12. Juni 2024

Nike Emich

Dr. Dilek Gürsoy: Herzenswünsche

Medizinpionierin Dr. Dilek Gürsoy über heilende Handgriffe, künstliche Herzen, gläserne Decken – und eine ganz persönliche Klinik

@ Peter Rigaud/laif

Sie war 20212 die erste Frau in Europa, die ein menschliches Herz durch ein totales Kunstherz ersetzte. Und spätestens seit Dr. Dilek Gürsoy 2019 als „Medizinerin des Jahres“ ausgezeichnet wurde, ist sie auch die mit Abstand bekannteste deutsche Herzchirurgin.

 

Ihren ungewöhnlichen Lebenslauf vom Gastarbeiterkind an die Spitze dieser Königsdisziplin hat Gürsoy bereits in ihrem Buch „Ich stehe hier, weil ich gut bin“ erzählt. Jetzt will sie als erste Frau eine Privatklinik eröffnen. Und wie so oft bei Pionieren – noch dazu Pionierinnen in Männerdomänen – gibt es nicht nur gläserne Decken zu durchstoßen, sondern gerade bei der Finanzierung eines solchen Vorhabens jede Menge Vorurteile zu beseitigen.

 

„Wenn ich etwas aus den vielen Gesprächen mit den Banken in den letzten Monaten gelernt habe, dann, dass ich es allein mache oder gar nicht. Ich möchte keinen Investor mit im Boot haben, der sich am Ende in die medizinische Ausrichtung einmischt.“

 

Wie weit sind die Vorbereitungen für Ihre Klinik denn schon gediehen?

Ich habe bereits die passende Immobilie in Mönchengladbach gefunden. Das Unternehmen habe ich Anfang des Jahres gegründet. Finanziert werden soll das Ganze vor allem mit Crowdfunding. Ich bin parallel auch noch im Gespräch mit einigen Kreditinstituten.

 

Aber diese Gespräche sind nach wie vor zäh. Viele können sich eine Frau als Unternehmerin einer Privatklinik gar nicht vorstellen. Kein Wunder, bisher gibt es ja auch keine. Andere fürchten, dass ich eine One-Woman-Show plane, obwohl ich schon jetzt ein tolles Team von Spezialisten um mich versammelt habe. Es ist mühsam.

 

Vielleicht treten Sie einfach zu selbstbewusst auf? Ihre Biografie heißt immerhin: „Ich stehe hier, weil ich gut bin“. Macht das den Männern Angst?

Ich habe bei den typischen Machtspielchen noch nie mitgemacht. Weder am OP-Tisch, wo es um die Poleposition neben dem Professor geht, noch bei der weiblichen Variante, der freiwilligen Selbstausbeutung. Es ist doch ein Fakt, dass Frauen die besseren Operateure sind – schon weil sie ihre Grenzen kennen.

 

Und zum Glück gibt es an den Universitätskliniken mittlerweile auch mehr Chefärztinnen im chirurgischen Bereich. Aber alle 78 Kliniken in Deutschland werden vornehmlich von Männern geleitet. Wobei es mir gar nicht darum geht, einen bestimmten Titel zu tragen oder überall die Erste zu sein. Das brauche ich nicht für mein Ego.

 

Es ist doch ein Fakt, dass Frauen die besseren Operateure sind – schon weil sie ihre Grenzen kennen

 

Ich möchte aber als Frau diese Möglichkeit haben, und vor allem möchte ich den Patienten und Porträt Patientinnen helfen, bestmöglich operiert zu werden und die dafür nötigen Entscheidungen selbst treffen zu dürfen. Denn ich liebe meinen Job und habe viele innovative Ideen.

 

Wie viele Herzen haben Sie schon implantiert?

Da muss man unterscheiden zwischen menschlichen Herzen und totalen Kunstherzen. Das sind zwei getrennte Klinikgebiete. Ich bin vor allem im Kunstherzbereich zu Hause. Totale Kunstherzen habe ich human bestimmt schon dreißig implantiert.

 

Das hört sich wenig an, ist aber wahnsinnig viel. Bei den Linksherz-Unterstützungssystemen, bei denen das eigentliche Herz im Körper bleibt und eine Pumpe in die linke oder rechte Herzkammer eingefügt wird, komme ich auf über hundert, wenn man die Tierversuche dazuzählt.

 

In der Forschung setzt man aktuell vor allem auf mutierte Schweineherzen, weil es nach wie vor zu wenig Organspenden gibt. Was halten Sie davon?

Ganz neu ist das nicht. Es gab auch schon Experimente mit Pavianherzen. Für mich ist jede Art der Forschung, die sich mit Alternativen für Organspenden befasst, wichtig und richtig.

 

Allerdings finde ich, dass die Kunstherzforschung viel weiter ist – und noch weiter wäre –, wenn man das Geld zur Verfügung hätte, was man be-rechtigterweise auch in die Xenotransplantation steckt. Im Bereich der Kunstherzforschung sind wir nun mal viel weiter und könnten mithilfe von KI in absehbarer Zeit große Fortschritte machen. Aber dafür fließt derzeit leider kein Geld – besonders in Deutschland.

 

Liegt das vielleicht auch daran, dass sich die meisten Menschen keine laut pumpende, schwere Maschine anstelle ihres Herzens wünschen? Irgendwie ist das Herz doch heilig …

Das ist immer eine Frage der Perspektive. Wenn ich todkrank bin und keine Hoffnung auf ein Spenderherz besteht, sind die meisten Menschen sehr froh über eine solche Alternative. Und sei es nur zur Überbrückung bis zur eigentlichen Transplantation.

 

Für mich ist jede Art der Forschung, die sich mit Alternativen für Organspenden befasst, wichtig und richtig

 

Da spielt erst mal keine Rolle, dass der Antrieb einige Kilos wiegt und die Kabel außerhalb des Brustkorbs enden. Aber genau daran müsste man wissenschaftlich weiterarbeiten, um diese Maschine kleiner und leiser sowie möglichst voll implantierbar zu machen. Fakt ist aber, dass im Augenblick nur zwei totale Kunstherzsysteme auf der Welt zugelassen sind.

 

Das amerikanische und französische Modell. Eine Zeit lang gab es gar keine Alternative zum menschlichen Herz, nur das genannte Unterstützungssystem der Amerikaner. Es ist ein Drama. Deswegen forsche ich in einem Team auch parallel im Ausland an Schafen, um ein neues totales Kunstherz zu entwicklen. Ich glaube fest daran, dass das die Menschheit weiterbringt.

Warum ausgerechnet Schafe?

Im Ausland gibt es eine besonders große Rasse, die ideale Voraussetzungen mitbringt. Allerdings verlangen die Investoren, dass das Schaf nach der Implantation noch neunzig Tage mit dem Kunstherz weiterlebt. Das schaffen wir noch nicht, vor allem weil die Tiere einen anderen Stoffwechsel haben und die Narkose nicht hoch dosiert vertragen.

 

Sie müssen schon eine halbe Stunde nach der Operation aufgeweckt werden und laufen quasi frisch operiert herum, inklusive Außenpumpe. Das ist alles schwer zu kontrollieren. Ein Mensch schläft erst einmal 24 bis 48 Stunden durch und erholt sich ein paar Tage nach einem so schweren Eingriff. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es funktioniert, wenn wir die nötigen finanziellen Mittel dazu haben.

 

Was würde in Ihrer Klinik denn anders laufen als in den großen Häusern?

Zum einen würden meine Patientinnen und Patienten alles aus einer Hand bekommen – beinahe familiär. Bei uns kümmert sich ein eingespieltes Spezialistenteam von der OP-Schwester bis zur Narkoseärztin, vom Assistenzarzt bis zur Reinigungskraft und vom Vorgespräch bis zur Nachsorge um die Betroffenen. Wir würden von der Prävention bis zur operativen Versorgung alles in einem Haus anbieten.

 

Vor allem aber betreue ich meine Patienten von jeher rund um die Uhr selbst

 

Es soll nicht aufgeteilt sein in Hoheitswissen, Hierarchien und stets nur zum Teil übernommene Verantwortung. Das schadet nämlich der Qualität und der Heilung. Vor allem aber betreue ich meine Patienten von jeher rund um die Uhr selbst.

 

Ich bin keine Chirurgin, die nur operiert und nach Hause geht, sondern bleibe an der Bettkante sitzen, beobachte selbst die Schläuche, rede mit den Angehörigen. Ich glaube, mein Erfolgsgeheimnis ist, dass ich die Menschen ins Leben zurückbegleite.

 

Ist Empathie Ihre größte Heilkraft?

Empathie und die Begeisterung, mit der ich mich um meine Patienten kümmere. Vielleicht klingt es wie ein Klischee, aber ich versuche die Herzen der Menschen wirklich zu berühren. Das merke ich in persönlichen Gesprächen mit Patienten, die gerade einen Herzinfarkt hinter sich haben, die verunsichert sind, die vielleicht weinen.

 

Denen tut diese Nähe, die ich aufbauen kann, gut und sie schenkt ihnen neuen Mut. Es gibt viele gute Operateure, aber am Ende des Tages kommt es darauf an, den Betroffenen die Angst zu nehmen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Im Gegenzug haben sich meine Patienten aber auch immer schon um mich gekümmert, mich weiterempfohlen und gefördert. Am Ende stehe ich heute auch ihretwegen da, wo ich bin.

 

Welche Rolle spielt Ihre Herkunft?

Meine Mutter war und ist bis heute meine größte Unterstützerin. Meine türkische Familie hat immer an mich geglaubt. Ich bin ein Arbeiterkind – meine Mutter hat am Fließband gearbeitet, im Schichtdienst. Und doch habe ich von ihr den Ehrgeiz und die Dankbarkeit erlernt, selbst etwas schaffen zu dürfen und das auch zu wollen.

 

Deswegen kennen Sie wahrscheinlich
auch keine Standesdünkel?

Gerade hier, wo es um Leben und Tod geht, zählt nur der Mensch. Ich behandle den Gastarbeiter mit dem- selben Respekt wie den Vorstandsvorsitzenden. Wobei mir durchaus bewusst ist, dass ich gerade in einer Privatklinik auch darauf angewiesen bin, dass einige Patienten schon aufgrund ihrer Versicherung mehr zahlen als andere.

 

Werden Sie denn sofort auch komplette Kunstherzen in Ihrem Haus operieren?

Nein, am Anfang bieten wir die üblichen kardiologischen Untersuchungen, konventionellen Herzoperationen und Ähnliches an. Doch die Kunstherzforschung wird großen Raum in unserem Marketing einnehmen, und ich habe jetzt schon Kooperationen für die Zukunft geplant.

 

Vor allem wollen wir in jedem Bereich State of the Art sein. Ich setze voll auf künstliche Intelligenz, wenn es um Bürokratie und zeitgemäße Behandlungsmethoden geht. Von der digitalen Patientenakte bis zu Touchscreens in jedem Zimmer. Auch für die Patienten selbst, damit sie sich ein Bild von der Behandlung oder von Befunden machen können.

 

Ich möchte die Menschen auf allen Plattformen und über Social Media informieren

 

Ich rede mit vielen kleinen Start-ups im Health-Bereich, um sie gegebenenfalls zu integrieren. Und Angst vor Instagram habe ich auch nicht. Ich möchte diese Verkrustung der Herzchirurgie auflösen und die Menschen auf allen Plattformen und über Social Media informieren.

 

Meine Mitarbeiter dürfen nicht nur posten, sie sollen es sogar ausdrücklich. Natürlich in einem engen ethischen Rahmen. Das gehört zur modernen Aufklärung. Und nur so können mehr Menschen davon überzeugt werden, ihre Organe zu spenden.

Mehr zum Thema