16. März 2023

Nike Emich

Für Lang Lang ist „Brahms die beste Medizin”

Der Ausnahmepianist über die heilenden Kräfte der Musik, virtuose Hochleistungsansprüche und die Kunst, auch mal Ruhe zu geben

© OLAF HEINE / Deutsche Grammophon

© Olaf Heine/Deutsche Grammophon

Die längste Zeit führte er ein Leben wie ein Hochleistungssportler, der von einem Wettkampf zum nächsten um die Welt reist: bis zu 170 Konzerte im Jahr rund um den Globus spielte Lang Lang noch bis vor Kurzem. Heute Paris, morgen Tokio, übermorgen ein Auftritt bei der Met Gala in New York. Die Zeit dazwischen verbrachte der beste Pianist der Welt mit üben, üben und nochmals üben. Zur Abwechslung oder zum Drüberstreuen ein Auftritt mit Metallica bei der Grammy-Verleihung oder schnell mal ein Piano-Duett mit Billy Joel. Nicht nur deshalb gilt Lang Lang als wahrer Popstar der Klassik. Gefühlt schon immer da, in seinem Metier unerreicht und gleichzeitig so nahbar und charmant wie kaum ein anderer Superstar.

 

Wer das Glück hat, ihn besser kennenzulernen, führt keine Interviews mehr, sondern spannende Gespräche wie mit einem Freund. Natürlich über jede Art von Musik oder die unfassbare Karriere seiner deutsch-koreanischen Frau Gina, die ebenfalls Pianistin ist, in seiner Heimat China. Aber auch über Social-Media-Kanäle wie Tik Tok oder Instagram, auf denen der Virtuose aktiv ist und in ständigem Austausch mit seinen Fans. Gerne berichtet der junge Vater auch stolz von den neuesten Fähigkeiten seines kleinen Sohnes Winston, dessen erstes deutsches Wort „Tür“ war. Lang Lang muss laut lachen, als er das erzählt.

 

Winston ist sein Meisterwerk. „Es ist das schönste Gefühl der Welt, ihn einfach nur anzuschauen“, schwärmt Lang Lang. Manchmal kann der heute 40-Jährige es selbst nicht glauben, wie sehr sich sein Leben in den vergangenen Jahren verändert hat. Natürlich mit seiner Traumhochzeit 2019 in Schloss Versailles und der Geburt seines ersten Kindes Ende Januar 2021.

 

Eigentlich fing es aber schon viel früher an. 2017, um genau zu sein. Damals hatte er sich beim Üben eines Stückes von Maurice Ravel eine Sehnenscheidenentzündung an der linken Hand zugezogen und war für beinahe ein Jahr komplett ausgeschaltet. „Ich habe nicht aufgepasst, ich wurde schon müde und habe mich gezwungen weiter zu üben“, erzählt er. Heute würde ihm das nicht mehr passieren.

Wie viele Konzerte spielen Sie heute im Jahr?

Maximal 70 oder 80. Ich musste damals ein Jahr pausieren, sämtliche Konzerte absagen. Das war mir eine Lehre. Denn als Musiker willst du nicht aufhören zu spielen, du willst auf die Bühne. Aber das hätte die Probleme nur weiter verschärft.

 

Wie sind Sie mit der Situation umgegangen?

Ich habe das Einzige gemacht, was in der Situation möglich und absolut ratsam ist: runterkommen, ausruhen, relaxen. Denn so eine Sehnenscheidenentzündung zeigt dir, dass du überarbeitet bist. Und natürlich habe ich trainiert. Nicht die Hand, aber den Rest meines Körpers. Ich habe angefangen, Situps zu machen und zu joggen, und ganz neue Körperteile an mir entdeckt.

 

Welche zum Beispiel?

Meine Beine! Ich bin wirklich viel gelaufen, habe sogar ein paar Kilo abgenommen. Leider habe ich damit längst wieder aufgehört. Ich ärgere mich über mich selbst. Ich bin so faul! Sobald ich wieder ans Piano durfte, bin ich nie wieder gejoggt.

 

Hatten Sie eigentlich Angst, nicht mehr so virtuos Klavier spielen zu können wie zuvor?

Nein, ich bin zu hundert Prozent wiederhergestellt. Und ich hatte auch keine große Angst, weil ich wusste, dass das nur eine Episode ist. Zum Glück war es kein Nervenleiden oder kein Bruch. Ich wusste, dass dieses Krankheitsbild sechs bis zwölf Monate braucht, und musste mir einfach die Ruhe gönnen. Das ist keine Frage mentaler Stärke oder Akzeptanz. Es gibt nur diese eine Lösung: Denk nicht darüber nach! Don’t rush! Ruh dich aus!

© Olaf Heine/Deutsche Grammophon

Haben Sie denn auch mal bei Dr. Google Hilfe gesucht?

Auf keinen Fall! Krankheiten im Internet recherchieren macht einen nur verrückt. Ich habe mich auch nicht mit anderen verglichen. Jeder Fall ist einzigartig. Stattdessen habe ich den besten Arzt konsultiert und ausführlich mit ihm gesprochen. Mehr Informationen brauchte ich nicht.

 

Sie waren damals auch länger am Starnberger See?

Ja, für einen Monat. Ich habe die Zeit genutzt, um viel in der Natur zu sein, neue Wege zu gehen und wundervolle Orte wie den Starnberger See bei München kennenzulernen. Außerdem sind Gina und ich uns in der Zeit sehr nahe gekommen. Wir haben uns dort ein Boot gemietet, sind zusammen gewandert und hatten jede Menge Spaß. Damals habe ich mich in die Berge verliebt und in den Wald. Es gibt übrigens nichts Heilsameres als ein Date. Später waren wir dann auch in Hessen bei ihren Eltern zu Hause. Und ich habe viele Symphonien gehört, vor allem neue Stücke, die ich in den nächsten Jahren lernen wollte. Es war sehr erholsam.

Lang Lang

Selfie mit Problemzone. Eine Sehnenscheidenentzündung in der linken Hand setzte Lang Lang 2017 monatelang außer Gefecht

Pianist Lang Lang

© Olaf Heine/Deutsche Grammophon

Musik kann uns seelisch und körperlich heilen”

Ist damals auch die Idee zu Ihrem aktuellen Album „The Disney Book“ gewachsen?

Wir haben das Album tatsächlich schon vor vier Jahren geplant. Es musste ja alles neu für Piano und Instrumental arrangiert werden. Es sollte nicht wie Backgroundmusik klingen, sondern virtuos wie große Klassik von Liszt oder Chopin. Das meiste kannte ich vorher auch schon. Ich bin ja mit Disney aufgewachsen. Auch im chinesischen Fernsehen liefen Micky und Donald jeden Sonntag. Später kamen Schneewittchen und Aladin dazu und viel später auch König der Löwen. Die größte Überraschung war allerdings Mary Poppins. Die kannte ich vorher nicht. Als ich diesen Song zum ersten Mal hörte, dachte ich: „Was für eine wunderschöne, geniale Melodie!“

 

Ganz aufhören konnten Sie aber doch nicht, stimmt’s?

Sie meinen das einhändige Konzert in der Carnegie Hall?

 

Sie sind damals mit Ihrem 14-jährigen Klavierschüler Maxim Lando aufgetreten, der die linke Hand übernommen hat.

Ja genau! Ich war so gelangweilt, dass ich zumindest mit der rechten Hand spielen wollte, wenn schon nicht mit beiden. Und es war großartig, dass ich diese ungewöhnliche Chance bekommen habe. Gleichzeitig war es total verrückt. So etwas macht man nur einmal im Leben.

 

Kann Musik heilen?

Absolut! Musik kann uns seelisch und körperlich heilen. Nach einem emotionalen Breakdown lässt Musik dich besser fühlen. Ich habe sogar mal jemanden in einem Rollstuhl gesehen, der nach einem aufwühlenden Pianokonzert aufgestanden ist. Nur für ein paar Sekunden. Aber diese mächtige Energie ist auf ihn übergesprungen. Das habe ich tatsächlich mit meinen eigenen Augen gesehen.

Lang Lang - The Disney Book

Hörtipp: Auf seinem neuesten Album „The Disney Book“ (Deutsche Grammo- phon) interpretiert Lang Lang Disney- Klassiker

„Bach nimmt deine Seele mit in sein eigenes magisches Universum“

Welche Musik hören Sie, wenn es Ihnen nicht gut geht?

Für mich sind die Symphonien von Brahms die beste Medizin, wenn ich mal down bin. Sie haben so viele emotionale Schichten und ihre Vehemenz bringt mich auch wieder hoch. Am liebsten höre ich Brahms’ 1. oder 2. Klavierkonzert. Vor allem das Cello im zweiten Konzert, adagio … – es kann dein Herz nicht trösten, aber es hilft deinen Emotionen. Es schenkt dir den Atem, die innere Energie. In schwierigen Zeiten braucht man etwas, das einen wachrüttelt und wieder ins Spiel wirft. Da reicht keine Background-Musik. Ja, Brahms ist da der Beste.

 

Und wenn es nur noch ein einziges Musikstück auf der Welt gäbe, das Sie spielen dürften. Welches wäre das?

Natürlich die Goldberg-Variationen von Bach. Es muss Bach sein! Er ist der König der Könige. Bach nimmt deine Seele mit in sein eigenes magisches Universum.

Das Interview führte
Nike Emich

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