8. Januar 2024

Marie Hein

Daphne Javitch: Plädoyer für einen liebevollen Umgang mit uns selbst

Daphne Javitch, Integrative Health Coach, erklärt, wieso Routinen besser sind als starre Regeln und wieso wir erstmal kleine Schritte gehen sollten, bevor wir große Sprünge machen

Integrative Health Coach Daphne Javitch

„Ich ermutige jede:n immer zuerst, sich vom Perfektionismus zu befreien“

Gerade zum Jahresstart engen wir uns oft und gerne mit hochgesteckten Zielen ein, verbiegen uns mit Diäten und verstricken uns in Sportprogramme. Die gut gemeinten, aber meist zu ambitionierten Vorsätze halten wir wahrscheinlich nicht durch, da sie – sind wir ganz ehrlich – gar nicht zu unserem Lebensstil passen. Denn wenn wir die Geburtstagseinladung einer Freundin nicht wahrnehmen, da wir öffentlich nicht auf das Glas Wein verzichten wollen, macht das nicht gesund, sondern vor allem einsam.

 

Ein weniger rabiate Methode zur nachhaltigen körperlichen und mentalen Gesundheit, vor allem eine lebensnahe, humorvolle und authentische, lehrt Daphne Javitch. Die Anfang-40-Jährige ist Life- und Integrative Health Coach, machte ihre Ausbildung am Hippocrates Health Institute in Florida und zog vor einigen Monaten von New York nach L.A., wo sie mit Mann und zwei kleinen Jungs lebt.

 

Mitgefühl, Selbstakzeptanz und Kontinuität

 

Sie hat sich eine weltweite Fanbase aufgebaut, da sie eben nicht an dogmatische One-Size-Fits-All-Gesundheitsregeln glaubt, sondern an Mitgefühl, Selbstakzeptanz und Kontinuität. Auf ihrer Plattform Doingwell.com und Instagram gibt sie Tipps zu Ernährung, mentaler Gesundheit und bespricht Tabuthemen, etwa wie wichtig alles ist, was aus dem Körper herauskommt.

 

In ihren Gruppen- und Einzelsessions sowie Video-Turorials lacht sie, weint sie, gibt Fehltritte zu, erzählt von ihren eigenen Herausforderungen, ist kritisch, verständnisvoll – und vor allem nahbar.

 

Warum der vielleicht beste Vorsatz für ein gesundes neues Jahr der liebevolle Umgang mit uns selbst sein sollte, wieso Routinen besser sind als starre Regeln und wieso wir erstmal kleine Schritte gehen sollten, bevor wir große Sprünge machen, erklärt sie in diesem Interview.

Daphne Javitch im Interview

 

Wir sind ständig von einem Wirrwarr aus Meinungen zu Diäten, Körperperfektionismus und Nahrungsergänzungsmittel umgeben, die uns schön, gesund und glücklich machen sollen. Der Druck ist groß. Was raten Sie Ihren Klient:innen immer zuerst?
Das wahre Gesundheit über das Äußere hinausgeht, denn das emotionale, mentale und spirituelle Wohlbefinden spielt eine ebenso große Rolle. Somit ermutige ich jede:n immer zuerst, sich von diesem Perfektionismus zu befreien! Es ist viel wichtiger sich auf sich und den inneren Prozess zu konzentrieren, anstatt sich auf äußere Erwartungen zu fokussieren. Ich glaube, dass der erste Schritt zu einem wirklich gesunden Leben mit Selbstakzeptanz und Mitgefühl für sich und das eigene Leben beginnt. Hinzu kommt Kontinuität. Nur so kann man wirklich wachsen.

 

Sie wissen von was Sie reden und sagen über sich selbst, dass Sie ebenso übermäßig Körper fokussiert waren, als Sie noch in der Modebranche arbeiteten…
Ja, leider. Ich habe meinen Körper den größten Teil meines Lebens scharf kritisiert. Gesundheit war mehr eine optische Betrachtung.

 

2015 gründeten Sie dann Ihre Health-Plattform Doing Well, lernten bei unterschiedlichen Expert:innen auf der ganzen Welt. Woher kam die Idee für diesen doch drastischen beruflichen Wandel?
Seit meinem 13. Lebensjahr litt ich stark unter meiner Menstruation. Mit 34 Jahren platzte eine Zyste an meinem Eierstock und es wurden noch viele weitere entdeckt. Dann wurde noch Endometriose im 4. Stadium diagnostiziert. Meine Ärzte wollten mich sofort operieren, das wollte ich aber nicht. Also habe ich nach Alternativen gesucht.

 

Zu dieser Zeit beschäftigten Sie sich bereits mit zellulärer Gesundheit.
Genau. Ich habe damals einen ganzheitlichen Ansatz gesucht, gefunden und adaptiert. Innerhalb von sechs Monaten gingen alle meine Symptome zurück und ich hörte sogar mit dem Rauchen auf – nach 15 Jahren. Es war sehr faszinierend, denn ich begann meinen Körper auf völlig neue Weise kennenzulernen.

Was Sie damals heilte, lehren Sie heute: Während der Fokus auf Ernährung und der Food Combining-Methode liegt, nämlich vollwertige Lebensmittel nach ihrer Kombinationsverträglichkeit und Verdauungszeit einzuteilen, damit es keinen Stau im Darm gibt, legen Sie den Fokus auch auf Schlaf, Stressmanagement, Sport, menschliche Verbindungen. Was war Ihre Idee?
Doing Well ist eine Gesundheitsplattform, wo alle willkommen sind. Man muss kein Fitness-Freak oder New Age-Kenner:in sein, sondern ich richte mich an Menschen mit sehr realen Leben und versuche, diese auf behutsame Art zu verbessern. Hinzu kommt ein unkomplizierter Zugang zu Ernährung und zellulärer Wissenschaft.

 

Wie unterscheidet sich Ihre Methode von anderen?
Uns wird heute viel zu oft versprochen, dass wir mit Hauruck-Aktionen, wie den kompletten Lebensstil von heute auf morgen umzustellen, gesund und glücklich werden. Das bringt meiner Meinung nach gar nichts. So verbiegt man sich nur und hält diesen Zustand nicht lange aus. Unsere Leben sind dafür viel zu komplex und anspruchsvoll. Zudem sind wir toxischen Belastungen aller Art ausgesetzt.

 

Meine Methode beruht auf sukzessive ausgeführte, nachhaltige Anpassungen des Lebensstils, die eine kumulative Wirkung entfalten. Jeder Tag ist eine neue Chance, etwas mehr für sich und die eigene Gesundheit zu tun. Und anstatt einmal im Jahr eine Fünf-Tage-Saftkur zu machen, sollte man versuchen, vielleicht jeden Tag einen grünen Saft zu trinken. Das Wichtigste ist jedoch, dass man sorgsam mit sich umgeht. Anstatt zu streng mit sich zu sein, sollte man lieber überlegen: Was kann ich heute besser machen als gestern, letzte Woche, letztes Jahr?

 

Was war Ihr größter Aha-Moment, wenn es um Gesundheit geht?
Die Kraft der Konstanz! Wir sind auf Neuheit programmiert, daher kann das Festhalten an Ernährungs– und Lebensstiländerungen die größte Hürde sein. Aber Konstanz heilt! Auch die selbstverständlichen Dinge wie Wasser trinken. Wir wissen es alle, aber trinkt man wirklich jeden Tag genug, wird man sehen, was das für eine spürbar positive Wirkung hat.

 

Genau das ist heute Ihr Spezialgebiet: Sie bauen mit Ihren Klient:innen Routinen auf und sind eine Regel-Gegnerin. Das Schönste daran ist, dass der Genuss – der ebenso zu einem glücklichen und gesunden Leben gehört – nicht zu kurz kommt. Denn kommt einem das Leben dazwischen, dann kann man sich wieder auf die gesetzten Routinen konzentrieren. Warum ist das Wiederholen so heilend?
Eine Routine ist etwas, worauf wir uns stützen können, wenn wir uns überfordert, gestresst, unreguliert oder uninspiriert fühlen. Sie geben uns Halt. Wenn wir eine einfache Routine etabliert haben, können wir immer zu dieser zurückkehren. Die Idee des Zurückkehrens hört sich so einfach an, aber hält uns dauerhaft gesund und befreit uns von so viel innerem Geplapper und der ständigen Bewertung des eigenen Ichs.

„Uns wird heute viel zu oft versprochen, dass wir mit Hauruck-Aktionen, wie den kompletten Lebensstil von heute auf morgen umzustellen, gesund und glücklich werden“

Mit welchen einfachen Routinen können wir alle in eine gesündere Zukunft starten?
1. Genießen von vollwertigen, natürlichen, regionalen Lebensmitteln und setzen Sie den Fokus auf Grünes – von Salat bis Gemüse.
2. Etablieren Sie einen täglichen Rhythmus mit konstanten Schlaf- und Aufwachzeiten.
3. Gehen Sie an die frische Luft, setzen Sie sich in die Sonne und trinken Sie ausreichend Wasser.
4. Bewegen Sie sich regelmäßig und schwitzen Sie oft!
5. Und zu guter letzt: Weniger Technologie und mehr Menschlichkeit.

 

Und welche sind Ihre täglichen Go-Tos?
Ich liebe grünen Saft, Trockenbürsten, Sauna und Darmreinigungen.

 

Gerade letzteres ist ein Tabuthema, über das Sie gerne sprechen…

Wenn es um Heilung und Wohlbefinden geht, dann ist alles, was aus dem Körper rauskommt genauso wichtig wie das, was reingeht. Gerade in der aktuellen Wellness-Kultur wird eine übermäßige Zufuhr von Nahrungsergänzungsmitteln, Proteinen, Kalorien und Makronährstoffe proklamiert. Aber unterschätzt sind Stuhl, Urin, Schweiß oder der Atem.

 

Alles, was rauskommt, entgiftet nicht nur, sondern entlastet uns auch und ist entscheidend für eine lebendige Gesundheit. Und einer der wichtigsten Entgiftungswege ist eben unser Dickdarm. Gesundheit bedeutet unbelastet und gleichzeitig bestmöglich versorgt zu sein, sodass wir uns um uns selbst, unsere Lieben und die Gemeinschaft kümmern können.

 

Was sind Ihre nächsten Schritte mit Doing Well?
Ich baue gerade eine Mitglieder-Community auf, damit ich leichter und häufiger mit mehr Menschen in Kontakt treten kann. Und im Jahr 2024 veranstalte ich das erste Doing Well Retreat!

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