„Auch jenseits von Sport kann einiges ganz nebenbei Bewegung in den Kopf bringen: Gartenarbeit, Hausputz und Sex”
Regelmäßige Bewegung sorgt nicht nur dafür, dass körperliche Verfallserscheinungen aufgehalten werden können. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen: Auch unser Gehirn wird durch Sport fitter und wieder jünger
© Jamie Chung / trunkarchive.com
„Auch jenseits von Sport kann einiges ganz nebenbei Bewegung in den Kopf bringen: Gartenarbeit, Hausputz und Sex”
Das Gehirn ist wie ein Muskel, wird gerne gesagt. Die Analogie stimmt nicht ganz. Richtig aber ist, dass es trainiert werden kann, und das nicht nur durch Gehirnjogging. In Studien wurde festgestellt, dass sich Jugendliche, nach Sportunterricht oder nachdem sie sich in der Pause ausgetobt hatten, besser konzentrierern können. Untersuchungen bei Spitzensportlern zeigen, dass sie auf Stress gelassener reagieren als Untrainierte. Diese positiven Effekte beschränken sich aber nicht nur auf Junge und Athleten. Auch bei körperlich fitten Senioren wurde beobachtet, dass etwa die exekutiven Funktionen, die die Kontrolle von Handlungen steuern, weniger stark von Alterungsprozessen betroffen waren als bei gleichaltrigen Couch-Potatoes.
Woran liegt es nun, dass Bewegung dem Kopf so guttut? Es sind wohl mehrere Komponenten. Sie erhöht den Blutfluss zum Gehirn, wodurch dieses auch mehr Sauerstoff bekommt. Auch die Konzentration von Botenstoffen wie Serotonin, das als gedächtnisfördernd und stimmungsaufhellend gilt, verbessert sich. Und noch etwas – sehr Entscheidendes – passiert: Durch Bewegung entstehen neue Nervenzellen und Verbindungen im Hippocampus. Das ist der Arbeitsspeicher des Gehirns – hier entscheidet sich, was aus dem Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis gepackt wird und wieder abgerufen werden kann. Auch ist er verantwortlich für die räumliche Wahrnehmung, ohne die wir uns nicht orientieren könnten. Und er steuert, verarbeitet und verbindet Emotionen. Die neuen Nervenzellen sind sozusagen ein Update, das auch neue Informationen in vorhandene Kontexte integrieren kann, ohne die alten zu vergessen.
Bis in die 1990er-Jahre ging man noch davon aus, dass wir mit einer festgelegten Anzahl von Nervenzellen geboren werden und damit ein Leben lang auskommen müssen. Die Erkenntnis, dass das Gehirn kein statisches Gebilde ist, sondern es dort – im Hippocampus – Strukturen gibt, die sich ständig verändern und auch neu verknüpfen, war also bahnbrechend. Ebenso, dass Bewegung ein wichtiger Faktor ist, wenn es darum geht, neue Strukturen entstehen zu lassen. Denn damit ist klar: Das Gehirn ist nicht nur regenerationsfähig, sondern auch lernfähig – in jedem Alter, ein Leben lang.
Das ist eine Riesenchance, weil jeder und jede Einzelne aktiv etwas dazu beitragen kann. Denn dieses Prinzip der Neuroplastizität richtet sich nach den Anforderungen. „Use it or lose it“, heißt es so schön – was nicht genutzt wird, geht verloren. Der menschliche Organismus ist darauf ausgelegt, sich zu bewegen und sich gegen widrige Umstände durchzusetzen. Stoffwechsel- und Regenerationsprozesse werden durch Belastung und Widerstände stimuliert. So hat sich das die Evolution schon ausgedacht. Das heißt: Ein aktiver und geforderter Organismus ist ein lebendiger Organismus, und das in jedem Bereich – auch im kognitiven.
Noch sind nicht alle Sportarten wissenschaftlich analysiert. Doch als besonders effektiv hat sich in Studien Ausdauertraining erwiesen. Ein Wort, bei dem notorische Sofasurfer zusammenzucken. Doch es geht nicht darum, einen Triathlon anzupeilen: Schon dreimal die Woche 30 bis 40 Minuten flottes Gehen, Radfahren oder Schwimmen können helfen, geistig auf Trab zu bleiben. Dies deckt sich zum Beispiel auch mit den Empfehlungen zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Und positive Ergebnisse sollten nicht lange auf sich warten lassen. Eine Studie der University of Miami besagt, dass sich messbare kognitive Verbesserungen nach etwa vier bis sechs Monaten zeigen. Man könnte also sagen, dass Sport Alterungsprozesse gewissermaßen rückgängig macht.
Doch nicht nur Ausdauersportarten wirken: Mit sogenannten Mobility-Übungen lässt sich das Gedächtnis im Hinblick auf Bewegungsabläufe optimieren. Die Übungen geben einen ordnungsgemäßen Ablauf von Gelenken, Muskeln und Sehnen vor, oft kombiniert mit visuellen Reizen, wodurch das Gehirn wieder lernt, das gesamte körperliche Potenzial auszuschöpfen. Was nach Reha klingt, nutzen selbst Spitzensportler:innen als Trainingseinheit, um ihren oft einseitigen Bewegungsabläufen etwas entgegenzusetzen.
Für Schreibtischathlet:innen bedeutet das: Der Körper ist perfekt im Sitzen, hat aber andere Bewegungen verlernt, weil durch die permanente einseitige Haltung dem Gehirn signalisiert wird, dass es nichts anderes veranlassen muss als zu sitzen. Das Ergebnis kennen die meisten: Steifheit, Überbelastung bis hin zu schmerzhaften Blockaden. Von Gleichgewicht, Koordination und Beweglichkeit keine Spur.
Wie schnell und gut das Prinzip Mobility wirken kann, zeigt folgendes kleines Übungsbeispiel: Position ist der aufrechte Stand. Zunächst stellt man den Ist-Zustand fest: Beide Arme zur Seite ausbreiten und den Oberkörper einmal so weit wie möglich nach links und dann nach rechts drehen – die Punkte bitte merken. Nun beide Arme nach vorne strecken, Blick nach vorne gerichtet und beide Hände öffnen und schließen. Dann nacheinander den linken Arm und den rechten Arm nach außen bewegen, bis sie aus dem Blickfeld verschwunden sind, anschließend beide Arme gleichzeitig. Je fünfmal.
Jetzt wird verglichen: Wie zu Anfang den Oberkörper langsam in beide Richtungen drehen. Und? Genau, es sollte merklich besser und weiter gehen, obwohl man eigentlich nur die Hände vor den Augen bewegt hat. Der Trick dabei ist: Das Gehirn erkennt über das visuelle System, wie weit man sich bewegen kann und wie viel Raum da ist. Durch diese Impulse wurden Kopf und Körper besser vernetzt und beide haben etwas gelernt. Mobility-Training wird in vielen Fitness-Studios angeboten und als Warm-up vor dem Sport oder zur Regeneration empfohlen. Doch auch hier zählt Ausdauer im Sinne von Regelmäßigkeit. Je häufiger man solche Übungen macht, umso besser lernt das Gehirn, Bewegungen mit weniger Aufwand zu steuern und sie effektiver zu machen. Und das hilft auch im Alter, indem es Feinmotorik, Stabilität, Gleichgewicht stärkt und die Verletzungswahrscheinlichkeit reduziert.
Doch auch jenseits von Sport kann einiges ganz nebenbei Bewegung in den Kopf bringen: Treppensteigen, Gartenarbeit, Hausputz, Tanzen. Und Sex: Forscher der Universitäten von Oxford und Coventry fanden heraus, dass sexuell aktive Menschen bei Tests der syntaktischen Fließfähigkeit – die Leichtigkeit, mit jemand komplexe Sätze mit sprachlich komplexen Strukturen konstruieren kann – und hinsichtlich der Fähigkeit, Objekte und die Räume zwischen ihnen visuell wahrzunehmen, besser abschneiden als sexuell enthaltsame Probanden. Jede körperliche Betätigung stellt also einen kognitiven Reiz dar. Je komplexer die Bewegungsabläufe jedoch sind, umso mehr Hirnareale werden involviert. Ziel sollte es allerdings immer sein, den Körper zu fordern, aber nicht zu überfordern – denn man tut den kleinen grauen Zellen nichts Gutes, wenn sie nicht mehr ausreichend mir Sauerstoff versorgt werden.
Es ist also ziemlich einfach, das Gedächtnis mit einem moderaten Bewegungsprogramm fit zu halten oder auch in einem überschaubaren Zeitraum wieder fitter zu machen. Allerdings nimmt der positive Effekt auch wieder ab, wenn man mit dem Sport aufhört. Dranbleiben lohnt sich also. Ideal wäre es auch, frühzeitig – also noch bevor der kognitive Verfall eintritt – damit zu beginnen. Möglicherweise lässt sich sogar der Verlauf von Alzheimer hinauszögern – denn selbst Eiweißablagerungen und der Schwund der Hippocampus-Region können durch Bewegung beeinflusst werden, wie einige Studien darlegen.
Bleibt noch die Frage, ob geistige Fitness auch klug macht? Nun ja, zumindest kann das Hirn mit maximaler Kapazität arbeiten. Ob man damit allein einen Nobelpreis bekommen kann? Eher unwahrscheinlich. Dass man mit mehr Bewegung jedoch kluge Entscheidungen trifft – das ist sicher.