28. November 2023

Margit Hiebl

Fitness-Apps: Optimierung durch Self-Tracking

Vertrauen ist gut – Kontrolle besser? Fitness-Tracker, Health-Apps und Wearables zur Befindlichkeitskontrolle boomen. Warum wir immer mehr auf Technik vertrauen, wenn es um die persönliche Gesundheitsdiagnose geht

@ Oleksandr P

Allein im vergangenen Jahr wurden in Deutschland mehr als 7,2 Millionen Wearables abgesetzt.

„Du kannst es noch schaffen“ signalisiert meine Smartwatch. Es ist später Nachmittag und ich habe meine Kreise noch nicht geschlossen. Für Nicht-Eingeweihte: der Trainingskreis, der Aktivitätskreis, Stehkreis. Also wie viel ich trainiert habe, mich bewegt habe, oder wie oft ich aufgestanden bin.

 

Warum ich das wissen will? Damit ich, wenn ich wieder viel am Schreibtisch sitze, mehr Bewegung in mein Leben bringe. Ich nutze diese Smartwatch nicht durchgehend, dazu liebe ich andere schöne Uhren viel zu sehr. Doch manchmal brauche ich eben diese Motivationshilfe. Und ich muss zugeben, dass mich der kleine, smarte Tyrann am Handgelenk schon bewegt.

 

Ich freue mich, wenn meine Kreise geschlossen sind und er mich lobt. Ich finde das kleine Seifenblasenfeuerwerk, das er nach 20 Sekunden Händewaschen digital abfeuert, amüsant. Selbstmonitoring stammt ursprünglich aus der klinischen Psychologie. Als eine Methode, um Patienten auf Verhaltensauffälligkeiten aufmerksam zu machen und eine Anpassung zu erreichen. Im Zeitalter des „Internet of Things“ gewinnt jedoch auch im alltäglichen Leben das Selfscanning mehr und mehr an Bedeutung.

 

2017 nutzten rund 9,7 Millionen Menschen in Deutschland Fitness-Apps, und laut Prognose könnte die Anzahl bis 2024 auf rund 18,3 Millionen ansteigen. Allein im vergangenen Jahr wurden in Deutschland mehr als 7,2 Millionen Wearables abgesetzt, auch hier werden enorme Wachstumsraten prognostiziert (Quelle: Statista).

 

Woher kommt diese Sucht nach Selbstbespiegelung? Ein Grund aus soziologischer Sicht ist, dass die Welt nicht mehr die Gleiche ist. Pandemie, Klima, Krieg sind die Themen im Außen – die wir aber nicht beeinflussen können. Da gibt einem Selbstmonitoring zumindest ein bisschen Sicherheit, die Dinge in der Hand zu haben. Zum anderen ist das Streben nach Optimierung in jedem Bereich stärker geworden.

Ganz nebenbei vermitteln die digitalen Helferlein auch Wissen.

Wir lassen Hightech immer näher an uns heran: buchstäblich ganz nah an oder in den den Körper und auch an unsere Gefühle

 

Die japanische Unternehmensphilosophie Kaizen, wonach kein Tag ohne eine Verbesserung im Unternehmen vergehen soll, hat auch unsere Managementetagen erreicht. Eine Idee, die viele in ihre Freizeit mitnehmen. Zudem sind die Berührungsängste gegenüber neuen Technologien geschwunden, die Akzeptanz gewachsen, und dies angesichts der demografischen Entwicklungen mehr und mehr auch in der Best-Ager-Generation.

 

Wir lassen Hightech immer näher an uns heran: buchstäblich ganz nah an oder in den den Körper und auch an unsere Gefühle. Was nicht zu unterschätzen ist: Selftracking macht Spaß. Der Ansporn, mehr Schritte als gestern zu machen, Erfolge zu teilen mit Freunden, verpackt in eine anschauliche und attraktive Optik, all das sind spielerische Anreize zur Verhaltensänderung, Gamification genannt.

 

Dahinter steckt ein simples Belohnungssystem: auf der einen Seite das Bedürfnis nach Anerkennung, auf der anderen das sofortige Feedback nach jedem Fortschritt, der das Unterbewusstsein anregt, weiterzumachen. Seifenblasenfeuerwerk, geschlossene Kreise, Flämmchen oder sonstige Auszeichnungen stärken das Selbstbewusstsein.

 

Beim Sharen erwirbt man sich zudem einen Status gegenüber seinen Mitstreitern. Auch gibt einem der Wettbewerb das Gefühl, Teil einer Community zu sein. Ganz nebenbei vermitteln die digitalen Helferlein auch Wissen.

Im Worst Case leidet das Selbstwertgefühl so stark, dass psychische Auswirkungen nicht ausbleiben.

Der smarte Gesundheitswächter gibt einem das Gefühl, alles in der Hand zu haben

 

So werden die Benutzer und Userinnen zu Health-ExpertInnen. Aber auch zu Manage-rInnen der eigenen Gesundheit, denn schließlich hat man Zugriff auf Informationen, die sonst nur in einem Labor oder in der Praxis verfügbar sind, vom Sauerstoffgehalt des Blutes, der Anzahl der Tiefschlafphasen bis hin zum EKG.

 

Der smarte Gesundheitswächter gibt einem das Gefühl, alles in der Hand zu haben – ein Eindruck, der nicht trügt: Gerade bei chronischen Erkrankungen werden Wearables und Apps zum hilfreichen Werkzeug zur Selbstüberwachung. Studien haben gezeigt, dass sich die Werte von Diabetikern gegenüber Vergleichsgruppen signifikant gebessert haben.

 

Ebenso bei PatientInnen, die an Bluthochdruck leiden. Dabei sind kleine Ungenauigkeiten nicht ausgeschlossen. So wurde etwa festgestellt, dass die Sensoren die Sauerstoffsättigung im Blut von Menschen mit dunklerer Haut nicht gut messen können. Im Zweifel sollte man ohnehin den oder die ExpertIn zurate ziehen.

 

Das „Quantified Self“ stärkt einerseits das Bewusstsein für Gesundheit und fördert die Eigenverantwortung, birgt aber auch jede Menge Stress, Frust und Belastung: dann nämlich, wenn es zur Obsession wird oder einem das Gespür für sich selbst verloren geht. Wenn ein nicht erwarteter Wert einen körperlich wie seelisch aus dem Gleichgewicht bringt.

 

Wenn man die Ziele nicht erreicht oder wenn man im Vergleich mit den anderen schlechter abschneidet lässt und das Selbstwertgefühl deshalb in den Keller rauscht. Fällt die Belohnung häufig niedriger aus als erwartet, kann sich auch der Anreiz abnutzen oder ganz wegfallen. Dann wird auch die angestrebte Verhaltensänderung weniger enthusiastisch betrieben: Das Gerät landet in der Schublade und der sportliche Ehrgeiz im Nirvana, so wie schon die unzähligen Fitnessstudio-Verträge oder Abnehmversuche zuvor.

 

Im Worst Case leidet das Selbstwertgefühl so stark, dass psychische Auswirkungen nicht ausbleiben – dann haben wir vor lauter Kontrolle die Kontrolle verloren.

Der Trend bei den Wearables mit Uhr geht hin zur Optik der mechanischen Zeitmesser mit zusätzlichem digitalen Display, wie etwa bei Fossil oder Citizen.

Selbstmonitoring hilft ohne Zweifel dabei, sportlich, gesund und leistungsfähig zu sein oder zu werden

 

Weil wir uns jedoch alle nach Belohnungen sehnen, muss irgendwann ein neues Spielzeug her. Kein Problem, der Markt versorgt uns laufend mit neuem Spielzeug: Wie zum Beispiel der intelligente Ring „Oura“, Liebling der Biohacker und smarte Alternative für Fans analoger Uhren. Er wird vorzugsweise am Zeigefinger getragen, weil hier das Pulssignal am stärksten ist und laut Hersteller eine genauere Messung verspricht.

 

Gekoppelt mit einer App auf dem Handy zeigt er auch an, ob es ein guter Tag für ein Workout ist oder man besser die Füße hochlegen sollte. Speziell auf die Gesundheit von Frauen abgestimmt, mit Perioden-, Ovulations- und Menstruationssymptom-Features ausgestattet, ist ein weiteres Schmuckstück der „Evie“-Ring. Angekündigt auf der diesjährigen Consumer Electronic Show in Las Vegas, soll er im September auf den Markt kommen.

 

Der Trend bei den Wearables mit Uhr geht hin zur Optik der mechanischen Zeitmesser mit zusätzlichem digitalen Display, wie etwa bei Fossil oder Citizen. Ebenfalls auf der CES 23 wurde „Oxa“, ein in einem Shirt oder BH getragener Sensor, vorgestellt. Atemüberwachung und Übungen in der App sollen helfen, die richtige Atemfrequenz zu finden und damit langfristig Resilienz, Schlaf und emotionales Gleichgewicht zu stärken.

 

Huawei hat eine Smartwatch angekündigt, die mittels Photosensor den Blutzuckerwert ermittelt. Last but not least kommen auch von Apple für alle Plattformen mit den Updates im Herbst neue Features. Im Fokus dabei: Mental Health und die Gesundheit der Augen.

 

Selbstmonitoring hilft ohne Zweifel dabei, sportlich, gesund und leistungsfähig zu sein oder zu werden. Nur sollte man dabei entspannt und selbstbestimmt bleiben und das Tracking nicht über den Maßen ernst, sondern als Referenz nehmen. Abweichungen von einer vermeintlichen Norm müssen kein Fehler sein.

 

Am Ende zählt doch, wie man sich fühlt. Nobody is perfect – auch das Vermessungstool nicht. Denn ich bekomme das Seifenblasenfeuerwerk auch aufs Display, wenn ich nicht die Hände wasche, sondern Schrauben drehe. Und kürzlich konstatierte es eine „zu laute Umgebung“. Nein, ich war nicht auf einem Rockkonzert, sondern Radfahren in stiller Natur. Es war nur der Fahrtwind an meinem Handgelenk.

 

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