10. Juni 2024

Dominik Pförringer

Wer heilt hat recht?!

Unser Kolumnist Dr. Dominik Pförringer über Wohl und
Wehe wundersamer Gesundungsprozesse und die Fragwürdigkeit so mancher digitaler Health-Versprechen

@ Karolina Grabowska

Es gibt sie, diese Aphorismen, die sich stetig halten, kaum hinterfragt werden und bei präziser Analyse oft erstaunlich wenig aussagen. „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“, „Der Zweck heiligt die Mittel“ oder eben „Wer heilt hat recht“ – nun a priori und prima vista mag das alles zutreffen und erst einmal nicht grob falsch sein.

 

Wie so oft, wird jedoch so sehr reduziert, dass die wesentlichen und damit die kritischen Aspekte und Momente unter den Tisch fallen. Mir als Schulmediziner ist es absolut recht, wenn jemand bei Migräne mit Globuli seinen Sieg feiert – solange er nicht denkt, eine Schenkelhalsfraktur ließe sich damit auch rapide und bei kleinem Aufwand ausbügeln oder aus dem massiv herzinsuffizienten Asthmatiker einen Olympioniken machen.

 

Erstaunlich, wie rasch so manches Video zur Selbstheilung verschwunden ist, nachdem es einer professionellen medizinischen Überprüfung unterzogen wurde

 

 

Es finden sich Allheilmittel, Wunderpulver und unzählige Empfehlungen für praktisch jegliches Gebrechen. Online-Plattformen haben den meist selbst ernannten Gurus und Alchemisten sowie jedem, der meint, die Weisheit der Heilkunst in besonders großem Maß gefunden zu haben, Tür und Tor geöffnet.

 

Erstaunlich, wie rasch so manches Video zur Selbstheilung verschwunden ist, nachdem es einer professionellen medizinischen Überprüfung unterzogen wurde. Ich vertrete keineswegs die Ansicht, dass immer nur ein Weg zum Ziel führt oder jegliche Innovation falsch ist.

 

Im Gegenteil. Interessant ist jeder neue Ansatz, doch ob er auch innovativ und vor allem zielführend im Interesse des Patienten ist, das gilt es zu hinterfragen. In einem zunehmend intransparenten Dschungel von Informationen, An-geboten und selbst ernannten Instituten nimmt die Aufgabe des medizinischen Mentors zu.

 

Wir sind zunehmend Bergführer auf schmalen Graten und damit bestens beschäftigt, unser eigenes Wissen laufend auf den neuesten Stand zu bringen. Aber wie ist das nun mit dem Heilen? In erster Linie gilt es, den Menschen zu sehen, ihm Gehör zu schenken und erkennen zu lernen, wo welches Beschwerdebild wirklich herkommt.

 

Ich vertrete keineswegs die Ansicht, dass immer nur ein Weg zum Ziel führt

 

Mit der Medizin ist das so eine Sache, und meistens ist es anders, als es aussieht. Denn das, was den Menschen peinigt, und das, was wirklich dahintersteckt, kann das Gleiche sein, kann aber auch deutlich divergieren. Da strahlt der berufliche Stress in den Rücken und die holprige Kommunikation mit den geliebten Schwiegereltern auf den Magen, die Sorgen um die gesamtpolitische Lage führt zu Schlafstörungen und das globale Wachstum der Inkompetenz zu Verdauungsproblemen.

 

Und nun soll die Schulmedizin all das heilen, und daran scheitert sie so manches mal. Dann kommen der Esoteriker, der Homöopath und der Wünschelrutengänger ins Spiel. Das ist mehr als nachvollziehbar, völlig logisch und oft auch noch begründet.

 

Wenn keiner zuhören will, und die zwischenmenschliche Kommunikation aus Smileys und Swipes, aus Posts und Likes besteht, dann braucht es endlich wieder jemanden, der zuhört. Im Gesundheitswesen wird exakt dieses Zuhören zu wenig beleuchtet. Der gerne und oft zitierte Kardiologe Professor Bernard Lown beschrieb bereits 2004 in seinem Buch „Die Verlorene Kunst des Heilens“ diese Relevanz des Zuhörens und der echten Kommunikation.

 

Im Gesundheitswesen wird exakt dieses Zuhören zu wenig beleuchtet

 

Ich spreche fortwährend und dabei fast immer positiv über die zunehmende Digitalisierung der Medizin. Dabei kommt es mir in allererster Linie darauf an, diese intelligent zu nutzen, um sich von Bildschirmen und Tastaturen zu befreien, um wieder Menschen mit Menschen zu verbinden.

 

Wir Ärzte müssen im Interesse der Patienten und zum Wohle der Medizin die Digitalisierung gestalten und uns nicht von ihr vor den Karren spannen lassen. Die Technologie hat die redundanten, die stupiden Aufgaben zu erfüllen, sich dem Nutzer zu versklaven statt umgekehrt. Viele Gesundheits-Apps sind schön designt, doch sinnvoll erscheint mir nur ein Teil davon und medizinisch relevant nur ein ganz kleiner Bruchteil.

 

Wir Ärzte müssen im Interesse der Patienten und zum Wohle der Medizin die Digitalisierung gestalten

 

Ob dem chronisch Kranken, dem Einsamen, dem Leidenden wirklich sein Screen und eine Anwendung darauf helfen können? Wenn sich immer mehr Paare in Restaurants schweigend auf ihre Handys starrend gegenübersitzen und Kinder, ausgestattet mit überdimensionierten Kopfhörern, von Tablets „erzogen“ werden, statt im Freien zu spielen oder kreativ zu sein, sehe ich durch die zunehmende Digitalisierung im Privatleben eine pathologische Situation, deren Folgen wir noch gar nicht wirklich abschätzen können.

 

Um das Heilen ging es, ja, das hat damit viel zu tun. Ich halte einen intakten und wohl gepflegten Freundeskreis für die natürliche Alternative zum Antibiotikum. Freunde, die klare Worte sprechen und auch aushalten, sind ein willkommenes Korrektiv, können ein Ventil sein und bilden die Leitplanke für Geist, manch-mal auch den Körper.

 

Ich halte einen intakten und wohl gepflegten Freundeskreis für die natürliche Alternative zum Antibiotikum

 

Früher war ein Mobiltelefon ein Luxus, heute ist es ein echtes Gespräch. Wie schön sind diese Minuten, irgendwo auf einem Berg, auf einer Hütte, wenn kein Empfang vorhanden ist, wenn die Menschen sich wieder mit den Menschen in der Ferne, nicht mit denen im Netz beschäftigen. Das per se ist heilsam.

 

Recht haben und Recht bekommen, sind zweierlei. Klar ist es für mich als Arzt, dass der das Recht zur Mitsprache hat, der dem Patienten guttut. Und zwar nicht nur kurzfristig, nicht einmalig, sondern a la longue. Logischerweise besteht die Kunst darin, dies frühzeitig zu erkennen, idealerweise im Vorfeld, wie bei einer Ehe, einer Vertragsunterzeichnung oder dem Start einer Schiffsreise.

 

Da spielen sie wieder mit hinein, die Intuition, das Bauchgefühl, die Erfahrung und der klare Menschenverstand. Dann wird daraus „Wer auf Dauer heilt, der behält recht“.

 

PD Dr. Dominik Pförringer ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in München und Gründer des Digital Health Summit, der alljährlich im November in München stattfindet.

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