19. March 2023

Margit Hiebl

Eigenbluttherapie – alles, was Sie darüber wissen sollten

Körperpolizei, Transportmittel und sehr symbolkräftig: Blut. Ein ganz besonderer Saft, dem auch heilende Wirkung zugeschrieben wird

© Mart Production

Was ist eine Eigenbluttherapie?

 

Schon eine geringe Menge soll ausreichen, um das körpereigene Abwehrsystem und die Selbstheilungskräfte anzuregen. Die Rede ist von der Eigenbluttherapie, ein naturheilkundliches Verfahren, das von Heilpraktiker:innen und Ärzt:innen häufig bei Erkrankungen, die mit dem Immunsystem in Zusammenhang stehen, eingesetzt wird, etwa Allergien oder eine chronisch geschwächte Abwehrsituation. Dazu wird eine geringe Menge Blut aus der Vene entnommen und direkt an anderer Stelle, in den Gesäßmuskel oder unter die Haut, wieder eingespritzt. Das Eigenblut kann auch aufbereitet werden, indem es mit Sauerstoff oder Phytotherapeutika angereichert wird. Der Körper erkennt das eigene Blut als fremden Reiz und aktiviert das Abwehrsystem – eine klassische Immunreaktion.

 

Eigenbluttherapie wurde schon in den alten Kulturen von China bis Ägypten angewendet, wenn auch nicht so elegant wie heute. Doch bessere Wundheilung und Verjüngung waren bereits damals die Einsatzbereiche. Aber bis heute werden Verfahren und Wirkung aus wissenschaftlicher Sicht kontrovers diskutiert. „Leitlinien und Studien gibt es noch nicht ausreichend, sie umfassen häufig nicht ausreichende Patient:innenzahlen, und die Art der Aufarbeitung ist nicht einheitlich. Daher besteht hier noch Forschungsbedarf und die bisherigen Ergebnisse sollten kritisch hinterfragt werden“, so Prof. Dr. Sebastian Siebenlist, Leiter und Chefarzt der Sektion Sportorthopädie am Klinikum Rechts der Isar in München.

 

Wirkt die Eigenbluttherapie?

 

Kritisch hinterfragen bedeutet jedoch nicht, dass es nicht wirken kann, wie man aus der Erfahrungsmedizin weiß. So konnte auch in mehreren Studien gezeigt werden, dass Eigenbluttherapie für verschiedene Anwendungsgebiete in der Orthopädie zu einer Linderung der Beschwerden führen kann und teilweise sogar einer Cortison-Injektion überlegen ist. „Derzeit geht ein klarer Trend zu weniger körperfremden Substanzen hin zu mehr Einsatz von körpereigenen Materialien“, beobachtet Prof. Dr. Sebastian Siebenlist. Mit gutem Grund: „Die Eigenbluttherapie kann die Notwendigkeit einer Operation zurückstellen oder im besten Fall zur Vermeidung dieser führen. Bei der konservativen Therapie kann diese den Heilungsprozess beschleunigen und so auch den Einsatz von Schmerzmitteln reduzieren.“

 

Zur Anwendung kommt die Eigenbluttherapie vor allem bei überlastungsbedingten und degenerativen Erkrankungen. „Sie kann zum Beispiel bei einer Achillessehnenreizung oder einem Tennisellenbogen die Beschwerden lindern. Auch bei leichter bis mittlerer Arthrose kann sie die Schmerzen reduzieren, die Beweg- lichkeit des betroffenen Gelenks verbessern und so unter Umständen den Einsatz eines künstlichen Gelenks herauszögern“, so der Experte.

 

Was bewirkt die Eigenbluttherapie?

 

„Regenerationsprozesse von geschädigtem Gewebe bestehen aus komplex zusammenhängenden Einzelschritten und werden von sogenannten Wachstumsfaktoren geregelt. Diese werden unter anderem von den Blutplättchen, den Thrombozyten, freigesetzt. Durch das Einbringen dieser Faktoren am Ort der Schädigung werden Heilungs- und Regenerationsprozesse des geschädigten Gewebes unterstützt und vermehrt angeregt“, so Prof. Dr. Siebenlist. Über ein sogenanntes Autologes Conditioniertes Plasma-Verfahren (ACP) werden diese Zellen verarbeitet – autolog bedeutet körpereigen, conditioniert in dem Zusammenhang aufbereitet. Dazu wird dem Patienten zunächst eine bestimmte Menge Blut aus einer Vene entnommen und zentrifugiert. „Hierdurch setzen sich die schweren Blutbestandteile ab. Das Blutplasma mit den Thrombozyten und Wachstumsfaktoren kann so isoliert werden, und im Anschluss wird es unter sterilen Bedingungen in den Bereich des geschädigten Gewebes injiziert.“

 

Da es ein körpereigener Wirkstoff ist, wird die Injektion in der Regel gut vertragen, „einige Patienten berichten von einer kurzzeitigen leichten Aktivierung mit Schmerzen, Schwellung und diskreter Überwärmung im Bereich der Injektion“, berichtet der Arzt. Insgesamt dauert die Behandlung etwa eine Viertelstunde, und der Patient kann direkt danach nach Hause gehen. In den meisten Fällen werden bis zu drei Anwendungen im Abstand von mindestens einer Woche durchgeführt. Eine Evidenz bzw. Empfehlung der Häufigkeit der Anwendung gibt es aber bis dato nicht. Die Eigenbluttherapie gehört nicht zu den regulären Kassenleistungen. Manche privaten und gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten jedoch nach Vereinbarung.

Vampir-Lifting: eine Variation der Eigenbluttherapie, die Berühmtheit erlangte”

Wo wird die Eigenbluttherapie eingesetzt?

 

Angewendet wird die Eigenbluttherapie auch in der Zahnmedizin. „Die Indikationsbereiche finden sich im zahnärztlich-chirurgischen Bereich wieder, immer dann, wenn es um die Beschleunigung und Verbesserung der Wundheilung sowohl im Weich- wie auch im Hartgewebe geht“, erklärt Dr. Siegfried Marquart, Zahnarzt in Tegernsee. Also bei Zahnextraktionen, Knochenaufbau, Weichgewebeaufbau, Implantationen und sonstigen oralchirurgischen Maßnahmen. Auch hier wirkt sich das körpereigene Material vorteilhaft aus. Es ist sozusagen ein biologisches Wundpflaster – es gibt keine Allergien oder Unverträglichkeiten und auch keine Abstoßungsreaktionen. Das Eigenblut des Patienten wird entsprechend aufbereitet. Verwendet werden unterschiedliche Blutplättchenkonzentrate.

 

„Je nachdem, ob man die flüssige oder geronnene Fraktion einsetzen möchte, werden sie aktiviert oder inaktiviert. Dabei werden entweder PRF-(Platelet Rich Fibrin), PRP-(Platelet Rich Plasma) und PRGF-(Platelet Rich Growth Factor) Verfahren eingesetzt, die sich im Wesentlichen in der Handhabung unterscheiden.“ Bis auf einen kleinen Stich bei der Blutabnahme ist die Therapie nicht schmerzhaft. Doch auch hier gibt es noch keine Leitlinie und die Studienlage wird kontrovers diskutiert. Dennoch: „Die klinische Evidenz ist signifikant positiv in Bezug auf die Heilungsverläufe und Regenerationsprozesse”, meint Dr. Marquardt.

 

Vampir- oder Dracula-Lifting: Was steckt hinter dem Beauty-Treatment mit Eigenblut?

 

Berühmtheit erlangte eine Variation der Eigenbluttherapie im Bereich der Ästhetik, als Mitte der 2010er-Jahre Celebrities wie Kim Kardashian und Bar Refaeli nach einem Besuch beim Schönheitsdoc blutige Selfies posteten. Schnell gab es auch einen dramatischen Namen: Vampir- oder Dracula-Lifting. „Der korrekte Begriff lautet PRP – Platelet Rich Plasma, also zellreiches Blutplasma,“ erklärt Dr. Juliane Bodo, Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie in Berlin. Inzwischen ist dies ein gern genutztes Standardtreatment, bei dem das Blut über Zentrifugieren entsprechend aufbereitet wird. „Das Plasma wird dann in die Haut durch Mikroneedling eingearbeitet oder unter die Haut gespritzt, um eine Verjüngung der Haut zu erreichen und auch um entzündliche Prozesse und Alterserscheinungen wie Akne oder Pigmentstörungen zu behandeln“, so Dr. Bodo.

 

Wenn geneedlet wird, ist das natürlich nicht immer unblutig, aber nicht so dramatisch, wie es auf den Prominenten-Selfies wirken mag. „Wir spritzen das Plasma meist mit der Kanüle ein, da gibt es nur drei Einstiche“, erklärt Dr. Bodo. Sie nutzt es auch im Bereich der Unterlider: „Bei dunklen Schatten oder müder Haut eine gute Alternative zu Hyaluronsäure, die hier zu stärkeren Schwellungen führen kann.“ Auch in der ästhetischen Medizin hat Eigenblut den Vorteil, dass es keine unerwünschten Reaktionen wie Allergien oder Knötchenbildung gibt.

 

Eigenbluttherapie gegen Haarausfall

 

Weitere Einsatzbereiche in der ästhetischen Dermatologie sind Haarausfall oder dünnes Haar. Durch die Mini-Injektionen werden Haarwurzeln gestärkt, wodurch Haarausfall vermindert wird. „Eine hochwirksame Behandlung, solange noch Haarwurzeln vorhanden sind“, so Dr. Bodo. Risiken und Nebenwirkungen? „Beim Einspritzen kann es Blutergüsse geben, die aber nach drei bis sieben Tagen verschwinden – durch das Plasma an sich gibt es höchstens Schwellungen, die zwei Tage anhalten können. Es gibt viele Studien, es ist aber immer vom eigenen Stoffwechsel abhängig, inwiefern der Körper Kollagen produziert, daher ist das Ergebnis nie vorhersehbar.“

 

Bei aller Diskussionsfreude: Erfolge der Eigenbluttherapie in den unterschiedlichsten Bereichen sind nicht von der Hand zu weisen. Es lohnt sich immer, über den medizinischen Tellerrand hinauszublicken – solange es nicht schadet und Patient:innen sich besser fühlen.

Margit Hiebl

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