Neueste wissenschaftliche Forschungen erlauben, das biologische Alter einzelner Organe zu bestimmen. Ein neuer Test kann so auf mögliche Krankheiten hinweisen und den Weg zu einer gezielten Präventivmedizin ebnen
@ Karolina Grabowska
Möglichst jung ganz alt werden, ewigen Leben bei bester Gesundheit – ein Traum seit Menschengedenken. Die Realität, das wissen wir alle, sieht oft anders aus. Nun aber zeigen Forschungsergebnisse aus Stanford in den USA, dass der Jungbrunnen kein geheimer magischer Ort ist, sondern in uns selbst steckt.
Konkret in unserem Blut. Professor Tony Wyss-Coray, Experte für Neurodegeneration im Alter, hat nachgewiesen, dass Proteine in unserem Blutplasma Aufschluss darüber geben, wie wir altern und welche Organe beispielsweise Auslöser für eine vorzeitige Alterung sein können.
„Die meisten Methoden zur Messung molekularen Alterns ermöglichten bisher nur Aussagen über den ganzen Körper. Angesichts der Komplexität der menschlichen Alterungsprozesse ist es jedoch schwierig, daraus Schlüsse zu ziehen.“ Die nun mögliche, spezifische Bewertung einzelner Organe erlaubt eine bessere Interpretation.
Die neue Studie zeigt, dass das chronologische Alter einer Person, gemessen an der Anzahl der Lebensjahre, vom biologischen Alter einzelner Organe abweichen kann. Ein Mensch, der beispielsweise chronologisch 80 Jahre alt ist, könnte also zum Beispiel ein Gehirn besitzen, das zehn Jahre jünger ist, oder eine Leber, die in Wahrheit der eines 90-Jährigen entspricht.
Die Hintergrunddaten für solche Aussagen stecken in unseren Blutbahnen, die Professor Wyss-Coray gerne mit einer Art Autobahn vergleicht, auf der alle Informationen aus den Organen und den Geweben zusammenfließen. Auf diesem Highway des menschlichen Körpers befinden sich im Blutplasma Tausende von Proteinen, die innerhalb der Proteomik untersucht werden.
Bei der Forschung von Prof. Wyss-Coray kristallisierten sich bei der Messung von rund 5000 Proteinen bestimmte Marker heraus, also organspezifische Proteine, die Auskunft geben über den Zustand eines ganz bestimmten Organs, wie zum Beispiel der Leber, der Lunge oder des Gehirns.
„Wir stellten einen klaren Zusammenhang fest zwischen der schnelleren Alterung eines Organs und einer organspezifischen Krankheit.“ Eine stark gealterte Niere kann somit assoziiert werden mit Stoffwechselerkrankungen, wie Diabetes, Fettleibigkeit und Bluthochdruck. Ein Herz, das biologisch älter ist als der Mensch, in dem es pocht, lässt darauf schließen, dass ein erhöhtes Herzinfarktrisiko besteht.
Ein „Brain-Ager“, also eine Person mit einem schneller alt werdenden Gehirn, hat eine höhere Wahrscheinlichkeit, an einer Neurodegeneration wie Alzheimer zu erkranken. Professor Tony Wyss-Coray fasst zusammen: „Eine beschleunigte Organalterung führt zu einem 20 bis 50 Prozent höheren Sterberisiko.“
Von den inzwischen 100.000 Patienten, die für die Forschung getestet wurden, altert rund ein Fünftel nur an einem einzigen Organ. Diese Gruppe umschreibt Professor Wyss-Coray als „One-Organ-Ager“. Fast zwei Prozent der untersuchten Bevölkerung seien jedoch „Multi-Organ-Ager“.
„Diese Personen sind in mindestens fünf verschiedenen Organen extrem gealtert. Bei dieser Gruppe ließen unsere Analysen klare Rückschlüsse auf die wichtigsten altersbedingten Krankheiten zu.“
Was haben diese Erkenntnisse nun mit einem Jungbrunnen zu tun? Professor Wyss-Coray: „Mit nur einer kleinen Blutprobe können wir die Sterblichkeit, den organspezifischen Funktionsverlust, das Krankheitsrisiko, den Krankheitsverlauf sowie die Alterungsheterogenität zwischen den Geweben vorhersagen. Diese neue Technologie zeigt uns, wie wir wirksame Maßnahmen zur Verlängerung der Gesundheitsspanne ergreifen können.“
Anders ausgedrückt: Wir erhalten Informationen, welche Teile in unseren Körpern eine Panne haben und repariert werden sollten, bevor größerer Schaden entsteht. Ein Beispiel aus der Studie des Wissenschaftlers verdeutlicht, wie das geht:
Im Rahmen der Forschungsgruppe zeigte sich bei einem ansonsten gesunden 30-jährigen Amerikaner ein Ausreißer in der Messung der Bauchspeicheldrüse. Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass es in der Familienhistorie mehrere Fälle von Bauchspeicheldrüsenkrebs gibt. „Der Patient entschied sich, sofort weiterführende Tests in der Klinik zu machen, um vorsorgende Maßnahmen zu treffen.“
Mit gezielten medizinischen Behandlungen und Medikamenten, aber auch Sport oder Ernährungsumstellung – also fokussierten Maßnahmen rund um das schnell alternde Organ – könnten wir unsere ganzheitliche Gesundheit länger erhalten und die Alterung hinauszögern. Das ist eigentlich eine sehr gute Nachricht.
Das Problem dabei ist, dass unsere Gesundheitssysteme auf solche Präventivmaßnahmen gar nicht ausgerichtet sind. Markus Okumus, langjähriger Partner von Professor Tony Wyss-Coray wie auch Mitgründer und Investor des gemeinsamen Unternehmens „Teal Omics“, dessen Ziel es ist, die begonnene Forschung weiter auszubauen, erklärt:
„In der chinesischen Medizin wurde früher der Arzt so lange bezahlt, wie man gesund blieb. Wurde man krank, zahlte man nicht mehr, weil dies bedeutete, dass der Arzt keine gute Arbeit geleistet hatte. Unser Pflegesystem ist genau anders herum organisiert.“
Es sei sehr gut darin, kranke Patienten zu behandeln und sie wieder gesund zu machen. „Aber auf die Vorbeugung oder das Gesunderhaltung einer Person zu fokussieren, ist nicht im Interesse dieses Systems. Dabei würden wir langfristig viele Kosten einsparen, wenn Menschen möglichst lange gesund blieben.“
Um hier Veränderungen einzuleiten, müssten wir vom aktuellen Denken der reinen Kostenerstattung im Krankheitsfall Abschied nehmen und Präventionsmaßnahmen deutlich stärker fördern und finanzieren. Okumus: „Es bedarf eines Bewusstseinswandels, dass es sich lohnt, Gesundheit zu erhalten. Und dass eine personalisierte Präventivdiagnose viel bewirken kann. Aber ich befürchte, bis wir zu diesem Verständnis kommen, kann es noch lange dauern.“
Die Erforschung der Proteine im Blut ist noch relativ neu. Wo lagen die Schwierigkeiten?
Im menschlichen Körper gibt es mindestens 20.000 unveränderte Proteine. Dank neuer Technologien kann man heute etwa die Hälfte davon messen – also rund 11.000 Proteine. Dazu waren wir vorher nicht in der Lage. Die Messungen sind kompliziert und teuer. Fortschritte in der künstlichen Intelligenz haben uns ermöglicht, viel mehr Informationen aus dem Blut auswerten zu können.
Das heißt, dass künstliche Intelligenz (KI) diese Forschung überhaupt erst möglich machte?
Ja, weil wir damit die umfangreichen Datensätze verarbeiten konnten. Stellen Sie sich vor: In der Blutprobe einer einzigen Person werden 11.000 Proteine gemessen. In Professor Tony Wyss- Corays Studie wurde das Blut von fast 5000 Patienten untersucht. Dazu kommt, dass pro Patient idealweise mehrere Blutproben über einen bestimmten Zeitraum entnommen werden.
Da kommen ungeheure Massen an Daten zusammen. Die künstliche Intelligenz wirkte in diesem Fall wie ein Beschleuniger. Auch die Interpretation dieser Daten gewann durch das maschinelle Lernen stark an Tempo.
Der Ausgangspunkt ist jedoch immer noch eine ganz normale Blutprobe?
Genau. Wir brauchen nur ein kleines bisschen Blut. Das wird zentrifugiert, wir erhalten das Blutplasma und können mit den Tests beginnen. Es ist minimal-invasiv, was angesichts der Forschungsergebnisse ziemlich bemerkenswert ist.
Wichtig zu wissen ist, dass sich Blut im Vergleich zur DNA, die statisch ist, immer wieder verändert. Wenn Sie Ihren Lebensstil umstellen, mehr oder weniger schlafen, anders essen, mehr oder weniger Wasser trinken, wird sich das auf Ihr Blut auswirken. Es reagiert also auf äußere Einflüsse oder Medikamente. Am Blutplasmatest erwarten wir erkennen zu können, welche Maßnahmen für den Erhalt der Gesundheit sinnvoll sind.
Können Sie das vielleicht an einem konkreten Beispiel erklären?
Wir wissen zum Beispiel von einer Korrelation zwischen Herz und Gehirn. Nimmt ein Patient ein Medikament für sein Herz ein, kann das auch eine positive Wirkung auf andere Teile des Körpers – eben das Gehirn – haben. Je mehr wir solche Zusammenhänge verstehen, desto größer ist das Potenzial, neue Behandlungsmethoden aufzubauen.
Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson können wir in verschiedene Phasen einteilen. Wird bei einem Patienten Alzheimer diagnostiziert, versuchen wir herauszufinden, wie stabil oder instabil sich die Krankheit in den kommenden Jahren entwickeln wird. Ziel kann dann sein, ein Medikament zu finden, dass eine stabile Phase verlängert.
@ Karolina Grabowska
An wie vielen Organen können Sie heute diese vorzeitige Alterung erkennen?
Das biologische Alter können wir heute für rund 30 verschiedene Organe identifizieren, darunter die Leber, das Gehirn, die Haut, die Bauchspeicheldrüse, die Muskeln und so weiter. Es geht aber weniger um die absolute Zahl oder das Alter in Form einer Nummer, sondern um eine beschleunigte oder verlangsamte Entwicklung des Organs im Vergleich zum chronologischen Alter.
Ist der Test aktuell einsatzbereit?
Wir können die Technologie heute bereits anbieten und führen auch schon Gespräche mit Ärzten aus Kliniken im Premium-Segment. Derzeit sind die Kosten aber noch sehr hoch. Der Test kostet einige tausend Euro.
Wir hoffen jedoch, dass er ähnlich der Preisentwicklung bei der DNA-Analyse, mit der Zeit immer günstiger wird. Eine Genanalyse kostete einst ein Vermögen und ist heute bereits für 50 oder 100 Euro zu haben. Allerdings kann ich keine Vorhersagen machen, wann die Blutplasma-Proteomik-Technologie für alle verfügbar sein wird. Das hängt vor allem auch davon ab, wer die Kosten trägt.
Bei Teal Omics geht es uns auch weniger darum, die Technologie zu verkaufen. Wir konzentrieren uns eher auf die Forschung und wollen noch mehr über die Mechanismen des Alterns in Erfahrung bringen.
Eine wichtige Frage ist aber, ob junge, gesunde Menschen überhaupt wissen wollen, dass sie beispielsweise ein Brain-Ager sind und später Alzheimer bekommen könnten?
Das ist natürlich eine ethische Frage, die jeder für sich selbst beantworten muss. Tatsache ist jedoch, dass Langlebigkeit mindestens seit den Römern ein Wunsch der Menschheit ist. Gerade jetzt erleben wir einen echten Hype.
Am Markt gibt es jede Menge falscher Wundermittel, die ewige Jugend versprechen. Ein Klinikarzt in San Francisco bestätigte mir, dass seine Patienten aus Angst vor dem Altern alles Mögliche in sich hineinpumpen. Sie haben keine Ahnung, woher das Medikament kommt, was es beinhaltet, ob es wirkt oder ob es gar schädlich für ihre Gesundheit ist. Informationen und Langzeitstudien fehlen.
Die gebürtigen Schweizer Markus Okumus und Professor Tony Wyss-Coray haben zusammen das Biotechnologieunternehmen Teal Omics gegründet, das eine Technologie entwickelt hat, um die Mechanismen rund um das Altern besser zu verstehen.
Ziel ist, das Gesundheitswesen neu zu gestalten, indem neue Ansätze zur Messung, Überwachung und Behandlung altersbedingter Krankheiten entwickelt werden. Mittels Proteomik, Genomik und künstlicher Intelligenz wurden neuartige Biomarker entwickelt, die eine Präzisionsmedizin zur Verhinderung altersbedingter Krankheiten ermöglichen.