21. March 2023

Dominik Pförringer

Es lebe der Sport!?

Die Art und Weise, wie wir uns körperlich betätigen, treibt immer skurrilere Blüten. Höchste Zeit, das Gehirn wieder ein- und die Technik auszuschalten, findet unser Kolumnist

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„Wir leben in den Extremen und das ist alles andere als gesund“

Sport ist überall. Sport ist unausweichlich, ja, der Sport ist omnipräsent geworden. Und wie sind wir doch alle fit geworden! Doch sind wir das wirklich? Mein Eindruck als Orthopäde ist zumeist der eines deutlichen Missverhältnisses – einer ungesunden Entwicklung. Die Menschen sind die meiste Zeit des Tages fauler und träger denn je. Jedes Stockwerk wird mit dem Lift erklommen, jede Autoheckklappe wird mit dem gegen einen meist saftigen Aufpreis dazubestellten Elektromotor geschlossen, die geringsten Strecken werden mit dem E-Bike oder E-Scooter bewältigt. Aber dann: Für die statistisch erhobenen durchschnittlich drei Stunden sportliche Betätigung in der Woche versucht der deutsche Durchschnittsmensch alle Rekorde zu brechen. Vermeintlichen Vorbildern folgend und nacheifernd – gerne von Social Media, wo die Superbody-Selbstoptimierung zur neuen Religion erhoben wird.

 

Dümmer kann man nicht trainieren, ungünstiger kann man seinen Körper nicht belasten. Es geht um die Balance, die durchschnittliche Belastung, das, was man tagtäglich tut und sich und seinem Körper laufend antut, was man sich Gutes tut. Die modernen Großstädter suchen die Höchstleistung und lieben ihre technischen Spielzeuge, ihre Wearables, ihre Apps und Fitnesstracker – was dabei auf der Strecke bleibt ist der Verstand. Gesundheit und Fitness sind eine einfache Rechnung, die leicht zu verstehen ist. Man nimmt Kalorien – also Treibstoff – zu sich. Diesen Treibstoff verbrennt man durch Muskelkraft. Viel Bewegung bedeutet viel verbrannter Treibstoff, wenig Bewegung ist wenig Verbrauch.

 

Doch für all das gibt es eine nun eine App, ein Gadget, ein Device. Das Hirn ist deaktiviert, die Industrie sammelt Daten. Kein halbwegs gesunder Mensch braucht für die Alltagswege ein elektrisches Fahrrad oder muss sich die kleinste Kleinigkeit liefern lassen. Denn das ist alles eine Frage der Motivation und der Einstellung. Wir leben in den Extremen und das ist alles andere als gesund. Das Gros der Menschen ist in der Lage, seine Alltagsstrecken zu Fuß zu bewältigen, seine Einkäufe gemütlich selbst nach Hause zu transportieren.

 

Doch wer sich in einer Großstadt umschaut, sieht die Süchtigen: süchtig nach „Smart“-Phone, süchtig nach „Spa“, süchtig nach „Bio“ oder „Öko“. Der Großteil weiß kaum, was das bedeutet, laboriert dafür aber umso nachhaltiger an zahlreichen „Unverträglichkeiten“, die es zu großen Teilen medizinisch betrachtet gar nicht gibt und die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren. Spätestens die vergangenen zwei Jahre haben uns gezeigt, wie gefährlich Halbwissen oder Unwissen in medizinischen Belangen sind.

 

 

Es ist höchste Zeit zum Umdenken

 

Bewegung ist Leben, und das im Alltag und im Tagesgeschäft. Hören wir auf, Dinge online zu bestellen, treten wir mit den Menschen in unserer Umgebung in laufende Interaktion und kaufen wir lokal ein. All das hilft uns, Bewegung in den Alltag zu bringen, klar zu denken und uns von den Leiden der Großstädter zu befreien oder gar a priori davon verschont zu bleiben. Ein intelligenter Mann hat mal Folgendes formuliert: „Prävention ist die einfachste Medizin.“ Es geht nicht um Nachsorge oder Versorgung, nein, vielem kann man sehr simpel vorbeugen, indem man sich im Alltag schlau und besonnen verhält. Fünf Minuten vor dem Infarkt ist deutlich besser als fünf Minuten nach dem Infarkt. Dafür braucht der aufgeweckte Mensch keine App, kein Wearable und ganz sicher kein Smartphone.

 

Mein persönlicher medizinischer Ratschlag ist es, sich im Privatleben möglichst von allen technischen Themen und Zugriffen fernzuhalten. Wie schön ist es, mal keinen WLAN-Empfang zu haben! Ja, das geht. Das Ziel ist es privat nicht wenig, nein gar keine Zeit online zu verbringen, ein gutes Buch, ein intelligentes Magazin macht mehr Freude und bereitet deutlich mehr Kurzweil als all die online gelieferten Themen. Also keine sinnlosen, hirnfreien Serien streamen, sondern lieber auf Papier lesen, den Nachbarn zum Abendessen einladen und vor die Tür in eine Bar statt virtuell auf Tinder gehen. Das schützt vor Enttäuschungen und Zeitverschwendung.

Dr. Dominik Pförringer

PD Dr. Dominik Pförringer ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in München und Gründer des Digital Health Summit, der alljährlich im November in München stattfindet. Seit Jahren setzt er sich für Innovation durch Digitalisierung im Gesundheitswesen ein

Prävention ist die einfachste Medizin“

Lasst uns den Sport des Alltags nutzen, den Spaß daran, sein Leben unabhängig zu bestreiten. Man kann und sollte die Kiste Wein – natürlich primär den Roten, für die Herzkranzgefäße – nach Hause tragen. Es macht Freude, wenn nicht eine Suchmaschine das Leben bereichert, sondern das Finden im Alltag eine Bereicherung darstellt. Jede Minute, die wir nicht online sind, schenkt uns wieder mehr wahres Leben und mehr echte Freude. Mehr Kondition außerdem.
Was das Pensum und die Dosis angeht: so weit wir können, so lange es Spaß macht und so viel unser Körper sich nehmen möchte. So ist es mit den meisten Alltagsfreuden und -leiden, man kann auch alles übertreiben.

 

Bei mir hier in Bayern geht es oft um die Mass – im Sport um das Maß, also den maßvollen Genuss, am Glas wie beim Radfahren an der frischen Luft – nicht beim Spinning im Fitnessstudio. Man muss keine Weltrekorde aufstellen, keine Kalorien zählen oder messen, sondern sollte einfach in Bewegung bleiben. Es braucht keinen Elektromotor, um eine Heckklappe zu schließen und keinen Lieferdienst für den Alltag. Was es braucht, ist das Gespräch zwischen den Menschen.

 

In Sachen Sport und Sportlichkeit verhält es sich ebenso: Kein Hometrainer, kein Studio, nein, der Alltag ist unser bester Trainingspartner. Der Tag macht Freude, wenn er mit Bewegung beginnt. Besser als mit einem Hund kann man nicht starten, und dieser zeigt uns, wie es sein sollte: immer wieder, in kleinen Dosen, ohne Zwang, mit Freude am Spazieren- gehen, für den Spaß an der Bewegung im Grünen.

 

Mir leuchtete es noch nie ein, wieso man auf einem Laufband in einem Studio besser als in der Natur seinem Bewegungs- drang nachgehen sollte. Ein Fitnessstudio mag auf einem Flugzeugträger oder in einer Raumstation sinnvoll sein, im regulären Alltag ist es meist nur eine Ausrede, eine Flucht, ein Sich-selbst-Belügen. Bewegen wir uns im Alltag, nicht im Studio. Das macht das Leben so viel schöner und abwechslungsreicher. Beruflich kann uns die fortschreitende Digitalisierung enorm helfen, privat sollten wir uns gegenseitig helfen, sie so weit wie möglich aus unserem Leben rauszuhalten. Damit die Menschen mehr mit den Menschen sprechen – ohne Technik.

Dominik Pförringer

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