19. März 2023

Robert Emich

Sportverletzungen – bloß ein bisschen kicken

Eine kleine Unachtsamkeit, ein wenig Selbstüberschätzung, ein unglücklicher Schritt. Die meisten Sportverletzungen wären vermeidbar, gäbe es nicht die menschliche Unvernunft. Ein Gespräch über Runners-Knee, Tennisellenbogen & Co

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Es gibt wohl kaum eine Sportverletzung, die Prof. Dr. Andreas Imhoff als ärztlicher Direktor der Abteilung Sportorthopädie am Klinikum Rechts der Isar in München nicht schon gesehen hätte. Fotos und eingerahmte Trikots mit Danksagungen berühmter Athlet:innen schmücken den Flur zu seinem Büro. Doch nicht nur Schweinsteiger, Klose, Boateng & Co wurden und werden hier erfolgreich behandelt.

 

Ob Schulter oder Sprunggelenk, Knie, Ellenbogen oder Hüfte, auch Amateursportler:innen werden in der einzigen deutschsprachigen universitären Klinik für Sportorthopädie, die der gebürtige Schweizer vor mehr als 25 Jahren begonnen hat aufzubauen, hochkompetent therapiert. Und das liegt nicht nur an der Expertise des Teams, sondern auch an dessen „Sportsgeist“. Allen voran Imhoff selbst, der leidenschaftlicher Skifahrer und Mountainbiker ist und die Devise vertritt: „Wer Sportler behandelt, muss auch ihre Sprache sprechen.“

Herr Professor Imhoff, was sind die häufigsten sportbedingten orthopädischen Leiden oder Verletzungen?

Das ist bei uns natürlich stark saisonbedingt. Im Winter sind es vorwiegend Skiverletzungen durch Stürze. Aber auch durch Kollisionen, die stark zugenommen haben in den letzten Jahren, in erster Linie weil die Pisten besser präpariert sind. Viele fahren heute viel zu schnell, über ihre Verhältnisse, und denken nicht ans Bremsen. Die Folge sind schwere Verletzungen an Kopf, Becken und Wirbelsäule. Der klassische Wadenbeinbruch oder das verdrehte Knie ist seltener geworden, weil das Equipment viel besser geworden ist.

 

Und der klassische Kreuzbandriss?

Den gibt es auch noch sehr häufig, vor allem wenn abseits der Piste gefahren wird. Das kommt oft daher, weil die Leute nicht so gut trainiert sind. Interessanterweise passieren die meisten Kreuzbandverletzungen beim langsamen Fahren, also Aussteigen aus dem Lift oder bei ganz langsamen Drehbewegungen. Wenn da die entsprechende Muskulatur fehlt, wirken die reinen Schwerkräfte und es zerreißt das Band, es kann aber auch zu Verletzungen am Meniskus oder Knorpel führen. Ältere Menschen verletzen sich beispielsweise erstaunlich oft beim Langlaufen. Die sagen sich: „Ich bin nicht mehr so sicher auf den Skiern, ich mach jetzt ein bisschen Langlaufen.“ Aber mangels vorbereitendem Training stürzen und verletzen sie sich auch dabei.

 

Viele denken wahrscheinlich auch, dass sie aufgrund des besseren Materials gar nicht mehr so viel Kondition brauchen wie vielleicht früher noch.

Ja, das kommt sicher hinzu.Wenn man das ganze Jahr über fast nichts macht und dann mit den Kindern auf die Piste geht – das ist ja der typische Fall, die 35- oder 40-jährige Mutter oder der Vater mit zwei Kleinen, weil das Wetter so schön ist – , stoßen manche schnell an ihre Grenzen.

 

Und im Sommer – wo lauern da die größten Verletzungsgefahren?

Da ist es natürlich in erster Linie Fußball, von der Anzahl her.

 

Auch im Amateurbereich?

Gerade dort, weniger im Profibereich. Auch wieder ein Klassiker: Samstagabend mit den Kollegen oder der Betriebsmannschaft ein bisschen Kicken, das ist das Gefährliche. Die fehlende Vorbereitung, das fehlende Training, einfach mal einen Ball nehmen und bisschen spielen – dann passieren die Unfälle.

 

Was sind dabei die gängigen Verletzungen?

Kreuzband. Sprunggelenksverstauchungen gibt es auch recht häufig. Das sind dann aber mehr die Läufer und Jogger, wenn man etwa im Gelände plötzlich umknickt. Auch die Achillessehne ist gefährdet, das betrifft eher die Tennisspieler. Man macht einen Ausfallschritt und dann reißt die Achillessehne ab. Oder die Hamstring-Sehne der hinteren Oberschenkelmuskulatur, das sind diese Muskeln, die beim Gesäß oben beginnen und zum Knie gehen. Erst vorgestern hatten wir wieder so einen Fall: joggt hier am Isar-Ufer, rutscht aus, macht einen Ausfallschritt, und dann reißt sie ab.

Sie reißt richtig ab?

Ja, das sind so zwei fingerbreite Sehnen. Wir haben jede Woche ein paar Patient:innen. In gewisser Weise kann man von einem Luxusproblem sprechen. Auch ältere Menschen – wir reden da ab 45 – wollen aktiv sein und Sport machen. Da reißt schon manchmal etwas, was bei 20-Jährigen nicht reißen würde. Viele von diesen Sehnenrissen sind degenerativ. Also langsame Risse. Wie auch bei einem Stoff wird das Material langsam spröde und kann reißen, wenn die Bewegung ein bisschen stärker ist.

 

Gibt es denn gegen diese degenerative Porosität eine Art von Prävention oder muss man sich mit zunehmendem Alter damit abfinden?

Eine gute Frage. Wir wollen natürlich jung bleiben, aber leider wird unser Gewebe einfach älter, das sieht man ja schon an der Haut – sie ist nicht mehr so elastisch, bekommt Falten. Und so ist das auch mit dem Gewebe im Körper. Die Sehnenstränge werden immer spröder und sind dann anfälliger für Verletzungen. Es gibt schon eine Heilung – doch Heilung ist ja immer eine Reparatur. Wenn Sie eine Narbe haben, dann bleibt sie eine Narbe. Das klingt jetzt sehr negativ, man kann schon etwas dagegen tun, indem man eben beweglich bleibt, Sport macht. Auch ein niedriges Niveau ist gut. Denn wenn man sich gar nicht mehr bewegt, dann schwinden die Muskeln. Dann erneuern sich auch die Sehnen nicht mehr.

 

Ein anderer Klassiker: Der sogenannte Tennisellenbogen ist auch recht häufig, oder?

Ja, dazu könnte man ein eigenes Kapitel machen! Der Tennisellenbogen ist etwas Spezielles, weil alle Streckmuskeln des Oberarms auf diesen einen Punkt am Knöchel hingehen. Weil man beim Tennis, aber auch am Schreibtisch mit der Computermaus immer alle diese Muskeln relativ asymmetrisch unter Tonus hat. Es ist also eine Überlastung auf einen Punkt, die zu Mikroeinrissen führt und zu einer chronischen Entzündung des Sehnenansatzes. Das ist bei Tennisspieler:innen häufig, aber letztlich gibt es das auch bei vielen eintönigen beruflichen Arbeiten. Und auf der Innenseite hat es die Bezeichnung Golferellenbogen bekommen, weil Golfer diese Reflexionsbewegungen machen. Im Grunde das gleiche Problem: Große Muskelgruppen gehen auf einen Punkt zu. Und solche punktförmigen Überlastungen haben wir an der Schulter, am Knie – und überall hat das so Eigennamen, also beim Knie heißt es zum Beispiel Runners-Knee.

 

Wobei man sehr selten von Profitennisspieler:innen hört, dass die einen Tennisellenbogen haben.

Ja, das stimmt. Ganz wichtiges Argument, weil man das auch prophylaktisch behandeln kann, zum Beispiel durch Dehnungsübungen. Dafür gibt es mittlerweile sogar eigene Apps.

 

Haben Sie denn den Eindruck, dass Sportverletzungen zugenommen oder eher abgenommen haben?

Ich denke, sie haben zugenommen, weil heute viel mehr Menschen Sport treiben. Wenn ich da an meine Eltern denke – die sind zwar Skifahren gegangen und sind ein bisschen gewandert, aber sonst haben sie nichts gemacht. Heute ist es fast wie eine Modeerscheinung, dass man ganz viel Sport macht. Jedes Wochenende auf einen Berg, jeden Tag ins Fitnessstudio… Welche Ausmaße das angenommen hat, lässt sich auch gut am enormen Wachstum der Sportartikelindustrie beobachten.

Prof. Dr. Andreas Imhoff

Prof. Dr. Andreas Imhoff – Ärztlicher Direktor der Abteilung Sportorthopädie am Klinikum Rechts der Isar in München

„Samstagabend mit den Kollegen ein bisschen Kicken, das ist das Gefährliche“

Ist es nicht auch so, dass sich die Menschen aufgrund der Verbesserung des Materials, aber auch durch die vermeintliche Vorbildwirkung in Social Media manchmal zu viel zumuten?

Ja, das ist völlig richtig. Ich glaube aber auch, dass wir es mit etwas zutiefst Menschlichem zu tun haben. Jeder versucht, was er kann. Man versucht einfach die Grenze auszuloten – was ist möglich? Gerade hat wieder die Radsaison begonnen – Rennradfahren und Mountainbiken – und jetzt steigen auch gleich wieder die Unfallzahlen. Gerade mit der E-Mountainbikefahrern haben wir eine neue Gruppe von Patient:innenen.

 

Inwiefern?

Weil jetzt auch ältere Semester damit die Berge hochkommen. Das sind meistens eher unsportliche Menschen, die sich das vorher gar nicht zugetraut hätten, weil sie mit ihrer eigenen puren Muskelkraft hochstrampeln hätten müssen. Das Rauffahren ist dabei weniger das Problem, sondern das unverletzt wieder runterkommen. So ein Elektrobike hat 25 Kilo, das zu beherrschen und vor allem rechtzeitig zu bremsen auf Offroad-Terrain, ist nicht einfach. Stürze mit teilweise schweren Verletzungen sind die Folge.

 

Gibt es eigentlich einen generellen Unterschied zwischen den Geschlechtern, wenn man an Sportverletzungen denkt?

Gutes Stichwort. Frauenfußball ist beispielsweise viel gefährlicher, was das Verletzungsrisiko betrifft, als der Männerfußball. Das liegt an einem kleinen anatomischen Unterschied, einer Art Engpass im weiblichen Kniegelenk. Der ist verantwortlich für eine höhere Rate an Kreuzbandverletzungen bei Frauen. Am gefährlichsten sind für mich Sportarten, die mit viel Körperkontakt zu tun haben, Eishockey zum Beispiel. Das Schlimmste ist der englische oder australische Football. – Reinkontakt, ohne jeden Schutz. Im American Football tragen die Spieler ja Schutzwesten, Protektoren, Helme und Nackenstützen, die britischen und australischen Rugbyspieler gar nichts. Da gibt es keinen Spieler, der sich nicht mindestens einmal ernsthaft verletzt hat. Aber weil da so viel auf Tradition Wert gelegt wird, macht man sich keine Gedanken, das zu ändern. Was ich für viel bedenklicher halte, ist das Thema Kinderleistungssport.

 

Wo liegen da die Gefahren?

Vor allem im Ehrgeiz mancher Eltern, die ihre Kinder zu Hochleistungen antreiben – Stichwort Stellvertreterkarrieren. Es ist schon klar, dass Spitzensport heute in früher Jugend ihren Anfang nehmen. Doch Kinder kennen keine Grenzen, die wissen ja noch gar nicht, was gut und was weniger gut für sie ist. Wenn bei einem 10- oder 11-Jährigen das Kreuzband reißt, kann man das natürlich flicken. Aber vielleicht wäre es klug, danach nicht sofort genauso weiterzumachen. Vielleicht besser warten, bis der oder die Kleine ausgewachsen ist. Manche Eltern verstehen nicht, dass bei einem Kind noch alles weicher und deformierbarer ist, die Wachstumsfugen noch offen sind. So wird die Grundlage für spätere irreparable Gelenkschäden gelegt.

Robert Emich

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