kombinierte also beides auf dem Teller – und war mit dem Ergebnis äußerst zufrieden.
Blumenthal und Benzi weiteten ihre Forschungen aus und schrieben (Food-)Ge-schichte. Sie entwickelten „Food Pairing Trees“, die zeigen, welche Gewürze und Zutaten besonders gut zusammenpassen.
Bis heute ist Blumenthal Inhaber des legendären Restaurants „The Fat Duck“ in der Nähe von London und dafür bekannt, seine Gäste mit außergewöhnlichen Kombinationen zu überraschen, die auf vollkommen neue Art den Gaumen kitzeln, wie dunkle Schokolade und Blauschimmelkäse. Diese haben laut Blumenthal 73 aromatische Komponenten gemeinsam.
Der Unterschied zum herkömmlichen Ausprobieren und Abschmecken liegt beim Food Pairing darin, dass wissenschaftliche Forschungen die Grundlage dafür bilden. Lebensmittel werden wie in der Molekularküche in ihre Bestandteile zerlegt, die sogenannten Schlüsselaromen herausgefiltert und miteinander verglichen.
Die einzelnen Aromen halten Wissenschaftler in Datenbanken fest. Mehr als 10.000 wurden bereits entschlüsselt und damit Millionen von Kombinationsmöglichkeiten geschaffen. Guter Geschmack hat wohl also ziemlich viel mit Physik und Chemie zu tun.
René Redzepi, Chef des weltbekannten „Noma“ in Kopenhagen, kombiniert zum Beispiel völlig überraschend schwarze Oliven mit weißer Schokolade. Die erdigen und salzigen Noten der schwarzen Oliven werden durch die Süße und Cremigkeit der weißen Schokolade ausbalanciert.
Der spanische Starkoch Ferran Adrià experimentierte irgendwann nicht mehr nur mit unterschiedlichen Aromen, sondern auch mit verschiedenen Konsistenzen und Aggregatzuständen. Im „El Bulli“ entstanden mithilfe von physikalischen und chemischen Prozessen zum Beispiel in Gelee gepresste Flüssigkeiten oder mit flüssigem Stickstoff zubereitete Speisen, die die gegensätzlichsten Aromen kombinierten und die Geschmacksnerven auf eine völlig neue Art und Weise kitzelten.
@ Volker Debus
Er gilt als Impulsgeber und Visionär und zählt zu den innovativsten Köchen des Landes. Mit dem Thema Food Pairing hat Antoniewicz sich unter anderem in seinem Kochbuch „Aromen“ (Dorling Kinderley) intensiv beschäftigt.
Was ist Ihre Definition von Food Pairing?
Das gezielte Harmonisieren von Zutaten. Es ist ein Trend, der das Bauchgefühl mit wissenschaftlicher Analytik verbindet, also die Lehre von der Aromen-Harmonie und der Geschmackspotenzierung.
Food Pairing heißt allerdings nicht nur das Kombinieren von Aromen, sondern es geht auch um Experimentieren mit Texturen und Konsistenzen.
In welche Kategorien werden Aromen unterteilt?
Wir unterscheiden zwischen sieben Aroma-Gruppierungen: zitrusartig, fruchtig-säuerlich, blumig-frisch, vanilleartig, zimtartig, holzig, röstartig.
Konsultieren Sie denn Wissenschaftler, wenn es darum geht, neue Rezepte zu kreieren?
Ja. Allerdings bestätigt die Wissenschaft eher das, was ich tue, und bringt mich auf neue Ideen. Es spricht außerdem nichts dagegen, sich auf sein Bauchgefühl zu verlassen. Als ich ein kleiner Junge war, habe ich Nutella und Senf miteinander gegessen, aus einem Impuls heraus. Heute weiß ich, warum das funktioniert. Weil Haselnüsse und Senf sehr gut miteinander harmonieren – sie haben die gleichen Aromaprofile.
@ Dorling Kindersley
Arbeiten Sie auch ab und zu im Labor mit?
Ich habe immer wieder viel Zeit in Sensoriklaboren verbracht, um tief in die Materie einzusteigen. Dort kommen Gaschromatographen zum Einsatz, mit deren Hilfe die Aromastoffe verflüssigt und sensorisch charakterisiert werden.
Ich nutze in meiner Küche ebenfalls Laborgeräte, die es ermöglichen, Aromastoffe deutlich besser herauszulösen, wie zum Beispiel einen Rotationsverdampfer.
Gibt es eine ganz einfache Regel für Food Pairing?
Lebensmittel mit gleichem Schlüsselaroma kann man besonders gut paaren. Gleich und gleich verstärkt den Geschmack.
Weshalb scheinen gerade die unmöglichsten Kombinationen am besten zu schmecken?
Gleich und gleich schafft Verstärkung, aber Kontraste tun das auch. Zum Beispiel Fisch in Senfsoße. Wir kombinieren das gerne noch mit Minze als dritte Zutat, weil dadurch der Spannungsbogen größer wird.
Wer auf Dauer nur Produkte mit ähnlichen Schlüsselaromen zusammenbringt, der wird nicht viel Neues entdecken. Es lohnt sich, mutig zu sein und scheinbar gegensätzliche Aromen- und Geschmackskombinationen auszuprobieren. Ich vertraue sehr oft auf meine Intuition.
Wie nehmen wir Geschmäcker wahr?
Über die Geschmackspapillen auf der Zunge, in denen je über 100 Geschmacksknospen liegen. Diese Knospen erinnern in ihrer Struktur ein wenig an eine umgekehrte Zwiebel und enthalten Sinneszellen, die an ihrer Oberfläche Geschmacksrezeptoren haben.
Diese wiederum können einzelne Moleküle, die Bestandteil der Nahrung sind, erkennen und die empfangenen Reize ans Gehirn übertragen. Das Geschmacksempfinden ist klar umrissen und wird in fünf Kategorien eingeteilt: süß, sauer, salzig, bitter und umami.
Übrigens spielt auch die Temperatur, bei der ein Gericht serviert wird, eine wichtige Rolle. Denn auch Temperatur kann Spannung erzeugen.
Welche Rolle spielt der Geruchssinn bei Geschmackserlebnissen und im Besonderen beim Food Pairing?
Eine sehr große. Alles, was wir schmecken, besteht erstmal zu 80 Prozent aus Duft. Das kennt doch jeder: Wenn Sie erkältet sind, dann schmeckt alles irgendwie gleich. Das kommt daher, dass die Nase geschlossen ist und man nichts riecht.
Mein Rat: Seien Sie mutig und spielen Sie mit den Aromen
Denn eigentlich ist der beste Geschmackssinn der Duftsinn. Deswegen sind Kräuter in der Küche ja auch so beliebt. Der Duft von Kräutern geht direkt ins limbische System und löst ein Gefühl aus. Je besser das Essen riecht, desto stärker ist die emotionale Bindung, die man dazu aufbaut.
Welche Kombination kann ein Food-Pairing-Anfänger relativ leicht nachmachen?
Reife Bananen mit etwas Ahornsirup in einer Pfanne erwärmen, dazu ein süßes Petersilienpesto herstellen. Also Blattpetersilie mit Läuterzucker oder Zuckersirup mixen oder fein mörsern.
Ein paar Erdnüsse zur Bindung dazugeben und etwas Olivenöl. Anschließend alles zusammen servieren. Bananen und Petersilie harmonieren wunderbar. Mein Rat: Seien Sie mutig und spielen Sie mit den Aromen.
Meine Grundregel: probieren, probieren und noch mal probieren. Und: Sensibilisieren Sie Ihren Geschmackssinn, in dem Sie genau darauf achten, wonach das Gericht oder die Zutat, die Sie gerade essen, schmeckt.