Schon eine gewisse Ironie der Geschichte: Eigentlich war Yoga am Anfang Männersache. Den ersten Yogis ging es um Meditieren und Atemlenkung, Philosophie und Spiritualität, darum, den Göttern näher zu sein. Die physische Komponente mit den Asanas, den Yoga-Haltungen kam erst später hinzu. Frauen hatten keinen Zugang zu den Lehren, ihnen war es nicht gestattet, Yoga zu lernen und zu praktizieren.
Alle großen Meister waren Männer, die sich in der Regel auch weigerten, Schülerinnen anzunehmen. Erst in den 1930er-Jahren schaffte es eine Frau, die Litauerin Eugenie Peterson, in Indien als Schauspielerin unter dem Namen Indra Devi bekannt, Zugang zu Unterricht zu erhalten. Später zog sie nach Kalifornien und wurde zur Godmother of Yoga – Greta Garbo und Marilyn Monroe gehörten zu ihren begeisterten Schülerinnen. So öffnete sich die strenge Yogi-Philosophie der Gelehrten einer westlichen Damenwelt, die nach ambitionierten Körperübungen zur Optimierung der Figur suchte.
Im New-Age-Zeitalter und den Hippie-Jahren fanden wieder mehr männliche Protagonisten auf der Suche nach Erleuchtung zum Yoga – häufig Persönlichkeiten aus der Musikszene, von den Beatles bis hin zu Yehudi Menuhin. Heute ist Yoga bei vielen Sportlern Teil des Trainings: Ob NFL-Quarterback Tom Brady, Golfer Martin Kaymer oder die deutsche Fußballnationalmannschaft – alle üben sich im Sonnengruß.
Dennoch: So richtig angekommen in der Männerwelt ist Yoga bis heute nicht. Laut einer Studie der GfK beträgt der Männeranteil unter den Yogis gerade mal ein Prozent. Die Hemmschwelle liegt offenbar hoch. Woran liegt das? Haben Männer Angst, sich vor der geballten weiblichen Biegsamkeit zum Affen zu machen? Scheuen sie esoterisches Gedöns mit Räucherstäbchenduft? Ist ihnen Yoga zu unsportlich? Wollen sich nicht auf unbekanntes Terrain begeben? Vermutlich von allem ein bisschen, bestätigt Sandra Jahn, ärztlich geprüfte Yoga-Lehrerin mit eigenem Studio (Männeranteil über 50 Prozent) in München.
Häufig hört man von Männern die Ausrede: Ich bin ja viel zu steif und ungelenkig, um Yoga zu machen.
Ein Yoga-Meister hat einmal auf die Frage, welche Asana man praktizieren solle, geantwortet: Du musst das machen, was du am wenigsten kannst. Eigentlich logisch, denn wenn er nicht steif und unbeweglich wäre, bräuchte er auch nicht zu kommen.
Männer blamieren sich ungern, wie finden sie einen sicheren Einstieg?
Einsteiger, gerade männliche, fühlen sich oft in Einzelstunden oder kleinen Gruppen wohler. Ich bin sonst nicht für Geschlechtertrennung – aber in dem Fall halte ich auch eine reine Männergruppe für sinnvoll, in der sie sich in ihrer Energie finden und auf etwas Neues einlassen können.
Macht es einen Unterschied, ob Mann einen weiblichen oder männlichen Instructor wählt?
Ja, diesen Unterschied will ich aber gar nicht positiv oder negativ werten. Da gibt es einfach eine andere Energie, und das ist gut so. Unabhängig vom Geschlecht soll die Person passen, und auch – diese Erfahrung mache ich immer wieder – der Humor. Denn Yoga muss auch nicht zu heilig und reduziert sein, es darf auch mal weltlich werden.
Welcher Yoga-Weg ist gut für Männer?
Idealerweise beginnt man mit klassischem Hatha Yoga, beschäftigt sich mit dem Körper, lernt die Ausrichtung, versucht die einzelnen Haltungen zu durchdringen. Das geschieht, indem man sie oft übt und versteht, wie nun der Fuß stehen muss oder wie man die Brust öffnen kann, wie lange man in der Haltung bleiben muss, um etwas zu erspüren. Das ist beim einen nach acht Atemzügen, beim andern nach dreißig.
Meiner Erfahrung nach hilft es nicht, jemand spirituell zu überfrachten, wenn er überhaupt noch nicht weiß, wie eine Asana aussieht. Lieber vom Groben zum Feinen, also über den Körper die Wahrnehmung schulen, den Atem integrieren und dann in die Weichheit gehen, etwa mit einer schönen Schlussentspannung. Darauf kann man aufbauen. Die meisten Anfänger:innen sind sicherlich erst mal körperlich orientiert. Inwieweit ein achtsamer oder spiritueller Weg daraus wird, liegt dann in jedermanns Hand. Aber zunächst geht es darum, die Idee anzulegen, dass man Zeit mit sich verbringt und zulässt, was da passiert.
Was sollte man als Anfänger:in erst mal besser lassen?
Problematisch finde ich Flows jeder Art, gerade für Anfänger:innen. Weil man dabei die einzelne Haltung und die Wahrnehmung der Haltung nicht lernen kann.
Kann denn jede:r Yoga machen?
Yoga ist wie ein großer Werkzeugkasten, in dem unfassbar viele Werkzeuge liegen. Es ist die Aufgabe des Lehrers, für seine:n Schüler:in im richtigen Moment das richtige Werkzeug aus der Kiste zu fischen.
Welche Fehler machen Männer häufig?
Dass sie in eine Challenge gehen. Yoga ist kein Wettkampf, schon gar nicht gegen sich selbst, sondern vielmehr ein Integrieren der Stärken und Schwächen. Ziel ist es, damit vielleicht auch ein bisschen weiser zu werden, indem man versteht, dass das eine das andere nicht ausschließt. Klar. darf man sich etwas vornehmen, wie, im „Hund“ die Fersen auf den Boden zu bekommen. Aber: Man muss sich immer bewusst sein, dass der eigene Atem und die körperliche Möglichkeit einem die Geschwindigkeit vorgibt.
Wie profitieren Sportler von Yoga?
Indem sie etwas machen, was sich ganz anders anfühlt, von dem sie aber bald spüren, dass es eine gute Ergänzung ist. Allerdings müssen sie eine gewisse Frustrationsphase zulassen, denn die Dinge, die mit dem Körper zu tun haben, können sie ja sonst gut. Sportler haben zwar eine ausgebildete Muskulatur, sind aber oft nicht gut oder achtsam in der Dehnung. Golfer profitieren von Drehhaltungen, Biker von Vorwärtsbeugen und Hüftöffner-Übungen, Läufer auch von Fersensitzen. Aber aus dem Zusammenhang gerissen machen die Haltungen wenig Sinn. Eigentlich müsste man, nachdem man eine Stunde gelaufen ist, eine Stunde Yoga machen.
Wie lange dauert es, bis man Yoga kann?
Ich kann es noch nicht! (lacht) Es geht nicht um eine Meisterschaft, sondern darum, dass wir gemeinsam auf einem Weg sind. Wo das Ende ist? Du weißt es nicht, ich weiß es nicht. Aber je öfter man den Weg beschritten hat, desto schneller findest man ihn wieder.
Wenn man nur eine Übung am Tag macht, welche sollte es sein?
Der „Hund“, denn der beinhaltet alles: Kopfdurchblutung, Rumpfaktivierung, Beindehnung, Armkräftigung. Etwas Besseres gibt es nicht. Man muss die Übung nicht gleich dreißig Minuten machen, wie Yoga-Meister B.K.S. Iyengar es empfohlen hat – zehn Minuten sind schon herausfordernd. Und man wird in dieser profanen Haltung verschiedenste Phasen durchlaufen, von genervt bis angestrengt. Aber prinzipiell kann den „Hund“ jeder, auch wenn man nicht gleich mit der Ferse auf den Boden kommt. Und man kann die Übung mit Schuhen machen, in jedem Outfit.