Jürgen Klopp holte Mona Nemmer einst als Ernährungschoachin vom FC Bayern zum FC Liverpool. Hier verrät sie, wie sich die perfekte Ernährung für Sportler:innen zusammensetzt. Denn Siege gehen auch durch den Magen
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Wie kann man Spieler verbessern, die zu den besten ihrer Generation zählen? Fußballprofis, deren Leistungsdaten Tag für Tag erfasst und analysiert werden, und ihren Lebensstil bereits weitgehend den Erfordernissen des Spitzensports angepasst haben? Wo liegt da noch Potenzial für die paar Extrapunkte, die den Unterschied machen zwischen Platz 2 und dem Gewinn von Titeln, Pokalen und Meisterschaften?
Als Jürgen Klopp über diese Fragen nachdachte, traf er eine Entscheidung, die er im Nachhinein den „besten Transfer seines Lebens“ nannte. Er holte Mona Nemmer zum FC Liverpool – acht Jahre ist das nun her. Nemmer arbeitete zuvor beim FC Bayern und beim DFB, sie ist Ernährunsgwissenschaftlerin, in Klopps Team trägt sie den Titel „Head of Nutrition“.
Die studierte Ernährungswissenschaftlerin und gelernte Köchin entwickelte für den Verein einen Ernährungsfahrplan, der allein der Frage folgt, wie sich mit richtiger Ernährung die sportliche Leistung optimieren lässt. Als sie kam, kümmerten sich zwei Köche und zwei Frauen, die das Essen servierten, um die Mahlzeiten der Spieler. Montags gab es Huhn, dienstags Fisch, Mittwoch wieder Huhn. Zwei Köche, zwei Gerichte, das war’s.
Jürgen Klopp nannte Mona Nemmer den besten Transfer seines Lebens
Inzwischen zählt ihr Team 26 Mitarbeiter, es versorgt nicht nur die Profis, sondern alle Mannschaften bis hin zu den Neunjährigen mit täglichen Mahlzeiten, vor allem aber mit wertvollem Wissen, was dem Körper nutzt und was ihm schadet. Dafür hat Nemmer auch eine 1200 Quadratmeter große Gartenanlage errichten lassen, in der Kartoffeln, Tomaten, Gurken, Brokkoli und Obst angebaut werden.
Die Jugendmannschaften helfen beim Gießen und Jäten und lernen früh, was Obst, Gemüse und Gewürze für sie leisten können. Mit den Erfolgen der „Reds“ – Champions League, Klub-Weltmeisterschaft, UEFA Supercup – sprach sich auch Nemmers Beitrag dazu herum, Interviews aber gab sie nie. Sie konzentrierte sich lieber auf ihre Arbeit, statt darüber zu reden.
Nach acht Jahren in Liverpool gab die 40-Jährige dann doch Einblick in ihre Arbeit mit dem Buch „Essen wie die Champions“ (Piper Verlag). Darin geht es weder um Diätküche noch um schnelle Rezepte oder vegane Feelgood-Gerichte. Hier zählt, was Energie liefert, Verletzungen vorbeugt und Regeneration beschleunigt. „Performance Nutrition“ heißt der Fachbegriff, und Fleisch wie auch Fisch als Proteinquelle sind dabei ebenso wenig verpönt wie Kohlenhydrate.
Hier zählt, was Energie liefert, Verletzungen vorbeugt und Regeneration beschleunigt
Was Büromenschen dick und träge macht, ist der Brennstoff der Hochleistungssportlers. Nemmers Ansatz beruht auf einem Grundsatz, der ebenso simpel wie plausibel klingt: Das richtige Essen zum richtigen Zeitpunkt.
Das setzt viel Wissen voraus und macht viel Arbeit, wenn man es, wie Mona Nemmer, ernst und genau nimmt und es in der täglichen Praxis ins Detail geht. Denn nicht jeder Spieler eines Fußballteams benötigt dasselbe. Wie viele Kohlenhydrate, Proteine und Fett, wie viele Mineralstoffe und Ballaststoffe einer benötigt, hängt ab von Alter, Größe und Gewicht, vom Stoffwechsel, dem Körperfettanteil, von Allergien und Unverträglichkeiten, aber auch von der Anstoßzeit, dem Wetter am Spielort, der Dauer des Einsatzes und der Position auf dem Spielfeld.
Ein Spieler, der neunzig Minuten lang an der Seitenlinie auf und ab rennt, und dabei bis zu 13 Kilometer zurücklegt, hat einen höheren Energiebedarf als der Torwart. Ein Spieler, der sich nach einer Verletzung im Aufbautraining befindet, benötigt mehr Proteine als einer, der dreimal pro Woche in der Startelf steht.
Auch die ethnische Zugehörigkeit spielt eine Rolle: Dem aktuellen Kader des FC Liverpool gehören Spieler aus 18 Nationen an, mit so unterschiedlichen kulturellen Esstraditionen wie Japan, Brasilien, Ägypten und natürlich Großbritannien. Um einen exakt auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmten Ernährungsplan auszuklügeln, erstellt Nemmer für jeden Spieler zunächst eine Ernährungsbiografie.
Ein Spieler, der neunzig Minuten lang an der Seitenlinie auf und ab rennt, und dabei bis zu 13 Kilometer zurücklegt, hat einen höheren Energiebedarf als der Torwart
Mit welchen Essgewohnheiten er aufgewachsen ist, und was er mit der Küche seiner Eltern verbindet, ermittelt sie ebenso wie Vorlieben und Abneigungen von Gerüchen und Geschmäckern und welche Fragen und Probleme damit verbunden sein können.
Außerdem werden Proben von Speichel, Blut, Urin und Stuhl genommen und das subkutane Fett gemessen. So erhält man am Ende ein vollständiges „Portfolio“ des Spielers. In Absprache mit dem Trainerteam, den Fitnesscoaches und den Ärzten entsteht auf dieser Grundlage ein individuelles Ernährungsprofil.
Daraus ergibt sich Nemmers wichtigste Aufgabe: Die Spieler zu überzeugen, die richtige Ernährung als Element ihrer persönlichen Erfolgsstrategie zu begreifen. Dafür hat Nemmer einen Ernährungskompass entwickelt, der leicht verständlich Orientierung bietet, welche Stoffe der Körper benötigt, wie sie wirken, in welchen Lebensmitteln sie zu finden sind und in welchem Verhältnis sie idealerweise auf dem Teller landen sollten.
Ernährung als Element ihrer persönlichen Erfolgsstrategie
Auch in ihrem Buch klärt sie erstmal das Grundsätzliche. Was bewirken Proteine, was Kohlenhydrate? Und weshalb lohnt es, auch auf Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe in der Nahrung zu achten. „Ich bin ein großer Fan davon,“ schreibt Nemmer, „Dinge auf eine ganz praktische, wirklichkeitsnahe Weise zu erklären, damit die Menschen sofort verstehen, wie sie sich im Alltag ernähren sollen“.
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Man ahnt, sie besitzt viel Übung darin, Grundsatzgespräche zu führen, in Workshops Zusammenhänge zu erklären und Lust auf neue Rezepte zu machen. Mit ihrem Stil, geduldig und anschaulich zu erklären, liegt sie ganz auf der Linie von Jürgen Klopp. Im Vorwort schreibt er: „Was wirklich zählt, ist Wissen weiterzugeben. Darin ist Mona unübertroffen.“ Ihre Fähigkeit, positiv auf Spieler und Mitarbeiter einzuwirken, macht sie so wertvoll für den Verein.
Um die Spieler zu erreichen und ihren Erkenntnissen größtmögliche Wirkung zu verleihen, legt Nemmer großen Wert auf die Präsentation der täglichen Mahlzeiten und formuliert Regeln, die anschaulich und leicht zu merken sind. Damit den Kickern die benötigte Energie zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung steht, entwickelte sie ein System, das sie „Mealwatch“ nennt.
Bei den Profis, deren Tagesablauf komplett durchgetaktet ist, spielt das eine geringere Rolle als bei jungen Spielern, um die sich noch nicht von früh bis spät ein Team aus Spezialisten kümmert. Mealwatch hilft ihnen, den idealen Moment der Energiezufuhr nicht zu verpassen. „Wer um vier Uhr trainieren will, dem sagt die Mealwatch, dass mindestens 90 Minuten vorher ein Snack fällig ist“, so Nemmer.
Auch die Portionsgrößen werden systematisch dem Energiebedarf des Spielers angepasst
In welchem Verhältnis Kohlenhydrate, Proteine, Fette, Ballaststoffe und Mineralien idealerweise auf dem Teller landen, hängt von der Intensität des Trainings und der Belastung durch Spiele ab. Auch die Portionsgrößen werden systematisch dem Energiebedarf des Spielers angepasst: Je mehr körperliche Aktivität, desto größer ist der Bedarf an Kohlenhydraten.
„Ein moderates Maß an körperlicher Aktivität“, heißt es in „Essen wie die Champions“, „etwa bei Spielern, die spät eingewechselt werden, bedeutet auf dem Teller eine gleichmäßigere Dreiteilung der Portionen von Reis, Huhn und Gemüse. Bei sehr geringer Aktivität, bei verletzten Spielern etwa, kann der Teller je zur Hälfte mit Huhn und Gemüse gefüllt sein, da weniger Reis, also weniger Kohlenhydrate als Brennstoff, benötigt wird.“ Spieler, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, müssen die entsprechend höheren Anteil an pflanzlichen Proteinen zu sich nehmen.
Nemmer rät den Stars um Mo Salah, Virgil van Dijk und Luis Díaz dazu, auch auf die Farbigkeit einer Mahlzeit zu achten. Heißt: „Je mehr natürliche Farben auf dem Teller, desto besser für den Körper.“ Auf diese Weise ist sichergestellt, dass der Körper auch wichtige Mikronährstoffe erhält.
Je mehr natürliche Farben auf dem Teller, desto besser für den Körper
Grünes Gemüse etwa enthält viel Lutein und Vitamin K, das die Knochen stärkt, die Carotinoide in Karotten oder gelber Paprika sind reich an Vitamin C und beugen Muskelkater vor, helle Gemüse wie Zwiebeln, Knoblauch oder Blumenkohl enthalten Allicin, einen Pflanzenstoff, der entzündungshemmend und antibakteriell wirkt, rote Weintrauben und rote Paprika sind reich an Antioxidantien.
Wer bereits einen rosafarbenen Lachs neben hellgelben Kartoffeln auf dem Teller hat, dem rät Nemmer zu ein paar Gabeln farbigem Gemüse, um die Mahlzeit mit Mikronährstoffen anzureichern.
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Wichtig ist Nemmer auch, keine Verbote auszusprechen. Weder Pizza noch Schokolade oder Chips sind tabu. „Ich möchte niemandem grundsätzlich die Lieferpizza verbieten. Es kommt darauf an, wie oft man sich so etwas gönnt. Und wenn, dann sollte man sich nicht schuldig fühlen, sondern sie genießen und sie als etwas ansehen, wofür man hart gearbeitet hat. Hauptsache, man vergisst nicht, dass es sich um einen besonderen Anlass handelt und nicht zur normalen Ernährungsroutine zählt.“
Und: Je häufiger man gut und richtig esse, desto eher kann man sich ab und zu etwas Süßes gönnen, denn: „Die vielen Nährstoffe helfen den Darmmikroben, damit fertigzuwerden.“
Entgegen dem Rat vieler Ernährungsexperten hält Nemmer auch viel von Brot – sofern es mit Sauerteig gebacken ist. Durch die natürlichen Bakterien aus dem Fermentationsprozess sei es leichter verdaulich, und die durch die Kohlenhydrate gelieferte Energie werde – im Gegensatz zu herkömmlich gebackenem Brot – langsam freigesetzt.„So ein Brot kann man auch am Morgen vor einem Spiel mit Genuss essen.“
Nemmer hält viel von Brot – sofern es mit Sauerteig gebacken ist
Im Laufe der Jahre haben sich einige Rezepte aus der Nemmer-Küche zu Favoriten entwickelt. Das Buttermilch-Huhn etwa wird hochgeschätzt, die Nummer eins unter den Food-Favoriten der Liverpool Spieler trägt den Namen 9.30: ein Snack, den die Spieler abends um halb zehn zum Aufladen ihrer Energiereserven erhalten.
Er besteht aus Sojajoghurt, Haferflocken, Mandeln, Granola, Cashewkernen und einer Handvoll Beeren. Nachmittags, heißt es, schmeckt er übrigens auch sehr gut.
Für wie viele Extrapunkte Nemmers Expertise und Überzeugungskraft im Laufe der Jahre sorgte, lässt sich natürlich nicht messen.
Aber, sagte sie vor Kurzem in einem Interview: Die Spieler „wissen, wenn wir gut essen, fühlen wir uns besser. Und wenn wir uns gut fühlen, spielen wir meistens gut. Und wenn wir gut spielen, ist die Chance zu gewinnen sehr hoch. So fügt sich das eine zum anderen.“ Ihre Botschaft, anders lässt sich das kaum deuten, ist angekommen.