Künstler:innen & Synästhesie
Kein Wunder, dass sich unter den Synästhet:innen viele Künstler:innen befinden. Wassily Kandinsky etwa. Der Maler konnte Farben hören, indem er eine Verbindung zwischen Farben, Formen und Klängen herstellte.
„Farbe ist ein Mittel, das einen direkten Einfluss auf die Seele ausübt. Farbe ist die Tastatur. Das Auge ist der Hammer. Die Seele ist das Klavier mit seinen vielen Saiten. Der Künstler ist die Hand, die die Seele absichtlich auf dieser oder jener Taste zum Schwingen bringt“, beschrieb Kandinsky dies. Blau klang für ihn wie eine Orgel, Rot wie eine Violine, Gelb wie eine Trompete.
Das Machine-Learning-Experiment Play a Kandinsky, das in Zusammenarbeit mit dem Pariser Centre Pompidou und Google Arts & Culture entstand, hat mittels KI Bilder wie Gelb, Rot, Blau von 1925 zum Klingen gebracht. So soll erlebbar gemacht werden, wie er möglicherweise den kreativen Prozess empfunden hat und wie es sich heute für uns interpretieren ließe. Inzwischen wird Wassily Kandinskys Synästhesie als eines der zentralen Geheimnisse hinter seinen Kunstwerken gesehen.
Synästhesie in Musik und Literatur
Farben und Klänge verbinden auch Musiker:innen wie Pharrell Williams, Billie Eilish, Lady Gaga, Billy Joel, Hélène Grimaud oder Chris Martin, die so auch im wahren Wortsinn sehen können, ob ein Klang-Bild harmonisch ist. Auch Komponisten wie Franz Liszt, Jean Sibelius, Leonard Bernstein oder Alexander Skrjabin reihen sich ein.
Letzterer hatte für sein Opus Prometheus 1910 die vermutlich erste Lightshow der Welt kreiert: mit einem Part, das auf einem Farbklavier gespielt wurde, welches auf Tastendruck Lichtprojektionen erzeugte. Und natürlich dürfen auch Dichter:innen und Schriftsteller:innen nicht fehlen. Johann Wolfgang von Goethe etwa, Vladimir Nabokov, Marcel Proust oder Elke Lasker-Schüler.
Was ist keine Synästhesie?
Dabei hat aber nicht jede blumige und blindhafte Sprache oder Assoziation einen synästhetischen Background. Wer also Vanillepudding mit Geborgenheit aus der Kindheit verbindet, muss kein Synästhet sein. „Synästhesien sind überwiegend gleichbleibende gekoppelte Wahrnehmungen, die sich sehr oft in visualisierter Farbe oder Form äußern“, so Dr. Beier, „etwa wenn beim Riechen von Vanillepudding immer ein gelber Punkt vor dem inneren Auge erscheint oder beispielsweise Druck in einer Körperregion entsteht und konsistent auftritt.“
Die Erinnerung an Kindheitssituationen oder Geborgenheit gehören nicht dazu, so die Expertin. Aber oft zeigt sich, dass unsere Sprache viele synästhetische Begriffe nutzt, auch wenn nur ein kleiner Teil der Bevölkerung betroffen ist. „Daher gibt es in der Sprachwissenschaft auch den Begriff der ‚Synästhesien‘, die jedoch von dem neurologisch nachweisbaren Phänomen zu unterscheiden sind“, sagt Beier.
Beispiele dafür sind Begriffe wie feuriges Rot, schreiende Farben oder runder Geschmack. Als rhetorisches Stilmittel, ähnlich einer Metapher, wird das schon seit der Antike verwendet – vor allem aber in der Lyrik der Romantik, des Symbolismus und des Expressionismus, um Sinneseindrücke zu intensivieren oder Grenzen zu verschieben.
Synästhesie-Forschung
Die Forschung in diesem Bereich ist noch jung, wird aber zunehmend spezialisierter im Hinblick auf die vielen unterschiedlichen Ausprägungen der Synästhesie. Und dass es sich nicht einfach um ein Hirngespinst handelt, beweisen MRT-Aufnahmen: So wurde in einer Studie gezeigt, dass Synästhet:innen beim Hören bestimmter Wörter Teile des Gehirns verwenden, die normalerweise der Farbe gewidmet sind.
Auch weiß man inzwischen, dass nicht alle die Verknüpfungen gleich stark wahrnehmen, auch haben nicht alle beispielsweise die gleichen Farben für Zahlen oder Buchstaben. Und man geht davon aus, dass die Synästhesie ein Leben lang unverändert bleibt. Doch wie findet man heraus, ob man selbst oder sein Kind dazu gehört?
Zum Beispiel über einen Fragebogen auf der Webseite der Deutschen Synästhesiegesellschaft. Dort findet man, wenn nötig, auch kompetente Beratung und kann in Austausch mit anderen Synästhet:innen treten. Und dann vielleicht einfach genießen, dass man eine besondere Begabung hat und die Welt ein bisschen bunter sieht.