6. März 2025
Margit Hiebl
Glück sei eine Frage der Einstellung, heißt es oft. Warum man unbedingt negative Gedanken und Gefühle zulassen sollte und das zwanghafte Suchen von Positivem geradezu toxisch sein kann
@ Adobe Stock
Think pink! Good vibes only! Es kommt nur auf deine Einstellung an! Wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach Limonade draus! Wie oft haben wir das schon gehört, selbst gesagt oder verhashtaggt? Allein auf Instagram gibt es zu „#goodvibes“ 164 Millionen Beiträge.
Aber ganz ehrlich: Muss man denn allem immer etwas Gutes abgewinnen? Darf man denn nicht einfach mal schlecht drauf sein? Oder traurig? Und wütend? Doch, darf man – und statt der rosaroten Brille den Mittelfinger nutzen, gerne auch in Rosa. Manche werden sich jetzt fragen: Was ist denn falsch am positiven Denken? Wo doch zahlreiche Studien die Wirksamkeit belegen. Und was ist falsch daran, optimistisch zu sein? Nichts, selbstverständlich.
Optimisten sollen eine höhere Lebenserwartung haben. Doch Zwangsoptimismus ist kein Allheilmittel und kann auch ganz schön nach hinten losgehen. Hashtag: toxicpositivity.
Bildhaft ausgedrückt: Wenn positives Denken und Optimismus ein Kind bekommen haben, das völlig aus der Art geschlagen ist. Charaktereigenschaft: krampfhafte Zuversicht. Befeuert durch eine wahre Bewegung des positiven Denkens und etabliert nicht zuletzt durch die Pandemie, wird einem nach dem Motto „Du kannst nicht negativ denken und Positives erwarten“ auf Social Media, in Coachings und Selbsthilferatgebern ständig rosarote Zuckerwatte angeboten.
Vielleicht auch ein fehlgeleiteter Effekt der Positiven Psychologie, die den Fokus auf das Positive verstärkt, um ein Gleichgewicht der Gefühle zu schaffen – weil Menschen sich instinktiv eher auf das Negative konzentrieren. Auch wenn sie keinen Spaß machen, haben negative Gefühle durchaus einen Sinn – manchmal sogar einen (über)lebenswichigen.
Sie zeigen an, dass etwas nicht stimmt, warnen uns und fordern uns auf zu handeln und etwas zu ändern. Richtig wütend zu sein, fühlt sich ja manchmal auch verdammt lebendig an. Negatives Denken lässt sich sogar als Strategie einsetzen, indem schon mal ein Worst-Case-Szenario durchgespielt wird.
So erlauben uns die Bad Vibes zu lernen und zu wachsen. Sich ständig von der besten Seite zeigen zu müssen, immer so zu tun, als wäre man supergut drauf, bedeutet hingegen Rückschritt.
Zum einen für die „Mut-Zusprecher“, denen durch die Beschwichtigungsstrategie zunehmend die Fähigkeit zu echter Empathie abhandenkommt. Vor allem aber für ihre „Opfer“. Für die kann, wenn alle um einen herum ihre Themen mit Nonchalance meistern, das eigene Unglück doppelt schwer wiegen.
@ Julia Avamotive
Der Druck, positiv zu bleiben, führt zudem zu Frustration, Scham und Traurigkeit, so eine Studie, die sich mit den Effekten toxischer Positivität auf College-Studenten während der Pandemie befasste. Vor allem, weil diese den Eindruck hatten, dass die Gefühle, die sie teilten, von ihrem Umfeld als nichtig abgetan wurden. Die Nutzung sozialer Medien verstärkte den Effekt.
Dies kann sogar dazu führen, dass sich Menschen in schwierigen Situationen isoliert fühlen und denken, ihre Gefühle seien unangebracht. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht und mündet in einen teuflischen Kreislauf: Denn auch diese Ängste und Sorgen werden wieder verdrängt, und um die kognitive Dissonanz zu lösen, wird die Situation erneut umgedeutet und schöngeredet.
Was aber ist mit den Problemen? Die sind damit nicht aus der Welt, im Gegenteil: „Was man ablehnt, bleibt nicht nur bestehen, sondern wird immer größer“, sagte schon Carl Gustav Jung, der Begründer der analytischen Psychologie.
Und noch ein toxischer Schneeballeffekt: Werden aus der Krise keine verwertbaren Lehren gezogen, fehlt einem auch das Rüstzeug für die nächste. Selbst wenn die Krise gemeistert ist, lauert noch die rosa Gefahr: Statt Wertschätzung und Beistand beim Lecken der Wunden kommt womöglich ein Satz wie: „Sei doch froh, dass es dir jetzt gut geht.“
Nicht nur im privaten Bereich, sondern auch im beruflichen Kontext gibt es toxische Positivität. Beispiel New Work: Unter dem trendigen Deckmäntelchen der Agilität arbeiten viele am Rande der Belastbarkeit, nicht selten 24/7, mit wachsendem Druck und fragwürdigen Verträgen – und reden es sich permanent schön. Klassisch sind hier Sätze wie: „Scheitern ist keine Option. Und mit der richtigen Einstellung kannst du es schaffen.“
Nicht selten kommt es durch das Mindset, immer selbst verantwortlich für das eigene Glück oder Unglück zu sein, zu verzerrten Realitätswahrnehmungen. Negative Erfahrung wird überbewertet, nach dem Motto: „Ich bin ja selbst schuld, dass ich es nicht hinkriege“ – positive hingegen unterbewertet, nach dem Motto: „Ich hatte halt Glück!“ Ein Genickschlag fürs Selbstbewusstsein.
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Besonders für Menschen mit vorbestehenden psychischen Erkrankungen kann toxische Positivität hier zur Falle werden: Depressionen und Angststörungen können sich verschlimmern. Leider steigt dadurch auch die Hemmschwelle, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Toxische Positivität hat auch physische Folgen. Eine Studie zeigte, dass Testpersonen mit höherer „Emodiversity“, also größerer emotionaler Vielfalt, geringere Entzündungswerte im Blut aufwiesen.
Eine andere Untersuchung an der Boston University mit Personen mit Angst- und affektiven Störungen zeigte weitere körperliche Auswirkungen: Die eine Hälfte sollte während eines emotionsauslösenden Films auf-kommende Gefühle unterdrücken, die andere akzeptieren. Das Ergebnis der Messungen ergab: Alle waren zwar ähnlich gestresst, die Akzeptanzgruppe wies aber weniger negative Emotionen und eine niedrigere Herzfrequenz auf.
Was unterscheidet toxische Positivität nun von Optimismus? Toxische Positivität ist – wie zu viel Zucker im Kaffee – auf Dauer ungenießbar und schlecht für die Gesundheit. Ein gesunder Optimismus hingegen ist wie eine ausgewogene Ernährung: Er nährt uns, ohne krank zu machen.
Denn die leicht positiv verzerrte Herangehensweise hilft, Situationen konstruktiv anzugehen, weil sie motiviert. Doch der Grat ist schmal. Wie schafft man es, optimistisch zu bleiben, sodass es einem selbst oder anderen nützt? Eigentlich ganz einfach: Ehrlich zu sich selbst und anderen sein. Akzeptieren, dass das Leben einfach mal Mist ist. Sich erlauben, miesepetrig zu sein. Oder auch, auf die Frage „Wie geht’s dir?“ zu antworten: „Ging schon mal besser.“
Wer selbst als Ratgeber fungiert: Anderen zuzuhören ist besser, als sofort mit Regenbogen-Weisheiten um sich zu werfen. Tatsächlich hilft dem, der in einer schwierigen Situation steckt, eher eine Umarmung. Und statt „das wird schon wieder“ hilft ein Satz wie: „Ich bin für dich da, wann immer du mich brauchst.“ Oder: „Ich kann verstehen, dass dich das belastet. Wie kann ich dich unterstützen?“
Unglück und Glück gehören zusammen. Vielleicht weiß man das Glück auch erst richtig zu schätzen, wenn man die andere Seite kennt. Und ja, vielleicht wird man irgendwann rückblickend sogar sagen: Wie gut, dass ich aus diesem Job rausgeflogen bin – von mir aus hätte ich den Schritt nicht gewagt und wäre nicht so weit gekommen wie heute. Oder über einen Ex-Partner: Danke, dass du mich verlassen hast! Und stolz sein, dass man die Krisen mit allen Ups & Downs gemeistert hat. Denn das macht einen stark und authentisch. Weil sich die eigenen Gefühle richtig anfühlen – egal welche Farbe sie haben.