„Klassische Antidepressiva wirken bei einem Drittel der Patienten nicht – eine Lücke, die Psychedelika schließen könnten”
19. März 2023
Margit Hiebl
Besser als ihr Ruf – zumindest unter ärztlicher Aufsicht. Über das Comeback von Psychedelika und anderen psychoaktiven Substanzen
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„Klassische Antidepressiva wirken bei einem Drittel der Patienten nicht – eine Lücke, die Psychedelika schließen könnten”
Psychedelika, das klingt erst mal schwer nach Sixties. Nach Love, Peace und Happy Hippies. Als das Who‘s who der Popkultur, von Musik bis Malerei, Kreativität und mystische Erfahrung in veränderten Bewusstseinszuständen durch LSD oder Magic Mushrooms suchte. Nach heutigem Wissen war dies, zumindest was die Kreativitätssteigerung betrifft, eher überbewertet. Wer nicht kreativ ist, wird es auch nicht durch psychoaktive Substanzen. Interessant sind sie jedoch aus medizinischer Sicht. Studien dazu gab es schon in den 1950er-Jahren, nachdem der Schweizer Chemiker und LSD-Entdecker Albert Hofmann Ende der 1930er-Jahre aus den magischen Pilzen das Psilocybin isolieren konnte. Die Studien waren jedoch methodisch nicht ausreichend und schwierig zu interpretieren. Dann kam die Forschung zum Erliegen, denn in der Ära Nixon wurden Psychedelika zuerst in den USA, dann auch in Europa als Drogen verboten.
Doch nun bahnt sich eine Art Comeback an. Neue Sinn- und Kreativitätsuchende, nunmehr aus dem Silicon Valley, und aktuelle Netflix-Dokumentationen wie Verändere dein Bewusstsein, Magic Medicine oder Goop Lab brachten Psychedelika in den vergangenen Jahren wieder ins öffentliche Bewusstsein. Prof. Dr. Andreas Menke, ärztlicher Direktor und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie im Medical Park Chiemseeblick, sieht aber auch einen medizinisch relevanten Grund für das Revival: „Wir haben bei der Depression mit Antidepressiva seit den 1950er-Jahren gute Behandlungsmöglichkeiten. Weiterentwickelt hat sich die Verträglichkeit, nicht maßgeblich jedoch Wirkung und Wirkmechanismen.“ Klassische Medikamente wirken zwar, jedoch erst nach vier bis sechs Wochen und immerhin bei einem Drittel aller Patienten gar nicht. Diese Lücke könnten Psychedelika ganz gut ausfüllen, so Menke.
Aktuell werden dazu auch in Deutschland klinische Studien über Psilocybin durchgeführt, etwa an der Berliner Charité und am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit. Ziel der Forschung: eine legale und sichere medizinische Anwendung zur Therapie behandlungsresistenter Depression zu ermöglichen. Die ersten Ergebnisse stimmen zuversichtlich, dass die Behandlung in den nächsten Jahren von der FDA und der EMA zugelassen wird.
Was macht Psilocybin so interessant? Es aktiviert Serotonin-Rezeptoren, die Dopamin- und Glutamat-Ausschüttung, sorgt also für Glücksgefühle und Harmonie, stimuliert die Neuroplastizität und damit die Weiterentwicklung der Nervenzellen, darüber hinaus hat es antientzündliche Effekte. Auch scheint es das sogenannte Default Mode Network, einen neurologischen Mechanismus, der die Alltagswelt im Gehirn stabilisiert, vorübergehend außer Kraft zu setzen. Und damit die rigide Art über sich zu denken, wie dies bei manchen Depressionsarten der Fall ist. Man sorgt also bewusst für Unordnung und ermöglicht so eine Neuordnung.
Die an den Studien teilnehmenden Patienten erhalten eine Standarddosis Psilocybin in einem vorbereiteten ruhigen Umfeld in der Klinik. Im Beisein von Therapeuten erleben sie dann einen tagtraumähnlichen Zustand, der vier bis sechs Stunden anhält – ein Vorteil gegenüber LSD, das deutlich länger wirkt. Anschließend erfolgt eine sogenannte Integration, eine Nachbereitung mit Psychotherapie. Wie lange die Effekte halten und wie häufig die Gabe erfolgen kann, ist noch Gegenstand der Studien. Vertragen wird Psilocybin in der Regel gut. Auch besteht nach heutigem Wissen keine Suchtgefahr, allenfalls eine Verhaltensfixierung.
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Therapeutisch möglich ist im Augenblick nur die Behandlung mit Ketamin. Eigentlich ein Anästhetikum, das in der Notfallmedizin oder Schmerztherapie eingesetzt wird, zählt es auch zu den halluzinogenen Substanzen. Es wurde in der Psychiatrie als Infusion eingesetzt, um Depressionen zu behandeln. Das heißt: Ärzte müssen selbst entscheiden, ob das Medikament für den Patienten sinnvoll ist, auch wenn es keine offizielle Zulassung für diese Indikation hat. Doch der Erfolg gab ihnen recht. „Das hat gut funktioniert, deutlich schneller sogar als mit klassischen Antidepressiva“, so Prof. Dr. Andreas Menke. „Oft sogar innerhalb von Stunden. Das Problem war anfänglich, dass es nicht sehr lange gehalten hat. Mittlerweile aber gibt es gute Studien, die zeigen, dass es auch über längere Zeit wirkt, wenn man es regelmäßig einsetzt.“
Seit Kurzem gibt es außerdem das Esketamin als Nasenspray: „Es hat eine Zulassung für die therapieresistente Depression und bei akuter Suizidalität innerhalb einer Depression, im Augenblick noch für die Klinik, demnächst wohl aber auch für den ambulanten Bereich“, so Menke. Der Patient verabreicht sich das Spray dann unter ärztlicher Aufsicht selbst, um gelegentlich auftretenden Dissoziationen therapeutisch begegnen zu können.
Welche im positiven Sinn lebensverändernde Wirkung Psychedelika haben können, zeigt das Beispiel des Schweizer Unternehmers Daniel Kreissel. Mit Anfang zwanzig lag er nach einem Motorradunfall mit schwersten Hirnverletzungen im Koma, musste danach wieder sprechen und laufen lernen. Schmerzen und epilepsieartige Anfälle waren seine ständigen Begleiter. Ebenso Schmerzmittel und deren schwere Nebenwirkungen – über zehn Jahre lang. In einer Schweizer Klinik erzählte ihm ein Professor, dass Cannabinoide bei Gehirnverletzungen wie seiner hilfreich sein könnten. Daniel Kreissel begann sich in der Folge zusammen mit einem Partner intensiv mit der Cannabispflanze und ihren verschiedenen Genetiken zu beschäftigen, stellte selbst Tinkturen her und fing an, sich selbst zu therapieren.
„Psychiatrisch gesehen ist Cannabis keine so tolle Substanz“
Nach etwa zwei Jahren war er nach eigener Aussage fast hundertprozentig rehabilitiert – entgegen jeglicher Prognose. Doch sein Trauma war noch nicht gelöst. So führte ihn der Weg zurück ins Leben auch zu Ayahuasca. Der Pflanzensud wird von indigenen Schamanen in Südamerika in religiösen Ritualen verwendet. Seit ein paar Jahren auch ein organisierter Selbsterfahrungs-Trip von Hipstern aus aller Welt. In speziellen Zeremonien wird das halluzinogene Getränk verabreicht. Das führt meist zu Erbrechen bis hin zur Auflösung der Grenzen zwischen der Welt und dem Selbst. Ängste, Glaubenssätze und Traumata können hochkommen. So auch bei Daniel Kreissel: Er sah seinen Unfall, an den er sich nicht mehr erinnern konnte, wie einen Film ablaufen. Doch das Zulassen dieses Albtraums hat ihn von seinem Trauma befreit. Und den fehlenden Baustein geliefert, auf den er weiter mit Therapeuten aufbauen konnte.
Inzwischen hat der Weg zu einem Business geführt. Der heute 40-Jährige gründete unter anderem eine Biotech-Firma, die das Heilungspotenzial von Cannabinoiden, psychedelischer Medizin wie Psilocybin und adaptogenen Pflanzenstoffen, wie auch das alter Selbstheilungsmethoden erforscht. Darüber hinaus ist er in ein Unternehmen eingestiegen, das Zeremonien mit Psychedelika in den Niederlanden anbietet. Ferner plant er für nächstes Jahr, in Zusammenarbeit mit den Schweizer Gesundheitsbehörden, in Zürich das Pilotprojekt für ein Healing Center. Dort soll Clubmitgliedern ein holistisches Konzept aus alten Heilpraxen wie Meditation, Atemtechniken oder Fasten wie auch der Zugang zu Cannabinoiden, psychedelischer Therapie und „vergessenen“ Pflanzenstoffen angeboten werden, die biodynamisch und biologisch in der Schweiz kultiviert und durch die angeschlossenen „Natur-Apotheken“ vertrieben werden. „Ziel ist es, eine Balance zwischen Body, Mind und Spirit herzustellen“, so Kreissel.
In Sachen Cannabis ist aktuell nicht nur in Deutschland einiges in Bewegung, das auf eine – wie auch immer eingeschränkte – Legalisierung in den nächsten Jahren hindeutet. Doch unproblematisch sei der Gebrauch nicht, so Prof. Menke. „Psychiatrisch gesehen ist Cannabis keine so tolle Substanz. Man kann sie bei gewissen Schmerzzuständen medizinisch einsetzen, auch zur Appetitsteigerung bei Erkrankungen wie AIDS oder Krebs.“ Der regelmäßige Konsum jedoch sei problematisch – vor allem unter 25, wenn das Gehirn noch in der Entwicklung ist. „Akute Nebenwirkung könnte ein Horrortrip sein, der traumatisieren kann. Wir sehen in den Psychiatrien auch immer wieder junge Menschen, die eine Schizophrenie entwickeln. In Studien konnte zudem gezeigt werden, dass bei regelmäßigem Cannabiskonsum der frontale Cortex dünner wird.“ Was die meisten Langzeitkonsumenten entwickeln, sei ein amotivationales Syndrom – ein Phänomen, das von Leistungsminderung über Gleichgültigkeit bis zu totaler Apathie führen kann. Etwas, das man nicht wirklich erfolgreich behandeln könne, so Menke.