Herr Raue, ist Sterneküche gesund?
Grundsätzlich ja. Allein schon deswegen, weil sie die besten Zutaten benutzt. Es gab natürlich mal Verirrungen wie die Molekularküche, wo man mit enorm viel Pülverchen gearbeitet hat, die aus der industriellen Lebensmittelherstellung stammen, um Flüssigkeiten anzudicken oder Verbindungen von Lebensmitteln und Zutaten herzustellen, die sonst nicht zu verbinden wären. Aber grundsätzlich ist die Sterneküche gesund, sogar sehr gesund.
Was ist gesundes Essen?
Da gibt es ganz bestimmt unterschiedlichste Definitionen. Zu Beginn meiner Karriere Mitte der Neunzigerjahre bedeutete gesund für mich, die besten Zutaten aus den natürlichsten Quellen zu verwenden. Wir sprechen heute von biologisch angebauten Salaten und Gemüse, Fisch, der eine geringe Schadstoffbelastung hat. Das war damals noch nicht normal. Da gab es beispielsweise noch Schwertfisch zu kaufen, der extrem hoch belastet war.
2007 gab es bei mir einen Break, nachdem ich die Jahre zuvor häufig in Singapur und Hongkong war und die Traditionelle Chinesische Medizin kennengelernt hatte. Und die Art, so zu kochen, dass alles, was du auf den Teller legst und dem Gast gibst, ihm Energie und Kraft spendet und Sinn macht. Das hat mich dazu gebracht, komplett auf jegliche Form von Milchprodukten zu verzichten und nur noch laktose- und glutenfrei zu kochen, weißen Zucker aus der Küche rauszuschmeißen und neben Kartoffeln auch auf sämtliche Sättigungsbeilagen zu verzichten. Sogar auf das Brot zum Essen, was in Deutschland immer ein ganz großes Thema war.
Meine Grundidee war, dass du im Endeffekt nur noch eine Kombination aus Gemüse, Obst, Kräutern und einem Protein isst, oder auch ganz ohne Protein. Sechs oder acht Gänge sind dann viel leichter und viel bekömmlicher als sonst. Das halte ich immer noch für den wesentlichen Schritt, mit dem ich erfolgreich geworden bin. Die Gäste können bei uns die Aromen von Süße, Säure, Schärfe erleben, ohne dass ihnen ein Kartoffelpüree oder Pasta diese Aromen wegnimmt. Nach so einem Abend- oder Mittagessen fühlt man sich energetisiert und braucht nicht noch zwei Kurze zur Verdauung.
Kommen die Leute zu Ihnen ins Restaurant, um gesund zu essen oder eher um ein exotisches Geschmackserlebnis zu haben?
Das Ernährungsbewusstsein ist in den letzten Jahren bei der jungen Generation viel wichtiger geworden. Wir haben das Glück, dass das Stammrestaurant in die Worlds Best 50 und die Chefstable-Serie von Netflix aufgenommen wurde, das sind beides wichtige Kanäle für ernährungsbewusste Menschen zwischen 20 und 45 Jahren, die bei uns prozentual viel stärker vertreten sind als ältere Gäste. Die Jungen sind auch diejenigen, die uns schon 1997 dazu gebracht haben, vom Vegetarischen auf Veganes umzuschwenken, weil das einfach eine Ernährungsform ist, die für diese Generation elementar ist.
Es hieß lange, die mediterrane Küche sei die gesündeste. Sind bestimmte Küchenrichtungen wirklich gesünder als andere?
Definitiv. Jeder, der mal eine Zeit lang an einem anderen Ort verbringen kann und sich dementsprechend anders ernährt, wird das sehr schnell feststellen. Wer heute gekochtes Gemüse isst und morgen einen Hamburger, kann direkt zusehen, wie die Blutwerte umschlagen. Man kann von einem Tag auf den anderen dafür sorgen, dass die Ernährung besser wird. Ich mache jeden August drei, vier Wochen Urlaub auf Sizilien und ernähre mich dort so gut wie ausschließlich von Fisch, hellem Fleisch, Gemüse, Olivenöl und Salat, und den Unterschied merke ich sofort: Ich bin viel vitaler, fühle mich viel leichter.