31. Dezember 2024
Sharon Burbat
Einfach mal lockerzulassen ist gar nicht so leicht. Dabei ist es genau das, was bei Anspannung und Stress hilft
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Wenn wir unter Stress oder Zeitdruck stehen, spannen wir unwillkürlich die Muskeln an. Was daraus folgt: Verspannungen, die manchmal auch zu starken Schmerzen führen können. Solche Verspannungen zu erkennen, haben viele verlernt.
Manchmal merken wir erst am späten Abend, wenn die Anspannung abfällt, welche Auswirkungen der Stress für den Körper hatte. In diesen Momenten fühlt sich dann alles unfassbar schwer an – die Schultern, der Nacken, der Kopf.
Der amerikanische Arzt Edmund Jacobson fand heraus, dass es bei Stress oder Angst zu einer reflexhaften Anspannung der Muskulatur kommt (sympathische Reaktion des vegetativen Nervensystems) – andersherum aber auch gilt, dass das Lockern der Muskulatur zu einem Gefühl von Ruhe führt (parasympathische Reaktion des vegetativen Nervensystems).
Daraufhin entwickelte er in den 30ern die Progressive Muskelentspannung, auch Progressive Muskelrelaxation – oder kurz PMR – genannt. Progressiv deswegen, weil sie abschnittsweise verschiedene Muskelgruppen einbezieht (aus dem Englischen “progressive”). Heute hat sich die PMR zu einer weit verbreiteten Entspannungsmethode etabliert.
Durch intensive muskuläre Entspannung soll einer Stressreaktion entgegengewirkt werden. Ist der Körper entspannt, führt das zu einem entspannten Geist. Die Entspannung wird erreicht, indem nacheinander verschiedene Muskelgruppen angespannt und danach wieder locker gelassen werden.
Die PMR findet unter anderem Anwendung bei Angststörungen, Stress, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Bluthochdruck und Rückenschmerzen. Zudem kommt sie im Rahmen einer Verhaltenstherapie, in der Geburtsvorbereitung und Zahnmedizin zum Einsatz. Die Wirksamkeit des Verfahrens gilt als bewiesen.
In einer Metastudie Ende der 90er wurden mehrere Studien zur Progressiven Muskelentspannung ausgewertet. In 75 % von ihnen wurden deutliche Symptomverbesserungen, in 60 % Verbesserungen der allgemeinen Befindlichkeit festgestellt. Aufgrund der Wirksamkeit der Entspannung nach Jacobson und weil sie relativ leicht erlernbar ist, wird das Entspannungsverfahren als das geeigneteste für die klinische Praxis bezeichnet.
Bei folgenden Beschwerden und Erkrankungen sollte die PMR jedoch nicht angewendet werden:
Bei großer Angst vor Erkrankungen, einer Neigung zu Zwängen, bei Panikstörung und Problemen mit der Realtitätswahrnehmung sollte genau abgewogen werden, ob die Progressive Muskelentspannung die richtige Methode ist, da im Zusammenhang mit verstärkter Körperwahrnehmung Ängste auftreten können.
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Bei dieser Form der Entspannung ist man im Gegensatz zum autogenen Training aktiv. Der Ablauf der Progressiven Muskelentspannung ist aber simpel und richtet sich nach einer bestimmten Reihenfolge.
Bei der Muskelentspannung nach Jacobson geht es darum, den Körper ganz genau zu spüren und sich auf die jeweilige Muskelgruppe zu konzentrieren. Sie dann bewusst anzuspannen, die Spannung zu halten und der betroffenen Muskelgruppe die ganze Aufmerksamkeit zu schenken.
Beim Loslassen wird die Muskelspannung mit langsamen Bewegungen gelockert, beim Nachspüren bleibt die Aufmerksamkeit und Konzentration weiterhin bei der Muskelgruppe. Das Anspannen des Muskels macht ihn müde, was bedeutet, dass die Entspannung danach stärker ausfällt.
Der große Vorteil: Die Progressive Muskelentspannung ist nicht nur für den Moment wirksam und baut im Jetzt Stress ab, sie wirkt bei regelmäßiger Ausführung auch präventiv. Wer die Übungen über zwei bis drei Monate ausführt, wird merken, wie sich das Bewusstsein für den Körper verändert und im Alltag spüren, wann man seine Muskeln unnötig anspannt, um sie dann wieder gezielt locker lassen zu können. Fortgeschrittene der Entspannung nach Jacobson schaffen es, ihren ganzen Körper innerhalb von wenigen Minuten zu entspannen.
Zudem wirkt sich die Progressive Muskelentspannung beruhigend auf Herz und Kreislauf aus und der Blutdruck kann sinken. Sie sorgt für Ausgeglichenheit, Stresssituationen können leichter bewältigt werden. Selbst Schlafstörungen und chronische Schmerzen können nachlassen. Denn die Technik bringt das Zusammenspiel von Seele und Körper wunderbar in Einklang und beeinflusst die Psyche positiv mithilfe der Muskulatur des Körpers.